© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Pankraz,
M. Gabriel und die Abschaffung der Welt

Richtig Furore macht in naturphilosophisch interessierten Kreisen ein Buch des jungen Gelehrten und Bonner Professors Markus Gabriel (33), eines überzeugten Skeptikers, der seinen Skeptizismus eines Tages gleichsam auf die Spitze trieb und seitdem lautstark an der Existenz der ganzen Welt zweifelt. „Warum es die Welt nicht gibt“ heißt sein Buch (Ullstein Verlag, Berlin 2013, gebunden, 272 Seiten, 18 Euro), das in kürzester Zeit sechs üppige Auflagen erlebte. Denn das Publikum ist alarmiert. Wenn es die Welt nicht gibt, dann gibt es ja auch kein Publikum! Stimmt das denn wirklich? Wie kann man so etwas behaupten?

Nun, um vorab Entwarnung zu geben: Ganz so scharf hat es Gabriel nicht gemeint. Es gibt bei ihm zwar nicht „die Welt“, aber dafür durchaus alles übrige, was sich üblicherweise in „der Welt“ tummelt. Dazu gehören nicht nur Moleküle, Atome, Elektronen, auf die die Physiker die vollplastischen Gestalten des uns entgegentretenden Lebens so gern „zurückführen“, sondern auch diese Gestalten selbst und natürlich auch wir als Beobachter mitsamt aller unserer Einsichten und Irrtümer, Träume, Wünsche, Hoffnungen und Enttäuschungen.

Gabriel nennt das alles „Sinnfelder“. Es spielt keine Rolle, ob das eine oder andere nun „objektiv“ oder „subjektiv“ ist, draußen oder drinnen, anfaßbar oder nur eingebildet, halluziniert, vorgegaukelt – alles, ob nun eine reale Milchkuh oder nur ein eingebildetes Einhorn oder ein Engel auf Wolke sieben, steht von vornherein in einem Sinnfeld, bedeutet etwas, und deshalb existiert es auch. Auf die Identität von Existenz und Sinnfeld legt Gabriel allergrößten Wert. Ohne Sinnfeld keine Existenz. Und deshalb also gibt es die Welt nicht – weil sie kein Sinnfeld hat.

Zitat Gabriel: „Es ist unmöglich, daß die Welt in einem Sinnfeld erscheint, das neben anderen Sinnfeldern erscheint. Daraus folgt nämlich, daß es die anderen Sinnfelder gar nicht geben kann. Deshalb können wir festhalten: Die Welt kommt in der Welt nicht vor.“

Der Spruch klingt wuchtig und definitiv, er leuchtet zunächst ziemlich ein, zumal sein textuelles Umfeld verführerisch funkelt. Das Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ ist gut geschrieben, es ist grundgelehrt, streckenweise geradezu abgeklärt, und wird dennoch von einem jugendlichen Schwung vorangetrieben, der recht sympathisch wirkt und wohl gerade junge Leser, die sich wenig für Philosophie interessieren, für sich einnehmen mag. Aber hält seine Grundthese auch wirklich allen Einwänden stand? Gibt es wirklich kein Sinnfeld, dem sich „die Welt“ zuordnen läßt, ohne sofort alle Existenzkraft zu verlieren?

Pankraz als gelernter Existentialist, der mit den Büchern von Heidegger, Sartre und Camus groß geworden ist, zweifelt daran. Es gibt doch die Kategorie des „Nichts“, die genauso allumfassend und unspeziell ist wie die Kategorie der „Welt“. so daß sich beide decken, ohne sich dabei gegenseitig zu vertreiben oder existentiell zu schwächen. Indem Gabriel die „Nichtexistenz“ der Welt behauptet, macht er ja ein kräftiges Gleichheitszeichen zwischen Nichts und Welt, behauptet ihre Identität. Der Mann ist ein verschämter Existentialist.

Seine Dauerkritik am sogenannten Konstruktivismus in der neueren Philosophie (Kambartel, Kamlah, Kuno Lorenz, Erlanger Schule) könnte von Heidegger stammen. Die pragmatische oder konstruktivistische Polemik gegen den „naiven Realismus“, konstatieren beide, greift viel zu kurz und zeugt von Seinsvergessenheit. Es kommt in der Erkenntnistheorie nicht auf die Privilegierung eines subjektiven, angeblich Leben fördernden technizistischen Standpunkts an, vielmehr gilt es, sich klarzumachen, daß „vis-à-vis-de-rien“ alle Aspekte gleich sind und man sich primär dieser Einsicht stellen muß.

Tiefgreifende Unterschiede zwischen dem Existentialismus und der Position Gabriels, so weit aus dessen Buch erkennbar, treten weniger in der Erkenntnistheorie als vielmehr in der Morallehre und in der praktischen Lebensphilosophie zutage. Für die Existentialisten war die „Konfrontation mit dem Nichts“ (Sartre) eine von vornherein tragische Position, faktisch ein ewiger Kriegszustand; der vom einzelnen ständig schwersten Einsatz und die Gewärtigung schlimmster Ernstfälle forderte. Und indem sie jeden Realbezug zur Transzendenz leugneten, verschärften sie die Lage noch, machten das Individuum einsam, verwundbar und sinnlos aggressiv.

Für Gabriel spielen Begriffe wie Ernstfall, Grenzsituation oder Kriegszustand nicht die geringste Rolle mehr; in diesem Belang ist er ein typisches Wohlstandskind der westlichen Welt. Seine Beispiele für Ist-Zustände und ihre Deutung bezieht er vorzugsweise aus amerikanischen Fernsehserien oder irgendwelchen Popmusiken. Transzendenz, Religion, der liebe Gott oder der kategorische Imperativ sind für ihn ebenfalls nur Sinnfelder, die nötigenfalls leicht ausgetauscht werden könnten.

Auch die Kunst, der er ein Extrakapitel widmet, ist für ihn nichts weiter als eine Gelegenheit zur Schaffung neuer Sinnfelder. Um die Qualität oder Nichtqualität einzelner Kunstwerke kümmert er sich nicht; da huldigt er schlankweg der alten Devise des „Anything goes“. Interessant ist für ihn einzig und allein, daß die Kunstobjekte „neue Perspektiven“ schaffen. „Wir sind nicht auf uns selbst oder sogar nur auf unser Bewußtsein beschränkt“, schreibt er. „Wir leben gemeinsam in unendlich vielen Sinnfeldern, die wir uns auf immer neue Weise verständlich machen. Was wollen wir mehr?“

Hier kommt Pankraz ins Kopfschütteln. Will unser Bonner Philosoph wirklich nicht mehr? Das wäre doch ein bißchen allzu wenig. Und immerhin: Im Nachspann seines Buches preist er enthusiastisch eine alte US-Fernsehserie von Jerry Seinfeld an, weil sie eine „show about nothing“ gewesen sei, eine Schau über nichts. Oder meinte er vielleicht doch eine Schau über das Nichts? Vielleicht wird noch was. Man soll die Hoffnung bei Jungprofessoren nicht so schnell aufgeben.

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