© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

„Kälte gegenüber den eigenen Opfern“
Geschichtspolitik: Arnulf Baring ruft die Deutschen auf dem Tag der Heimat der Vertriebenen zu mehr geschichtlichem Selbstbewußtsein auf
Ekkehard Schultz

Der Historiker Arnulf Baring weiß, wo den Vertriebenen der Schuh drückt. Der Historiker warb am Wochenende als Festredner des traditionellen Tags der Heimat des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Berlin eindringlich für ein stärkeres politisches und geschichtliches Selbstbewußtsein der Deutschen. Nicht zuletzt mit Blick auf die Vertreibung und den Verlust der Ostgebiete.

Dabei verwies Baring auf den großen kulturellen Reichtum des Ostens, der durch die Vertreibung nach 1945 nicht nur den Deutschen, sondern auch für die Vertreiberstaaten verlorengegangen sei. Um so bedenklicher sei es, daß dies von weiten Teilen der Gesellschaft nicht als Verlust wahrgenommen würde, sagte Baring, der sich auf die Suche nach den Ursachen begab. Im Gegensatz zu weit verbreiteten Legenden müßten sich die Deutschen für ihre Vergangenheit nicht schämen, sondern nur verantwortungsbewußt mit ihr umgehen, bekräftigte er. Es helfe nicht, wenn in der Schule zwar die Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur gleich mehrfach behandelt werde, andere Phasen der rund 1.200 Jahre zählenden deutschen Geschichte gar nicht oder nur oberflächlich zur Sprache kämen. Denn die Erinnerung an diese Ereignisse könne den Deutschen Kraft und Zuversicht geben. Eine „ebenso verantwortungsvolle wie selbstbewußte Nation“ wäre für die zukünftigen Aufgaben weit besser gerüstet als ein „Deutschland der Selbstzerfleischung“.

Als Ursache dafür verwies Baring auf das Schweigen eines Teils der Erlebnisgeneration, die über ihr persönliches Vertreibungserlebnis nicht oder nur zu einem kleinen Teil berichten wollte. Eine Folge davon sei freilich, daß die Traumata an die Kinder und Enkelgeneration weitergegeben würden. Erfreulicherweise sei jedoch gerade bei den Nachkommen das Interesse an der Heimat und der Lebensgeschichte ihrer Vorfahren inzwischen wieder gewachsen.

Baring kritisierte die „pauschale Abwertung der Leistungen der Eltern und Großeltern“ durch die Generation der Achtundsechziger. Dies habe nicht nur zu einer beispiellosen „Rücksichtslosigkeit und Kälte gegenüber den eigenen Opfern“ beigetragen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft erschwert. Dieser schwere Schuldkomplex wirke bis heute nach.

Die Bundesvorsitzende des BdV, Erika Steinbach, hatte zuvor ihren Blick auf die Gegenwart gerichtet und die Minderheitenpolitik Ungarns seit 1990 und den Umgang des Landes mit der historischen Verantwortung für die Vertreibung der Deutschen gewürdigt. Neben einem besonderen Lob für Ungarn hob sie auch die inzwischen erfolgte Aufnahme der deutschen Heimatvertriebenen in die Entschädigungsgesetze von Rumänien und Serbien hervor. Auch die Entwicklungen in Tschechien bewertete sie als grundsätzlich positiv und verwies dabei auf eine Rede des Ministerpräsidenten Petr Necas in München, in der dieser die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat und das damit verbundene Leid und Unrecht ausdrücklich bedauerte.

Kritisch bewertete Steinbach dagegen die Situation in Polen. So sei im jüngsten Staatenbericht des Europarates anhand von zahlreichen Einzelbeispielen darauf verwiesen worden, daß von der polnischen Verwaltung die Verpflichtungen gegenüber den Minderheiten nur zum Teil oder gar nicht wahrgenommen würden. Diese Problematik müsse in den deutsch-polnischen Gesprächen thematisiert werden. Steinbach forderte daneben erneut die Einrichtung eines deutschlandweiten Gedenktages für die deutschen Heimatvertriebenen ein. Den von CDU/CSU und FDP vorgesehene 20. Juni, den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen, nannte sie „eher ungünstig“. Denn ein Kennzeichen eines guten Gedenktages sei, daß die Dinge dabei „nicht im Allgemeinen verschwimmen“.

Der ungarische Minister Zoltan Balog bezeichnete in seiner Ansprache seinen Staat als einen „Begünstigten des Reichtums“ der jahrhundertelang auf seinem Boden siedelnden Minderheiten. Nicht zuletzt auf der Grundlage dieser Erkenntnis habe sich Ungarn nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft für die Erarbeitung eines umfassenden Volksgruppenschutzes eingesetzt. Eine Reaktion, die sich viele Vertriebene auch von anderen Vertreiberstaaten wünschen.

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