© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Nicht auf den Lorbeeren ausruhen
Deutscher Mittelstand: Von der Politik umgarnt, kämpfen die Unternehmen um ihre Zukunft / Wahlprüfsteine setzen Berliner Parteien unter Druck
Christian Schreiber

Thomas Villinger, Betriebswirt und Geschäftsführer des Zukunftsfonds Heilbronn, ist in seinem Leben weit herumgekommen, Der 59jährige, der in Deutschland und den USA zahlreiche Existenzgründer begleitete, sieht den Zenit des Erfolgsmodells Mittelstand überschritten. Unlängst klagte er gegenüber der Stuttgarter Zeitung sein Leid: „Wir ruhen uns noch viel zu sehr auf den Unternehmen aus, die wir vor 40 Jahren aufgebaut haben. Dabei ist völlig klar, daß nur die erste Generation eines Unternehmens wirklich gut ist, weil die Erbengeneration selten den gleichen Biß und Hunger hat wie die Gründergeneration.“

Villinger kritisiert überalterte Strukturen und klagt über eine Neidgesellschaft. Zudem schweben ihm amerikanische Verhältnisse vor. Wohlstand dürfe kein Makel sein, man müsse Lust darauf haben, reich zu werden.

Nun mag die Meinung des streitbaren Schwaben ein Einzelfall sein, dennoch spricht er mit seiner Ansicht ein Problem an. Lange Jahre lebte der Mittelstand wie unter einer Käseglocke, verfügte über hervorragend (selbst) ausgebildetes Personal und versprach nahezu Vollbeschäftigung. Doch die Stimmung schwankt zunehmend. Dies macht vor allem Politiker aller Parteien nervös. Denn im laufenden Bundestagswahlkampf wird der Mittelstand umgarnt. Beinah alle Parteien bezeichnen die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen als wichtiges Ziel.

Noch immer kommen rund 70 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze aus dem Mittelstand, vier Fünftel aller Ausbildungsstellen in der Bundesrepublik werden dort angeboten. Und auch beim Export spielt er im Vergleich zu den börsennotierten Großunternehmen (3,6 Millionen Mitarbeiter in Deutschland) eine viel bedeutendere Rolle. Eine genaue Definition, was der Mittelstand eigentlich ist, gibt es übrigens nicht. „Der freie Journalist gehört ebenso dazu wie der Handwerksbetrieb oder das Familienunternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern“, erklärt Frank Wallau, der Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn.

Entsprechend ihrer Größe wird die höchst einflußreiche Gruppe innerhalb der deutschen Wirtschaft stets mit besonderem Augenmerk bedacht. Doch gerade von seiten des Mittelstandes gab es in den vergangenen Tagen keine wirklich guten Rückmeldungen.

Laut einer Analyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) befand sich der deutsche Mittelstand zur Jahresmitte im Konjunkturtief: Nur noch 36 Prozent der Mittelständler waren mit ihrer aktuellen Geschäftslage rundum zufrieden. Dies ist der schlechteste Wert seit den Zahlen aus dem Krisensommer 2009 (29 Prozent). Im Januar waren dagegen noch 39 Prozent der Befragten zufrieden, ein Jahr zuvor war es sogar gut jeder zweite. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, daß sich der Anteil der Unternehmen, die ihre aktuelle wirtschaftliche Situation als „schlecht“ oder „eher schlecht“ bezeichnen, im Vergleich zum Vorjahr von 8 auf 16 Prozent verdoppelt hat.

Die renommierte Beratungsgesellschaft Ernst & Young hatte im Juli 700 Unternehmer nach ihrer Einschätzung gefragt. Diese Studie wird halbjährlich durchgeführt. „Der Mittelstand leidet zunehmend unter der Stagnation in Deutschland und den fehlenden Impulsen aus dem Ausland“, erklärt Peter Englisch, Partner bei EY: „In diesen schwierigen Zeiten trennt sich die Spreu vom Weizen: Ein Teil der Mittelständler kämpft um die Existenz – immer mehr Unternehmen geraten sogar in die Insolvenz. Ein größerer Teil der Unternehmen hingegen setzt auf Wachstum und gewinnt Marktanteile hinzu.“

Diese Einschätzung deckt sich mit einer Analyse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die Bank ermittelt seit Jahren das sogenannte Mittelstandsbarometer. Auch wenn die globale Krise mit Sorge beobachtet wird, glaubt zumindest ein großer Teil der Mittelständler an bessere Zeiten. „Das läßt auf eine allmähliche, aber nachhaltige Erholung der deutschen Konjunktur hoffen“, sagte KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner dem Handelsblatt: „Gestützt wird der Optimismus durch die zu erwartende positive Wirkung von Lohnzuwächsen und die damit einhergehende zunehmende Konsumbereitschaft.“ Als bedrohlich für die Lage werden nach wie vor mögliche Konjunktur-Risiken, darunter die sinkende Nachfrage aus China oder eine mögliche Verschärfung der Euro-Krise, gesehen.

