© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Von der Unschuld befreit
Als Sieger „im Land von vierzig Millionen Hedonisten“: Eine US-Historikerin hat das unrühmliche Verhältnis der GIs zur französischen Bevölkerung untersucht
Karlheinz Weissmann

Ich war eine männliche Kriegsbraut“ gehörte zu den erfolgreichsten Screwball-Komödien der Nachkriegszeit. 1949 mit Cary Grant und Ann Sheridan in den Hauptrollen produziert, behandelte der Hollywoodstreifen die unwahrscheinliche – aber verbürgte – Geschichte eines französischen Offiziers und einer amerikanischen Offizierin, die sich kennen- und liebenlernten, heirateten und gemeinsam in den USA leben wollten, wogegen die Militärbürokratie, die nur weibliche „Kriegsbräute“ gelten ließ, erheblichen Widerstand leistete. Daß sich die männliche Kriegsbraut schließlich als Frau verkleiden mußte, um einreisen zu können, führt im Film zu komischen Verwicklungen, ist aber auch eine Pointe, der man eine symbolische Bedeutung zusprechen kann.

Dazu würde wohl die US-Historikerin Marie Louise Roberts neigen, die sich in einem Buch mit dem Thema „Sex und der amerikanische GI im Frankreich des Zweiten Weltkriegs“ befaßt. Denn eine der zentralen Aussagen ihrer Untersuchung ist, daß die US-Propaganda Frankreich systematisch feminisierte: insofern es regelmäßig als Frau dargestellt oder durch Frauen repräsentiert wurde, insofern man die französischen Männer als schwach und verweiblicht vorstellte, im Gegensatz zu den männlichen Amerikanern, und daß die Idee einer permanent erotisch aufgeladenen Atmosphäre („oversexed“) zu jenen Stereotypen gehörte, die die Soldaten einerseits schon aus Erzählungen von Veteranen des Ersten Weltkriegs kannten, die andererseits von der politischen Reklame willig bedient wurden. Ein Journalist der einflußreichen Illustrierten Life faßte das allgemeine Bild der GIs dahingehend zusammen, daß Frankreich ein aufregendes Land sei, „bewohnt von vierzig Millionen Hedonisten, die ihre ganze Zeit damit verbringen, zu essen, zu trinken und Liebe zu machen“.

Man wird Roberts sicher in der Deutung folgen können, daß solche Überlegenheitsgefühle des einfachen Soldaten an der Front im Grunde nur das seiner Generäle und Politiker in der Etappe spiegelten, die de Gaulle nicht als gleichwertigen Verbündeten betrachteten – von der geplanten Invasion in der Normandie erfuhr er erst, als sie unmittelbar bevorstand –, das Territorium Frankreichs als Einsatzgebiet ansahen, das kaum geschont werden mußte (es gab fast 20.000 Ziviltote während der Invasion), und das man ähnlich wie das besiegte Deutschland unter Militärverwaltung stellen wollte. Die Wahrnehmung in der zuerst eroberten Bretagne und der Normandie bestärkte die Amerikaner außerdem in ihrer Vorstellung von der Unterentwicklung („hundert Jahre hinter uns zurück“) der Franzosen, die mit fehlender Hygiene, fehlender Industrie und fehlendem Komfort eigentlich nur als Objekt künftiger Amerikanisierung in Frage kamen.

Selbstverständlich mußte die Arroganz der Amerikaner auch in der Beziehung zwischen den Geschlechtern Folgen haben. Zwar kommt den zahlreichen Fotografien, die GIs beim Einmarsch in den Dörfern und Städten zeigen, wo sie von Mädchen und Frauen jedes Alters umarmt und geküßt werden und mit ihnen auf den Straßen tanzen, durchaus ein Aussagewert zu. Die Attraktivität des Siegers hat ihre Wirkung noch nie verfehlt, und auch der Männermangel (viele Franzosen waren nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt oder zum Arbeitseinsatz nach Deutschland verbracht) mag eine Rolle gespielt haben, sowie die offene oder heimliche Verachtung für die, die 1940 besiegt worden waren und das Land nicht aus eigener Kraft befreit hatten. Aber diese Faktoren können doch nicht die spezifischen Merkmale der weiteren Entwicklung erklären, die sich bis zum Abzug des Gros der amerikanischen Truppen im Herbst 1946 vollzog.

