© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Lockerungsübungen
Lebensfremde Ansprüche
Karl Heinzen

Seit etwa zwei Wochen ist Mainz, immerhin Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, nur noch eingeschränkt in das Verkehrsnetz der Deutschen Bahn eingebunden. Zahlreiche Fern- und Regionalzüge fallen aus oder müssen umgeleitet werden. Es wird befürchtet, daß die Misere noch bis Ende August andauern könnte. Zurückzuführen ist sie nicht etwa auf technische Probleme oder Bauarbeiten, sondern auf Personalengpässe. Von den 15 Fahrdienstleitern im Stellwerk, die für einen ordnungsgemäßen Betrieb erforderlich sind, waren in der vergangenen Woche vier krank und drei im Urlaub. Aushilfspersonal kann kurzfristig nicht einspringen. Drei Monate würden benötigt, um es einzuarbeiten.

Der verantwortliche Vorstands-chef der Bahn-Tochter DB Netz, Frank Sennhenn, hat zwar eingeräumt, daß ihm die prekäre Lage in Mainz „peinlich“ ist. Die Politik konnte sich mit dieser Entschuldigung aber nicht zufriedengeben. So bezeichnete Michael Odenwald, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, die aktuelle Situation als „verkehrpolitisch nicht akzeptabel“. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat sogar einen Runden Tisch einberufen. Immerhin konnten sich unterdessen alle Beteiligten darauf verständigen, daß Mainz ein Einzelfall bleiben soll.

Die Enttäuschung all jener Bahnkunden, die wegen der Probleme Wartezeiten in Kauf nehmen oder ihre Reisepläne ändern müssen, ist verständlich. Von einem Skandal sollte dennoch nicht gesprochen werden. Der Eindruck mag zutreffend sein, daß die Bahn heute weniger bietet als in jenen Zeiten, in denen sie noch ein Staatsbetrieb war. Dafür wird sie nun nach marktwirtschaftlichen Prinzipien und somit vernünftig geführt. Anders als früher hat sie strikt auf die Kosten zu achten und darf daher auch nicht mehr Personal als unbedingt nötig beschäftigen.

Niemand kann bezweifeln, daß die Bahn dennoch die Zufriedenheit ihrer Kunden im Blick hat. Diese müssen jedoch lernen, ihre Ansprüche zu senken. Viele Bürger glauben heute, daß sie, bloß weil sie für etwas Geld ausgeben, Perfektion erwarten dürfen. Dies ist eine lebensfremde Anmaßung. Das Versprechen der Marktwirtschaft lautet nur, knappe Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Das heißt noch lange nicht, daß alles wie am Schnürchen funktionieren muß.

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