© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Bei der Diskussion um die Kampagne der britischen Regierung gegen illegale Einwanderung muß beachtet werden, daß der ein peinliches Eingeständnis des Innenministeriums vorausgegangen war: Faktisch gebe es keine Kontrolle der Außengrenzen, und im Vereinigten Königreich hielten sich etwa eine Million Personen illegal auf, derer man nicht habhaft werden könne.

„Blaue Augen, helle Haut und eine gute Körpergröße sind die drei Hauptmerkmale, die die Leute bei Weißen erwarten“, äußert die Leiterin einer Fruchtbarkeitsklinik in Delhi auf die Frage, warum eine steigende Zahl indischer Frauen ein Designerbaby im Ton „milky“ wünscht und deshalb Eizellenspenderinnen aus Europa, Nordamerika oder dem weißen Bevölkerungsteil Südafrikas bevorzugt. Die Auffassung, daß eine helle Haut mehr gesellschaftlichen Erfolg garantiere, wird zwar offiziell bekämpft – unter anderem mit der Kampagne „Dark is beautiful“, für die die Regierung den Bollywoodstar Shah Rukh Khan gewonnen hat – aber das scheint den Trend nicht aufzuhalten. Zur Erklärung behauptet man einen kolonialen Überrest in der indischen Mentalität. Aber vielleicht ist dichter an der Wahrheit, wer auf den Zusammenhang zwischen Hautton und Kastenzugehörigkeit verweist: Vor Jahren nominierte die Kongreßpartei die Witwe des ermordeten Rajiv Gandhi, weil die aus Italien stammende Sonia Gandhi wegen ihres Teints besonders gute Chancen hatte, die Wahlen zu gewinnen.

Bildungsbericht in loser Folge XXXXII: Regelmäßig wird bei uns das „Jungenproblem“ diskutiert, das heißt die Tatsache, daß deutsche Schulen von mehr Jungen als Mädchen ohne Abschluß verlassen werden, während eine höhere Zahl von Mädchen mit besseren Noten das Gymnasium besucht und häufiger das Abitur mit ausgezeichneten Leistungen ablegt. Es lassen sich für dieses Ungleichgewicht zahlreiche Ursachen benennen, aber eine sollte undiskutierbar sein: daß die mentale wie personelle Feminisierung des Bildungswesens den Jungen zum Nachteil gereicht. Wenn also irgend-ein Bildungsforscher – hier: Jürgen Budde – meint, man brauche nicht mehr männliche Erzieher und Lehrer, weil die nämlich „streng“ seien, was die Knaben frustriere, dann hat er Entscheidendes nicht begriffen.

„Hinter den Kulissen fühlten die Briten, daß eine Balance zwischen ‘Moral’ und dem traditionellen, üblichen, nationalen Eigeninteresse zu halten war. Doch im populären Verständnis wurde dieser Krieg meist verstanden als Kreuzzug gegen alles Böse.“ Antwort des Historikers Rodger Boothman auf die Frage, warum Großbritannien 1939 nach dem deutsch-sowjetischen Angriff auf Polen nicht auch der Sowjetunion den Krieg erklärt habe.

Es scheint an der Zeit, das demokratische Prinzip offen – oder sagen wir: halboffen – in Frage zu stellen. Jedenfalls von seiten jener Mächtigen, die schon aufgrund ihres gigantischen Vermögens und ihrer gesellschaftlichen Stellung Zweifel daran haben, daß Gleichheit im Politischen jene Effizienz verbürgen kann, die Ungleichheit im Wirtschaftlichen verbürgt. Also hat der Milliardär Nicolas Berggruen dem Westen China als Modell einer „Meritokratie“ empfohlen, allerdings nicht (was naheliegend gewesen wäre) eine Rückkehr zum Zensuswahlrecht vorgeschlagen, sondern eine Stufung gemäß Bildungsabschluß. – Spielen wir für den deutschen Fall einmal durch, was es, bezogen auf den Zeitraum der letzten drei Jahrzehnte bedeutet hätte, wenn der ausschlaggebende Einfluß bei Wahlen Menschen mit Abitur und Akademikern zugefallen wäre: Beseitigung aller Restriktionen im Asylrecht, steuerliche Höchstbelastung der „Besserverdienenden“, permanente Umverteilung, vollständige Abschaffung des Leistungsprinzips im Schul- und Hochschulwesen, Verbot aller „rechten“ Organisationen, keine Wiedervereinigung von Bundesrepublik und DDR, Bestandsschutz für den Sozialismus im Gebiet östlich der Elbe. – Man weiß nicht recht, ob man das für wünschenswert halten soll.

„Die Toleranz vom ‘Leben und Lebenlassen’ ist nicht immer, das muß zugestanden werden, Eigenschaft und Ideal aller Menschen gewesen. Wann immer die Toleranz in die Erscheinung getreten ist, hat sie sich entweder bei erfreulich vernünftigen, seltenen und bevorzugten Wesen gezeigt oder des öfteren bei gleichgültigen und skeptischen Gruppen. Die letzteren können in den Dingen tolerant sein, an denen sie kein Interesse mehr haben, aber das bedeutet nicht, daß sie deshalb im allgemeinen und prinzipiell tolerant sind, sie können gleichzeitig in anderen Dingen, an denen sie ein lebhaftes Interesse gewonnen haben, sehr intolerant sein. Die Toleranz, die der Gleichgültigkeit entspringt, ist von besonderer Art und hat zu der allgemeinen Toleranz, die auf vernünftiger Überzeugung beruht, nur eine ganz entfernte und dürftige Beziehung.“ (Carlton J. H. Hayes, amerikanischer Historiker, 1926)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 30. August in der JF-Ausgabe 36/13.

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