© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Blick in die Medien
Streit unter Administratoren
Toni Roidl

Schlag nach bei Wikipedia! Wer zum Beispiel etwas über den sexuellen Mißbrauch in der römisch-katholischen Kirche wissen möchte, findet unter dem gleichnamigen Eintrag zwölf Kapitel mit insgesamt 200 Unterpunkten und fast tausend Quellenangaben. Alles in allem: 70.598 Wörter. Neuerdings behandelt ein wesentlich schlankerer Eintrag die „Pädophilie-Debatte (Bündnis 90/Die Grünen)“. Und das paßt nicht jedem. Zahlreiche Administratoren der selbsternannten „freien Enzyklopädie“ versuchten in der vergangenen Woche den Beitrag löschen zu lassen.

Einer von ihnen schreibt etwa: „Es gibt keine Pädophilie-Debatte!“ Das Ganze sei nur eine politische Medienkampagne, um den Grünen im Bundestagswahlkampf zu schaden. Zudem werde „gegen pädophile Einzelpersonen gehetzt“. Der Beitrag sei „durchwirkt von persönlichen Angriffen auf Cohn-Bendit, Volker Beck und die Indianerkommune“. Letztere war in den achtziger Jahren ein Pädophilen-Nest in Nürnberg. Fazit: „Schnell löschen!“

Ein anderer findet, das Thema sei „eine boulevardeske Schlammschlacht-Kampagne im Sommerloch“ und werde „künstlich skandalisiert“. Vielmehr müsse ein Beitrag darüber auch über „sehr unterschiedliche Aspekte kulturhistorischer, ethisch-philosophischer und sexualmoralischer Auffassungen in unterschiedlichen Epochen und Kulturen“ informieren. Motto: Was den alten Griechen recht war, darf den Grünen doch ruhig billig sein.

Doch nicht alle sind dieser Meinung: „Ginge es hier um die CDU/CSU, wäre der Löschantragsteller längst wegen Lösch-Trollerei gesperrt!“, kritisiert einer. „Die koordinierte Kampagne aus Benutzersperrverfahren und Löschanträgen auf mißliebige Artikel trägt Züge stalinistischer Säuberungsaktionen.“ Nachdem auch erste Politiker auf die Debatte aufmerksam werden und die Grünen kritisieren, fällt der Löschantrag am Ende doch durch.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen