© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

In die deutsche Infrastruktur fließt zuwenig Geld
Verkehr wie in Los Angeles
Markus Brandstetter

Lichtenstein, ein Städtchen von 9.000 Einwohnern am Nordrand der Schwäbischen Alb, war vor fünfzig Jahren sicher ein beschaulicher Ort. Das klare Wasser des Flüßchens Echaz, das einst Mühlen trieb und bis heute pittoreske Forellenweiher speist, die tiefen Mischwälder und das über allem thronende Schloß Lichtenstein der Herzöge von Württemberg, eine Art Mini-Neuschwanstein, haben die Gemeinde bereits im 19. Jahrhundert zu einem Ziel für Naturschwärmer, Reisende und Romantiker gemacht. Damit ist es aber seit einiger Zeit vorbei.

Heute geht durch den Ort ein Verkehr wie in Los Angeles. Tag und Nacht und an sieben Tagen in der Woche wälzt sich eine Kolonne von Pkws, Schwerlastern und auf laut getrimmten Motorrädern über die B 312, die von Reutlingen kommend durch Lichtenstein auf die Alb hinauf führt. Der Lärmpegel im Ort ist unerträglich. Die Häuser, die direkt an der Bundesstraße liegen, verfallen zusehends, weil sie an Wert verloren haben und keiner mehr investieren mag. Schloß Lichtenstein zieht Touristen aus der ganzen Welt an, aber übernachten tun sie nicht mehr in Lichtenstein, sondern in ruhigeren Orten. Der Rückgang bei den Übernachtungen und die vielen leerstehenden Gasthöfe und Pensionen im Ort bezeugen dies.

Lichtenstein ist kein Einzelfall: In vielen Orten am Rande der Schwäbischen Alb, in Bopfingen, Aalen, Heubach, Gingen an der Fils, Owen und Jungingen, sieht es genauso aus: Der immer stärker werdende Verkehr belastet Menschen und Umwelt mehr und mehr. Die Gründe dafür sind hausgemacht. In den letzten 20 Jahren hat sich der Personenverkehr in Deutschland verdoppelt und der Güterverkehr verdreifacht.

Straßenschäden, Baustellen und Staus gehören längst zum Alltag der Bürger. Bund, Länder und Gemeinden investieren nur ein Viertel dessen ins Straßennetz, was sie an Steuern und Abgaben von den Autofahrern einnehmen. Die Auswirkungen dieses Kaputtsparens sind dramatisch. An vielen Durchgangsstraßen hat sich seit Mitte der achtziger Jahre nichts geändert. Verkehrskonzepte wie Ortsumgehungen, Untertunnelungen oder Lärmschutzwälle sucht man vergebens. Wie es besser geht, zeigen die Schweiz und Österreich. In beiden Alpenländern wird anteilsmäßig deutlich mehr in die Verkehrsinfrastruktur investiert, Lärmschutzmaßnahmen und Verkehrsberuhigungen sind insbesondere in Touristengebieten deutlich weiter fortgeschritten als in Deutschland.

Den Verantwortlichen scheint gar nicht klar zu sein, daß diese Unterlassungen gleich in mehrerer Hinsicht an die Substanz gehen: Lärm und Umweltbelastungen machen krank und zerstören die Natur. Sie vernichten aber auch über Jahrzehnte geschaffene materielle Werte. Wer vor dreißig Jahren ein Häuschen an einer damals noch ruhigen, heute aber lauten Straße gebaut hat, der erlöst dafür nicht einmal mehr die Baukosten.

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