© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Merkels Angst und Schröders Krieg
Wahlkampf: Die Lage in Syrien weckt Erinnerungen an den Antikriegs-Kurs der SPD im Jahr 2002
Paul Rosen

Mit der Angst lassen sich Stimmen mobilisieren oder verlieren. „66 Prozent der Deutschen wollen keine Partei wählen, die für Krieg ist“, schrieb die Bild am Sonntag knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl. Genauso verhalten sich fast alle Berliner Parteien. Schon vor dem Fernsehduell von Kanzlerin Angela Merkel und dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück war klar, daß weder CDU/CSU noch SPD auch nur daran dachten, der vom amerikanischen Präsidenten Barack Obama geplanten „Koalition der Willigen“ gegen den syrischen Herrscher Assad beizutreten.

Im Duell zeigten sich Kanzlerin und Herausforderer einig, daß sie nicht an Vergeltungsschlägen für den angeblichen Einsatz von Chemiewaffen durch das Regime von Damaskus mit deutschen Truppen teilnehmen würden. Daran hat sich auch nach dem Duell nichts geändert: „Deutschland wird sich in keinem Fall beteiligen“, versicherte Regierungssprecher Steffen Seibert am Tag nach dem Duell. Allenthalben wird empfohlen, daß es zu einer gemeinsamen Position im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen kommt, wo die Vetomächte Rußland und China bisher einer Militär-intervention nicht zustimmen wollen.

In den Berliner Parteizentralen ist der Wahlkampf 2002 noch gut in Erinnerung. Damals stand Kanzler Gerhard Schröder (SPD) angesichts schlechter Wirtschaftsdaten das Wasser bis zum Hals. Zudem lieferte die rot-grüne Koalition kein gutes Bild in der Öffentlichkeit ab. Es sah im Sommer 2002 so aus, als würde mit Edmund Stoiber (CSU) erstmals ein Bayer ins Kanzleramt einziehen. Doch dann kam „Schröders Krieg“ (FAZ vom 9. August 2002). Die Vereinigten Staaten wollten den irakischen Diktator Saddam Hussein stürzen und sein Regime beseitigen. In Deutschland ging die Kriegsangst um, und Schröder ergriff die Chance, sich als Pazifist aufzuspielen, obwohl er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Vereinigten Staaten „uneingeschränkte Solidarität“ versprochen hatte. Um die Wahl zu gewinnen, ging er auf Gegenkurs zum großen Verbündeten. „Kanzlers letzter Halt“ (Rheinischer Merkur) hielt, Stoiber führte einen „Eiertanz“ um seine Haltung zum Irak-Krieg auf und verlor die Wahl.

Das will Kanzlerin Merkel nicht erleben. Besonders gelegen kamen der Regierung in Berlin Obamas Schwierigkeiten bei der Bildung einer „Koalition der Willigen“. Ausgerechnet die Briten, über zwei Weltkriege hinweg die treuesten Verbündeten der Vereinigten Staaten, gingen von der Fahne. Obama blieb in Europa nur Frankreich, zu dem die Vereinigten Staaten aber seit de Gaulles Zeiten ein gesundes Mißtrauen haben. Besonders die Wende in London, als das Unterhaus Premier David Cameron und den Vereinigten Staaten die Gefolgschaft verweigerte und jede Truppenstellung ablehnte, brachte Berlin auf strikten Nein-Kurs. Steinbrück, der noch Mitte der vergangenen Woche Optionen offengehalten hatte, zitierte nun Altkanzler Helmut Schmidt: „Hundert Stunden Verhandlungen sind besser als eine Minute Schießen.“ Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der zunächst noch in der Neuen Zürcher Zeitung verbreitet hatte, man könne sich eine politische Lösung für Syrien „kaum mehr vorstellen“, wurde nach dem Abfall der Briten mutig und mochte keine Truppen stellen: Eine deutsche Beteiligung sei „weder nachgefragt worden, noch wird sie von uns in Betracht gezogen“. Noch hoffnungsvoller blickt Berlin jetzt nach Washington, wo Obama einen Angriffsbefehl von der Zustimmung des Kongresses abhängig machen will. Das soll möglichst bis Ende September dauern, wünschen Kanzleramt und SPD-Zentrale unisono – auch mit Blick auf die in der Türkei nahe der syrischen Grenze stationierten Einheiten der Bundeswehr.

Die Linke lehnt jeden Angriff auf Syrien grundsätzlich ab: „Er wäre nicht einmal mit einem UN-Mandat legitim, ohne ist er eindeutig völkerrechtswidrig und brüskiert die Vereinten Nationen“, lautet die Haltung der Partei. Nicht ganz so deutlich ist die Position der Grünen. Spitzenkandidat Jürgen Trittin warnt vor einem Alleingang der Vereinigten Staaten, weil damit China und Rußland aus der Verantwortung entlassen würden. Auf die Frage, ob sich Deutschland bei einem Mandat der Vereinten Nationen am Angriff beteiligen solle, wich Trittin aus: „Ich beantworte ungern Fragen, die spekulativ sind.“ Seine Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt wurde schon etwas deutlicher: „Es gibt Menschenrechtsverletzungen, die so drastisch sind, daß der Weltgemeinschaft nach diplomatischen Verhandlungen, Druck durch Sanktionen, als letztes Mittel nur ein militärisches Eingreifen bleibt.“

Daß die grüne Szene sich weit vom früheren Pazifismus entfernt hat und in Bombenstimmung ist, machte vergangene Woche ein Leitartikel in der taz mit der Überschrift „Einmischen jetzt!“ deutlich. „Erst wenn der Syrienkonflikt international eskaliert, wird es eine Verhandlungslösung geben“, so der Tenor.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht im Februar deutsche Flugabwehreinheiten im türkischen Kahramanmaras: In Berlin fragt man sich, was passiert, wenn die Türkei in den Syrien-Konflikt eingreift

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