© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Dämonen auf der eisigen Bahn des Genies
Werkvergleich: „Weltenschöpfer. Richard Wagner, Max Klinger, Karl May“ im Museum der bildenden Künste Leipzig
Sebastian Hennig

Als „Weltenschöpfer“ tituliert eine Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste die sächsischen Kunst-Mythologen Richard Wagner, Max Klinger und Karl May. Jeder Künstler ist bestrebt, seine Imagination mittels geformter Darstellung dem Leser, Hörer und Schauenden so dicht wie möglich als eine Welt aufzudrängen. In dieser Beziehung gibt es nur qualitative und quantitative, aber keine wesensmäßigen Unterschiede. Den skurrilen Mikrogrammen eines Robert Walser wohnt die gleiche suggestive Absicht inne, wie Wagners Bühnenweihfestspielen.

Das viel beredete Gesamtkunstwerk hat allerdings eine quantitative Marke gesetzt, unterhalb derer die Aufmerksamkeit des Publikums kaum mehr zur Erntereife gedeihen will. So wird auch diese Ausstellung dominiert von den großen Raum-Installationen. Wie die Regisseure auf den Bühnen die Komponisten und Dramatiker verdecken, so überstrahlen und übertönen ihre Bühnen- und Kostümgestalter nun in den Museen die Bilder und Skulpturen.

Kaskaden von Lichteffekten zur Musik aus dem „Ring“

Eine Dame dieses Fachs, die sich kokett „rosalie“ nennt, hat Wagners Musik elektronisch fragmentiert und läßt zu dem zwanzigminütigen Mix „Wagner – Heldendisplay“ eine Kaskade von Lichteffekten auf einer gigantischen Wand ablaufen. Gegenüber dieser ist eine lange Reihe schwarzbespannter Liegestühle aufgestellt. Darin versenkt sollen die Farbkaskaden über einem zusammenschlagen. Als Bestandteil eines Bühnenbilds wäre das nicht übel.

Die Disko-Lichtorgel zu elektronischen Überspielungen, Verzerrungen und Überleitungen aus der Musik von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ hätte Ludwig II. gewiß gefallen, genauso gewiß aber das Entsetzen seines Künstlerfreundes hervorgerufen. Zu Wagners Musik läßt sich auch der Abbildungsteil eines Tortenbackbuchs betrachten, und die Farbfotos von Donauwelle und Frankfurter Kranz werden bald so dramatisch wirken, wie Nibelheim und Weltesche. Die synästhetische Dimension dieser Musik verwandelt jedes Stroh, zumindest augenscheinlich, in Gold.

Für jeden, der noch keine der seltenen gelungenen Inszenierungen mit echten Sängern, Instrumentalisten und Bühnenbild erlebt hat, bietet eine solche Darbietung die erstaunliche Erfahrung der umfassenden Kraft dieser Musik. Das Ganze ist also einer jener heimlichen Urheberrechtsskandale, von denen das Wagner-Jahr so voll ist, und in denen seine Energie auf fremde Mühlen geleitet wird.

Die Klangfetzen empfangen den Besucher bereits, während er heruntersteigt in die Sonderausstellung. Während ihn musikalisch der Rhein umwogt, trifft er an der Wand Gemälde mit Meeresansichten. Der spekulativen Verschwommenheit der Installationen kontrastiert die chronologische Übergenauigkeit, mit der die Bilddarstellungen der Wagner-Zeitgenossen ausgewählt wurden. Die Gemälde von Dahl, Oehme, Fantin-Latour und Menzel werden nicht so gehängt, wie sie ihre größte Wirkung entfalten können, sondern nach der motivischen Einteilung des Ausstellungsrundgangs.

Hans Thoma nimmt Wagners „Ring“ als Anlaß für Bildschöpfungen, die durch ihre ruhige fast naive erzählerische Treue ganz eigenständig wirken. In Klingers Radierungen herrscht immer wieder ein gestisches Pathos vor, das mehr theatralisch als malerisch ist. Im Zentrum der Radierung „Verfolgter Kentaur“ (1881) bäumt sich ein verwundetes Reitpferd in die Höhe und reißt seinen bärtigen Reiter nach. Ein Pfeil steckt dem Tier tief im Hals. Der Kentaur hat ihn gerade abgesendet. Seine gespreizte Hand hält er noch hinter dem entspannten Bogen und setzt durch das hohe Steppengras vornweg. Ihm folgen zwei Jäger, die wie Jockeys hoch über den Pferderücken kauern. Claus Bergen hebt überaus geschickt die Landschaft hervor und baut die dramatischen Handlungen als Staffage ein.

