© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Aus Kritikern werden Feinde
Grenzübertretungen nicht nur im Wahlkampf: Was der Staat mit politisch motivierter Gewalt zu tun hat
Doris Neujahr

Die Gewalt gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD) und zuletzt vergangenen Samstag in Bremen die Attacke auf ihren Spitzenkandidaten, den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, müssen als Teil eines allgemeineren Problems betrachtet werden. Die Möglichkeiten politischer Meinungs- und Gruppenbildung in Deutschland, die öffentliche Diskussion überhaupt, stehen unter der Beobachtung und dem Vorbehalt von Scharfschützen, die Grenzübertretungen sofort ahnden. Zum Spiel gehört, daß niemand genau angeben kann, wo das verbotene Niemandsland beginnt. Irgendwo rechts natürlich, doch muß man sich, um ins Visier zu geraten, gar nicht mehr in diese Richtung begeben. Wie der Wald in „Macbeth“, hat die Grenze selbst sich in Bewegung gesetzt.

Vermehrt werden Parallelen zur Endzeit der Weimarer Republik gezogen. Das ist übertrieben, tendenziell aber richtig. Der Goebbels-Vertraute Eugen Hadamovsky, zweifellos ein Experte auf dem Gebiet, sprach vom Terror als „Machtpropaganda“. Sie macht dem Andersdenkenden auf brachiale Weise klar, daß es zwecklos ist, auf seine verbrieften Rechte – Meinungsfreiheit, Koalitions- und Versammlungsrecht – zu pochen, weil keine staatliche Institution in der Lage ist, sie durchzusetzen, noch seine persönliche Unversehrtheit zu garantieren.

Die Einschüchterung muß nicht, wie im Fall von Lucke, mit Pfefferspray, Fäusten und Messern erfolgen. Drohanrufe, die Veröffentlichung persönlicher Daten im Internet, ein augenzwinkernder Zeitungsartikel, der an entsprechender Stelle richtig verstanden wird, ein abgefackeltes Auto reichen meistens aus, um individuelle Renitenz niederzuzwingen. Gegen Parteien werden Verwaltungsschikanen oder gesetzwidrige Straßenblockaden angewandt und mit dem übergesetzlichen Notstand im Angesicht des absolut Bösen begründet.

Das betraf bisher vor allem die NPD, weshalb die Meinung vorherrscht, es träfe damit die Richtigen. Doch wenn es die einen betrifft, dann betrifft es zugleich alle. Diese simple Wahrheit bestätigt sich nun, da die Gewalt über die AfD hereinbricht. Natürlich ist sie keine rechte, sondern eine bieder-bürgerliche Partei. Der Hauptgrund für den Groll, den sie auf sich zieht, ist ihr fokussiertes Thema: der Euro, der schlecht ist für Deutschland.

Weil man diese schlagende Aussage nicht widerlegen kann, wird eben die Keule des „Kampfes gegen Rechts“ hervorgeholt. So tritt deutlich wie noch nie die Kernbestimmung dieses „Kampfes“ hervor: Er richtet sich gegen die Formulierung und Wahrnehmung eines deutschen Eigeninteresses. Aus der nationalen Selbstnegation erwächst eine militante Autoaggression. Es handelt sich weniger um bewußtes politisches Handeln der Akteure als um einen pathologischen Zwang, der wie in einer Zeitschleife die Vernichtung von 1945 beschwört und wiederholt.

Die Strukturen, die eine Gegenbewegung verhindern, sind zumeist informell, unsichtbar, dafür effektiv und schnell zu aktivieren. Die Antifa-Autonomen sind die Kampf- und Vorfeldorganisation. Verlaß ist stets auf die Medien, sei es beim Vorbereiten persönlicher Stigmatisierungen oder in der Nachbereitung von Blockaden und anderen Rechtsbrüchen. Im Fall der AfD sind örtliche Jugendorganisationen von Grünen und Jusos faktisch als Verbündete der Antifa hervorgetreten, ohne daß sie Maßregelungen oder Sanktionen durch ihre Mutterparteien erfahren haben oder diese in der Presse gefordert wurden. Das kommt einer stillschweigenden Autorisierung durch sie gleich.

