© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Pankraz,
E. Dovifat und der Journi als Polizist

Journalisten sind da, um aufzudecken, aufzuklären und so zu kontrollieren und über die Herrschenden zu wachen.“ Also sprach vor einigen Tagen in öffentlicher Rede und mit stolzer Gebärde Ines Pohl, Chefredakteurin der Berliner tageszeitung (taz). Pankraz wunderte sich. Aufdecken, aufklären, kontrollieren – das sind an sich Funktionen, die man anderen Berufszweigen zuordnet, vor allem der Polizei. Sind Journalisten („Journis“, wie man hier und da schon sagt) also primär neuartige Polizeikräfte?

Bei Emil Dovifat, dem Begründer und großen Theoretiker der Zeitungswissenschaft in Deutschland, liest man’s anders. Journalisten seien, wie schon der Name sage, von Haus aus Menschen, die aktuelle, allgemein interessierende Tagesereignisse beschreiben. Es seien verläßliche Informanten, gleichzeitig aber auch Ästhetiker. „Belletristen der Faktizität“. Ihr Berufsziel sei die exakte, aber stilistisch anspruchsvolle Darstellung dessen, was tagtäglich passiert.

Das ist natürlich eine Idealbeschreibung, wie ja auch die zitierten Worte von Ines Pohl nichts weiter als eine persönliche Idealbeschreibung ihres Berufs waren. Die Wirklichkeit sieht bekanntlich anders aus, schillert in allen Farben. Doch es ist schon bemerkenswert, wie schneidend sich mittlerweile die Auffassungen eines von außen definierenden Gelehrten und einer aus dem Inneren heraus operierenden Aktivistin über Sein und Sinn des Journalismus voneinander unterscheiden. Es ist, als ob hier zwei aus völlig verschiedenen Welten kämen.

Wobei die Suada von Pohl von einem fast ins Wahnsinnige gewachsenen Machtbewußtsein der Journalistenbranche Zeugnis gibt, zumindest was ihre über ganze Sender und Redaktionen verfügenden „Alphatiere“ betrifft. Diese Leute halten sich inzwischen allen Ernstes für jene „vierte Gewalt“, welche wie einst Zieten aus dem Busch an die Seite (oder sogar an die Spitze) der drei regulären Staatsgewalten – Legislative, Exekutive, Judikative – getreten sei. „Man soll sich vor uns zu Tode fürchten“, deklamierte denn auch schon Henri Nannen, der verblichene ehemalige Chefredakteur des Stern.

Solche arroganten Phrasen klingen um so anmaßender, als sich die statistisch ermittelte Wertschätzung des Journalistenstandes in der Bevölkerung während der letzten Jahre keineswegs verbessert hat. Nach wie vor rangiert der Journalist laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach auf einer Liste der angesehensten Berufe im unteren Drittel der Skala. Dahinter kommen nur noch unter anderem Politiker, Fernsehmoderatoren und Banker (während oben im Licht Ärzte und Krankenschwestern sowie Polizisten stehen).

Niemand will sich ausgerechnet von einem Journi aufklären oder gar kontrollieren lassen. Eine deutliche Mehrheit neigt der Meinung zu, daß es sich bei ihm um einen höchst unsicheren Gesellen handelt, schlecht ausgebildet und mit fragwürdigen Abschlüssen, frech, hinterhältig, bestechlich, mit Geldscheinen winkend oder Geldscheine entgegennehmend, wenn es gilt, an irgendwelche „Geheimnisse“ heranzukommen, die zudem, bei Lichte betrachtet, meistens gar keine sind, sondern nur dazu aufgeblasen werden, um einen „Scoop“ zu landen oder sonstwie die Kanäle zu füllen.

Mit der Heraufkunft des Medienzeitalters (Internet, Big Data, soziale Netzwerke) hat sich die Lage nicht verbessert. Zwar weiteten sich die journalistischen Einflußmöglichkeiten, die Info-Techniken, die Anzahl der Kanäle und die Reichweiten spektakulär aus, doch das geistige und stilistische Niveau der Journalisten selbst erhöhte sich nicht. Stattdessen erhöhte sich überall die Lautstärke, der „Kampf um die Quote“, die Marktschreierei, das Herausbrüllen gerade im Schwange befindlicher Werbesprüche oder politischer Parolen.

Zu einem „Desaster“ entwickelte sich, wie jetzt tagtäglich zu lesen, das Verschwinden unserer „Privatsphäre“. Dieser Prozeß wurde von Großjournalisten einst ausdrücklich bejubelt. Die 68er-Bewegung, so Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, habe durchaus auch ihr Gutes gehabt: „Sie öffnete das Private für die Öffentlichkeit, ermunterte zu Bekenntnissen von Intimitäten und führte zur Boulevardisierung der Politik.“ Noch enthusiastischer äußerte sich Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. „Die Privatsphäre“, verlautbarte er voriges Jahr, „ist ein Relikt aus alten, längst vergangenen Tagen. Privatsphäre und Internet schließen sich gegenseitig aus.“

Heute nun herrscht in sämtlichen Medien größtes Wehgeschrei über unerlaubte staatliche Datenspeicherungen und hinterhältige Datenverknüpfungen. Doch waren es – woran soeben Hans Magnus Enzensberger erinnert hat – von Anfang an medial-politische Kartelle, die beim rücksichtslosen Einsatz von Big Data zum Zwecke der Ausspähung und Kontrolle der Bürger planvoll zusammengearbeitet und die Dinge gemeinsam ins „Desaster“ vorangetrieben haben.

Gegenwärtige Politik, hierzulande und anderswo, und Journalismus, so wie ihn Ines Pohl versteht und in herrschsüchtige Worte faßt, stecken unter einer Decke. Sie bilden einen politisch-medialen Komplex, der alles auszuspähen, zu kontrollieren und zu überwachen trachtet. Die Freiheit, die sie üppig im Munde führen, ist einzig für sie selbst bestimmt. Und sie schildern die Welt nicht mehr so, wie sie ist, sondern nur noch so, wie sie ihrer Meinung nach zu sein hat: eine phrasengesättigte „Hinterwelt“ à la Nietzsche ohne Wirklichkeit, aber auch ohne Transzendenz.

Haben Dovifats Belletristen der Faktizität überhaupt noch eine Chance gegenüber dieser Art von Herrschafts- und Polizeijournalismus? Nun, vielleicht kommt Rettung aus der aktuellen Krise der Printmedien. Je hemmungsloser sich diese den Blogs oder irgendwelchen Serviceportalen des Internets anpassen, um so überflüssiger werden sie ja. Derartiges kann man bequemer haben. So entsteht möglicherweise ein Raum für Spiegel, in denen der interessierte Leser sich und seinen Alltag wiedererkennt, ohne sich dabei schämen zu müssen.

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