© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Zeitschriftenkritik: Gehirn und Geist
Ich und die anderen
Werner Olles

Im Zeitalter des genetischen Klonens treibt die Frage nach der Einzigartigkeit und Individualität des Menschen nicht nur Neurowissenschaftler und Psychologen um. Zwar haben sie inzwischen eine Reihe von Befunden erhoben, die zeigen, wie individuell verschieden die optimale Balance zwischen Ich und Wir ausfällt, doch klärt dies immer noch nicht die Frage, ob es sich bei unseren Abgrenzungen gegenüber den anderen nicht viel eher nur um das Bedürfnis nach Einzigartigkeit handelt. Und spiegelt sich unsere Einzigartigkeit auch neuronal wieder?

Diesen Fragen geht das Titelthema der aktuellen Ausgabe (7-8, 2013) des Magazins für Psychologie und Hirnforschung Gehirn und Geist auf den Grund. Dabei untersuchen verschiedene Beiträge, warum wir eigentlich danach streben, uns von anderen abzusetzen – oder was uns im entgegengesetzten Fall antreibt, einer Gruppen-Konformität anzuhängen.

Der menschlich durchaus verständliche Wunsch, die eigene Individualität zu betonen, kann bei besonders extrovertierten Personen bisweilen schillernde Züge annehmen. Forscher bezeichnen diesen extremen Drang nach Einzigartigkeit auch als „Lady-Gaga-Effekt“. Aber läßt sich Individualität überhaupt messen? Wissenschaftlich gesehen ist das mehr als fraglich, doch kann man den Gruppen-Konformismus genausowenig auf einen Nenner bringen. Bei einem gesunden Patriotismus ist das Wir-Gefühl etwas absolut Positives, andererseits zeigt ein Blick in die Geschichte, daß totalitäre Ideologien wie Kommunismus und Nationalsozialismus die menschliche Individualität vernichten können. Zahlreiche Experimente haben indes bewiesen, daß selbst die heutigen demokratischen Massengesellschaften durchaus in der Lage sind, einen Menschentypus hervorzubringen, der aus lauter Furcht anzuecken, zum „ichlosen“ Mitläufer degeneriert.

Weitere Beiträge des Heftes befassen sich mit den Gefühlen und der sozialen Intelligenz bei Tieren. So haben Forscher der Universität von Bristol 2010 entdeckt, daß Hunde einen ausgesprochenen Hang zum Pessimismus haben. Vierbeiner, die besonders verstört auf die Trennung von ihrem Halter reagierten, verweigerten beispielsweise die feinsten Leckerbissen. Menschlicher als gedacht verhalten sich aber auch Affen, Elefanten, viele Vogelarten und vor allem die beliebten Honigbienen. Während Schimpansen beim Tod eines Angehörigen oder Hordenmitglieds sichtbar trauern, vermitteln Gorillas ihren Artgenossen wichtige Kenntnisse wie den Gebrauch von Werkzeugen und zeigen Elefanten eine soziale Intelligenz, die ihre Überlebenschancen steigert. Und Bienen sind nicht nur bienenfleißig, sondern leiden unter ungünstigen Umständen unter typischen Streßsymptomen, die bis zu Depressionen reichen. Ihre verschiedenen charakterlichen Eigenarten sind ebenfalls recht gut ausgeprägt. Manche Honigbiene erschließt sich mutig neue Futterquellen, während andere sich grundsätzlich nicht auf neues Terrain vorwagen. Kommt uns das alles nicht sehr bekannt vor?

Kontakt: Verlag Spektrum der Wissenschaft. Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg. Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Jahresabo 68 Euro.

www.gehirn-und geist.de

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