Obwohl viele Mittelständler Angst vor solchen Szenarien haben, setzen sie dennoch auf das Prinzip Hoffnung. Nach wie vor sind zwar drei von zehn Mittelständlern der Ansicht, daß die Gemeinschaftswährung Euro auseinanderbrechen wird, eine neue Weltwirtschaftskrise erwarten aber nur wenige. Nur jeder fünfte Mittelständler geht im kommenden Halbjahr von einer Abkühlung der Weltwirtschaft aus, während 31 Prozent auf eine Erholung der Konjunktur setzen.

Unter dem Strich läßt sich festhalten, daß der deutsche Mittelstand zwar Zweifel hegt, eine Katastrophe überstehen zu können, aber mit großer Mehrheit glaubt, daß es nicht zu einer solchen kommen wird.

Zumal derzeit real auch ganz andere Probleme belastend wirken. Als große Herausforderung wird vor allem der Fachkräftemangel gesehen. Alleine wegen der demographischen Entwicklung fehlen bundesweit rund 6,5 Millionen Fachkräfte bis zum Jahr 2025, errechnete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Betroffen sei vor allem der Mittelstand, weil der mit den Konditionen großer Unternehmen nicht mithalten könne. Laut Ernst & Young führt der Fachkräftemangel gerade für den Mittelstand schon heute zu „massiven realen Umsatzeinbußen“. Bereits heute, so EY weiter, koste der „Mangel an geeigneten Mitarbeitern den Mittelstand jährlich 33 Milliarden Euro“.

Trotz aller Unbill suchen die kleinen und mittleren Betriebe nach Lösungen. Verstärkt werden Menschen angesprochen, die bereits älter als fünfzig sind – noch vor einigen Jahren galten diese als Auslaufmodelle auf dem Arbeitsmarkt. 37 Prozent der von Ernst & Young Befragten gaben an, verstärkt nach Älteren Ausschau zu halten – noch vor zwei Jahren stand dieses Thema nur bei jedem vierten auf der Tagesordnung. Darüber hinaus gehen viele Mittelständler verstärkt im Ausland auf Mitarbeitersuche.

Gerade Fachkräfte aus den krisengeschüttelten Südländern der Euro-Zone sind trotz ihrer fehlenden Sprachkenntnisse für die kleinen und mittleren deutschen Unternehmen zunehmend attraktiv.

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler nutzte den Wahlkampfauftakt jedenfalls, um sich als Anwalt des Mittelstands zu positionieren. Er sei ein Erfolgsgarant der deutschen Wirtschaft und die Basis für Wachstum und Wohlstand. Außerdem versprach er, bei der Anwerbung von Fachkräften behilflich zu sein: „Wir brauchen eine neue Willkommenskultur.“

Der Mittelstand wartet unterdessen auf Antworten auf andere dringende Fragen. Das Magazin Markt intern hat seine Abonnenten abstimmen lassen, welche Wahlprüfsteine für die Bundestagwahl ausgegeben werden sollen. Die drängendsten Antworten erwarten sich die Mittelständler dabei auf die Frage, wie die jeweiligen Parteien künftig die Europapolitik sowie den Umgang mit dem Euro gestalten wollen und welche Auswirkungen für den Mittelstand zu erwarten seien.

Genauer wird der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) mit seinen Wahlprüfsteinen. Als Repräsentant von 160.000 Mitgliedsunternehmen spricht er mehrere Probleme an, die der politischen Lösung harren. Ihm zufolge haben bisherige Rettungspakete in der Eurofrage zu „Mißtrauen und Spaltungstendenzen“ geführt. Zudem „unterhöhlten“ die Verlagerung von Entscheidungen von der nationalen auf die inter- und multinationale Ebene sowie „intransparente Gremien das Vertrauen in Europa und in die Demokratie“.

Vor diesem Hintergrund fordert der BVMW mehr „demokratische Legitimation, Subsidiarität und Transparenz“ und plädiert für die Einführung von „temporären Parallelwährungen“, um „Euro-Austritt und Deflationspolitik zu vermeiden“.

Parallel hierzu verlangt der Bundesverband mehr „Stabilität und Transparenz im Finanzsektor“, die Dezentralisierung des Energiemarktes, die Einführung einer „steuerlichen Forschungsförderung für mittelständische Unternehmen“ sowie ein „gerechteres“, vereinfachtes“ Steuersystem. Zu guter Letzt kritisiert die Mittelstandsvereinigung die Auswüchse des „Überwachungsstaates“. Denn „Vorratsdatenspeicherung, Telefon- und Internetüberwachung“, so der BVMW, dürften „nur bei konkretem Verdacht auf Gewaltkriminalität und Terrorismus“ eingesetzt werden.

www.bvmw.de

www.ey.com

Foto: Wirtschaftsminister Philipp Rösler präsentiert das Erfolgsmodell „German Mittelstand“: Im Ausland bewundert – im Inland mit Sorgen behaftet

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