Im wesentlichen geht es Roberts um zwei Aspekte der Sexualpolitik, die die US-Militärverwaltung betrieb. Erstens, den Entschluß, die „lasterhaften“ Französinnen vor Ort den Preis für die libidinösen Bedürfnisse der Soldaten bezahlen zu lassen, und nicht die „tugendhaften“ Amerikanerinnen zu Hause; zweitens den Entschluß, sexuell motivierte Übergriffe nicht oder nur ausnahmsweise zu verfolgen. Am Beispiel Le Havres macht Roberts deutlich, wie zynisch die amerikanische Armee in Kauf nahm, daß Soldaten mit Geschlechtskrankheiten immer wieder Prostituierte infizierten, daß die medizinischen Maßnahmen grundsätzlich nur den eigenen Leuten zugute kamen und alle Versuche der französischen Behörden, ein gewisses Maß an Kontrolle durchzusetzen, an der Ignoranz oder Böswilligkeit der Amerikaner scheiterten.

Deren Entschlossenheit, die Verfügung über die französischen Prostituierten zu behalten, nichts nach außen dringen zu lassen, was dem Image der eigenen Streitkräfte schaden konnte, traf zusammen mit einem erstaunlichen Maß an Verachtung gegenüber den Franzosen, für deren Schicksal man sich nicht interessierte und die man nach Mustern behandelte, die aus Kolonialerfahrungen abgeleitet waren. Diese Einstellung kam noch stärker zum Tragen im Zusammenhang mit den versuchten oder vollzogenen Vergewaltigungen durch amerikanische Soldaten. Roberts weist nicht nur darauf hin, daß bloß ein Bruchteil der Gewalttaten zur Anzeige gebracht wurde, sondern auch darauf, daß nur ein Bruchteil der angezeigten mit Verfahren und Verurteilung endete.

Während ihre Arbeit bis dahin mit verhältnismäßig wenigen Verbeugungen vor dem Zeitgeist und den Geboten der Gender-Ideologie auskommt, ändert sich das bei der Behandlung dieses Themenfeldes drastisch. Eingeklemmt zwischen den Denkregeln von Antisexismus und Antirassismus unterwirft sie sich letzterem, da die erhaltenen Akten zeigen, daß die wegen Vergewaltigung belangten Soldaten mehrheitlich Schwarze waren (139 von 152 Angeklagten, 25 von 29 Gehenkten). Es soll dabei gar nicht bestritten werden, daß Farbige in den USA – zumal wenn es um Sexualdelikte ging – weniger Aussicht auf ein faires Verfahren hatten als Weiße, aber die konkreten Vorgänge in Frankreich sind mit diesem Verweis nicht zu erklären oder aus der Welt zu schaffen, und die Rekurse von Roberts auf die Unsicherheit der Opfer bei der Identifizierung der Täter, das Fehlen von Zeugen, individuelle oder Massenhysterie wirken mehr als peinlich.

Diese Schwäche des an sich sehr verdienstvollen Buches von Roberts wiegt schwer und hätte ohne Zweifel vermieden werden können, wenn die Autorin fundiertere Kenntnisse über Kriegsgeschichte im allgemeinen oder die Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkriegs im besonderen besäße. Wahrscheinlich hätte sie aber an einem sachgerechten Urteil auch dann die feministische (Selbst-)Zensur gehindert. Ein naheliegender Verdacht angesichts der Tatsache, daß Roberts den Autor J. Robert Lilly doch wenigstens an zwei Stellen erwähnt. Lilly, von Hause Kriminologe, hatte 2004 ein Buch über Vergewaltigungen durch amerikanische Soldaten während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht, das ursprünglich weder in den USA noch in der übrigen englischsprachigen Welt einen Verleger fand und unter dem Titel „La face cachée du GI“ in Frankreich erscheinen mußte.

Aufgrund der zugänglich gewordenen Dokumente des Verteidigungsministeriums ging Lilly von mindestens 14.000 Vergewaltigungen aus, die amerikanische Soldaten in Großbritannien, Frankreich und Deutschland begingen. Seiner Meinung nach spielte dabei Disziplinlosigkeit eine große Rolle, die auch sonst zu den Kennzeichen der US-Armee gehörte, und, könnte man hinzufügen, jene Empfindung des Triumphs, die das Auftreten der Amerikaner nach 1945 bestimmte und gleichzeitig jenen Antiamerikanismus nährte, der in Frankreich immer besonderes Gehör fand. Nach der Lektüre des Buches von Roberts kennt man einen weiteren Grund dafür.

Marie Louise Roberts: What Soldiers do. Sex and the American GI in World War II France. University of Chicago Press, Chicago und London 2013, gebunden, 351 Seiten, Abbildungen, 22,90 Euro

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