In der Weimarer Republik führten die politisch motivierten Gewalttäter den Staat in seiner Machtlosigkeit vor. Heute, da man unter „Staat“ nur noch die von den etablierten Parteien dominierten Institutionen begreift, drängt sich der Eindruck einer Bündnisstrategie auf. Die Kämpfer „gegen Rechts“ befolgen die staatlichen Intention auf eine äußerst wirksame Weise, die den Institutionen selbst gesetzlich verboten ist. Der Verzicht auf Verfolgungsdruck gibt ihnen den Eindruck der Gefahrlosigkeit und Allmacht und eröffnet ihnen künftige Handlungsräume. Auf diese Weise lassen sich informelle Strukturen stabilisieren, verstetigen und ihre Effizienz steigern. Die staatliche Finanzierung dubioser Organisationen, die sich dem „Kampf gegen Rechts“ widmen, vervollständigen diese Strategie.

Warum aber konnte die harmlose AfD derart zum Feindobjekt werden? Das hat mit dem Scheitern des Euro zu tun. Alle Ziele, welche die politisch-mediale Klasse zur Einführung der Gemeinschaftswährung proklamierte, wurden verfehlt. Die Differenzen und Unterschiede zwischen den beteiligten Ländern sind größer, Europa ist im Weltmaßstab schwächer geworden denn je. Die letzte Konsequenz wird sein, daß die Ersparnisse der Deutschen an die internationale Finanzindustrie übergeben werden. Die dritte Kapitulation innerhalb von hundert Jahren.

Da der selbstzerstörerische Handlungszwang, dem die Funktionseliten beim Euro gehorchten, ein unbewußter, ihre subjektive Motivation mithin eine positive war, kann man davon ausgehen, daß sie ihr Versagen empfinden, und zwar schmerzhaft. Die Aggression gegen die AfD folgt neben politischen auch psychologischen Motiven, die der Sozialphilosoph Wolfgang Schivelbusch in anderem Zusammenhang (in seinem Buch „Die Kultur der Niederlage“) beschrieben hat: Es geht um die „Auslöschung des eigenen Schandflecks durch Vernichtung derer, die mit ihrer bloßen Existenz das (verkörpern), was (sie selber) verfehlt, um nicht zu sagen: verraten hatten.“ Indem die AfD an dieser Stelle einen öffentlichkeitswirksamen Widerstand leistet, wird er „zum Stachel im Fleische derer, die diesem Anspruch nicht genügt hatten“.

Vor allem für die Linken aller Couleur, die sich als Interessenvertreter der Kleinverdiener verstehen, ist deren Ausplünderung durch die Europäische Zentralbank und Finanzindustrie eine peinliche Angelegenheit. Doch die Ideologie der nationalen Selbstabschaffung, die sie wie alle anderen verinnerlicht haben und die als Staatsideologie gerade durchgesetzt wird, sowie persönliche Karriereinteressen hindern sie, ihrem Scheitern auf den Grund zu gehen, die Pathologie zu durchbrechen und die Haltung zu ändern.

Ähnliches gilt für die meisten Journalisten, die einräumen müßten, als Achtgroschenjungen agiert zu haben. Das allgemeine, das Staatsversagen darf nicht öffentlich werden. Das unterdrückte Bewußtsein davon entäußert sich, indem es zur Gewalt motiviert und sich in ihr entlädt. Die politisch motivierte Gewalt ist in der aktuellen Staatsideologie angelegt.

Foto: Rest eines Wahlplakats der Partei Alternative für Deutschland (AfD): Massive Behinderungen bis hin zu körperlichen Angriffen

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