Sascha Schneider knüpft mit nackten menschlichen Gestalten okkulte Bilderrätsel. Neben diesen routiniert gemalten Vorlagen für die Buchillustrationen Karl Mays und Bildern des ersten Bayreuther Theatermalers Max Brückner befinden sich Meisterwerke von Adolph von Menzel, den Nazarenern Cornelius und Schnorr von Carolsfeld und Michael Wutkys Darstellung vom Ausbruch des Vesuv von 1779. Alles ist mit registratorischem Stumpfsinn nach den Motivgruppen Meer, Hochgebirge, Rhein, Feuer, Wald und Helden geordnet.

Die Installationen dazwischen sind Spielzimmer, die entweder nach Art eines Lunaparks gewaltige Effekte auffahren oder mit einer Fülle über die Wände gebreiteter Schriften, Fotos und Urkunden Kopfschmerzen bereiten. Ein Maler und ein Schriftsteller haben einen albernen Saloon nach Karl-May-Motiven eingerichtet. Die Raumgestaltung des Vorstandsvorsitzenden der „Richard Wagner Gesellschaft Leipzig 2013“ und Universitätsmusikdirektor David Timm mit dem (unbewußt?) von Thomas Mann übernommenen Titel „Richard Wagner – Leiden und Größe“ ziert immerhin das Original des bekannten Porträts der Mathilde Wesendonck neben dem versteinerten Altersbildnis Wagners von Franz von Lenbach.

So mag man sich über einzelne Werke freuen, wie das Gemälde vom Bau der Teufelstalbrücke von Carl Blechen aus der Münchner Pinakothek und Malereien von Wilhelm Trübner und Hans Thoma. Qualitätsunterschiede sind bereits in der Konzeption der Ausstellung verankert. Daß besonders zwischen Wagner und May keinesfalls von Kongenialität die Rede sein kann, allenfalls von Kon-Dämonie, zeigt schon ein Blick auf die Lichtbilder der drei. In Bayreuth hat der Musikdramatiker sich einen repräsentativen, fürstlichen Palazzo errichten lassen, während Maler und Schriftsteller in Leipzig und Radebeul die übliche Villa bewohnten. Der gewaltige und herrische Zug an Wagners Angesicht ist nicht nur aufgesetzt und begehrt weit über seine Zeit hinaus, während die anderen Herren ganz als Leute ihrer Epoche befangen bleiben, wieviel Sendungsbewußtsein sie auch hatten. Kraft ihres Dämons schlittern sie ein ganzes Stück mit auf der eisigen Bahn, welche das kühle Genie gezogen hat. Wie Klinger in seinen Radierungen, die unzweifelhaft sein Hauptwerk ausmachen, dramatische Augenblicke im zeitlichen Verlauf ausfächert, in einer absichtsvollen Abkehr von den Grenzen der bildenden Künste, wie sie Lessing in „Laokoon“ verlautbarte, das läßt auf den beunruhigenden Einfluß und die Verehrung von Wagner schließen. Zuletzt wollte er das dürre Männlein mit dem wagemutigen Kinn gar in einer römischen Toga in Leipzig auf den Denkmalsockel gestellt wissen.

Über den dreidimensionalen Versuch, der vor einigen Monaten an dieser Stelle dann aufgerichtet wurde, ziemt Schweigen. Anstelle eines unvollendeten Denkmals ist nun etwas Bedenkliches zutage getreten. Das Geburtshaus von Richard Wagner haben die Leipziger bereits im 19. Jahrhundert abgerissen.

Die Ausstellung „Weltenschöpfer. Richard Wagner, Max Klinger, Karl May“ ist bis zum 15. September im Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 12 bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / 2 16 99-0

www.mdbk.de

Fotos: Kinetisch-interaktive Medien-Licht-Skulptur von „rosalie“, MAY – Dead End, 2013: Erstaunliche Erfahrung der umfassenden Kraft dieser Musik; Henri Fantin-Latour (1836–1904), Das Rheingold, Öl auf Lein-wand 1888; Sascha Schneider (1870–1927), Winnetou III, Buch-deckelentwurf 1904: Chronologische Übergenauigkeit

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