© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

An vielen Orten Spuren hinterlassen
Design oder Nichtsein: Ausstellungen zum 150. Geburtsjahr des Architekten und Designers Henry van de Velde
Sebastian Hennig

Deutschland als das abendländische Mittelland eignet sich schon immer als Probierfeld für künstlerische Ideen und gesellschaftliche Projekte von auswärts, die an ihrem Herkunftsort umständehalber nicht zur Reife gelangen können. Viele auswärtige Künstler erklimmen darum hier die ersten steilsten Stufen zu ihrem Ruhm.

Die dezentrale und vielschichtige Kulturlandschaft als Erbe der Kleinstaaterei und das bürgerliche Stiftungs- und Vereinsleben hält dafür die besten Möglichkeiten bereit. Eine breite Bildungsschicht, offenes, extrem fremdenfreundliches und begeisterungsfähiges Publikum garantiert den auswärtigen Außenseitern weittragende Triumphe.

Bedeutende Werber für die versammelte Avantgarde West- und Nordeuropas waren beispielweise Harry Graf Kessler, Julius Meier-Graefe und Karl Ernst Osthaus. Diese arbeiteten bei der Gestaltung von Ausstellungsräumen bevorzugt mit dem Flamen Henry van de Velde zusammen. Auch der junge Edwin Redslob, der 1912 in Erfurt mit nur 27 Jahren der jüngste Museumsdirektor Deutschlands wurde, übertrug diesem in den wenigen Jahren, bevor Europas Wohlstand im Krieg abgefackelt wurde, die Planung eines Museumsneubaus für die Erfurter Sammlungen, der allerdings nicht ausgeführt werden sollte.

Van de Velde, 1863 in Antwerpen geboren, trat in die Öffentlichkeit als Kunstmaler und wurde 1888 Mitglied der Gruppe „Les Vingt“, unter anderem gemeinsam mit James Ensor, Fernand Khnopff und Théo van Ryssel-berghe. Die Berührung mit den ästhetisch-sozialistischen Reformideen der Engländer William Morris und John Ruskin bewirkte 1894 die Abwendung von der freien Kunst.

Fortan beschäftigte er sich mit Kunsthandwerk und Architektur. Dekorative Werbung und Formgestaltung für die Kölner Tropon-Werke, eine Kleiderkollektion für die Krefelder Textilindustrie und verschiedene Zimmereinrichtungen begründen seinen Erfolg auf diesem Gebiet. 1898 gründet er die „Henry van de Velde GmbH. Kunstwerkstätten“.

In der Ausstellung „Henry van de Velde und Edvard Munch in Chemnitz“ in den dortigen Kunstsammlungen hängt das Tropon-Plakat an der Wand, davor sind Tische auf graue Flächen gestellt. Ein steiles Kanapee mahnt aufrecht zu sitzen. Der weiße Esszimmertisch auf den Bronzerollen stammt aus dem Besitz des Künstlerkollegen Ludwig von Hofmann. Ein Kleiderschrank zeigt gleichmäßig ausladende Formen wie ein barocker Beichtstuhl. Die ledernen Sitzflächen der Hocker und Lehnsessel sind vom Gebrauch geadelt.

Edvard Munch bindet auf seinen Porträts Figuren in Formzusammenhänge ein. Die Gegenüberstellung mit den Möbeln gibt seiner Methode einen kunsthandwerklichen Stich. Was den Maler hier so wiedererkennbar und modisch macht, das hat nichts mit dem inneren Feuer seiner Bilder zu tun. Die Sorgen der Banausen, ein Bild möge doch ja zum Sofa passen, werden schlau beschwichtigt durch eine vorauseilende dekorative Einheit der Gestaltungssprache. Der Abstich aus des Norwegers malerischer Glut wird gehalten in der Gußform des modischen Ausdrucks. Und der war damals preziös und knapp, als eine bürgerliche Variante der Hofkunst.

Während seiner Weimarer Zeit wurde van de Velde von dem Industriellen Herbert Eugen Esche für den Bau einer Villa in Chemnitz und eines Tennisklubgebäudes herangezogen. Das mußte zu DDR-Zeiten dem Neubau eines Altersheims weichen. Die Villa Esche dagegen ist erhalten geblieben, wurde rekonstruiert und es finden dort heute Trauungen, Feiern und Vorträge statt. Die Ausstellung zeigt Pläne und alte Fotografien.

1905 porträtierte Munch das Ehepaar Esche. Sie bleibt in formlosen Tuchmassen verborgen, während er vorm roten Grund hervorsticht, korrekt gekleidet, mit feinen und reservierten Zügen. In Vitrinen der Ausstellung liegen Vorlegegabeln, Tortenheber und Soßenlöffel. Ton in Ton darüber an der Wand schimmern dazu silbrigen Kaltnadelradierungen von Edvard Munch.

Eine ganze Reihe von Ausstellungen zeichnet in diesem Jubiläumsjahr die Spuren des umfassenden Gestaltungsentwurfs von Henry van de Velde nach. Im Frühjahr zeigte das Osthaus-Museum in Hagen eine Fotoausstellung zu den privaten Wohnlandschaften des Künstlers und seiner Kundschaft. Unter dem Titel „Alleskünstler“ sind die Ausstellungen zu Henry van de Veldes Wirken in Mitteldeutschland zusammengefaßt. Der Titel gibt zu denken. Die Flucht von der selbstverantworteten, ja selbstherrlichen Kunstäußerung in die angewandte Formgestaltung beinhaltet auch eine Resignation mit Blick auf die Wirksamkeit der eigenen Schaffenskraft. Denn wer alles kann, der kann meist nichts richtig. Ab September kann in Jena an Beispielen des malerischen Werks des Alleskünstlers überprüft werden, inwieweit diese Vermutung berechtigt ist.

In Bürgel wird derzeit die Keramik gezeigt. Gera, Apolda und Jena sind weitere Ausstellungorte. Das Erfurter Angermuseum reflektiert die gemeinsamen Bemühungen von Redslob und van de Velde um ein „Universalmuseum für Erfurt“. An dieser Unternehmung wird wie an einem Leitfossil deutlich, was der Einschnitt von Krieg und Inflation für unsere Weltgegend bedeutete. Unklar bleibt nur, ob die so durchkreuzten Baupläne eine verhinderte Normalität bedeuten, oder ob sie ihrer Natur nach bereits eine ästhetische Vorankündigung des kommenden Krieges darstellen in ihrer gleichermaßen organischen wie technischen Gestalt.

Ein fachübergreifendes Forschungsprojekt der UdK und TU Berlin zu „Bionik und Design“ stellte 2008 fest: „Eines der ersten Produkte, das gemäß Anspruch und mit Aufwand funktional gestaltet, ergonomisch geformt, fachübergreifend entwickelt und großseriell produziert wurde, ist der Stahlhelm. Daher lautet ein Auftrag des Designs und der Bionik: die schnellstmögliche Zivilisierung von Erkenntnissen aus der Natur.“ (In der US-Army wird der neue optimierte Stahlhelm wegen des Ursprungs seiner konkurrenzlosen Formgebung als „Fritz“ bezeichnet.)

Auch der Museumsentwurf für Erfurt weist eben jene Merkmale organischer Konstruktion auf. Er sollte auf die Daberstedter Schanze in der Nähe des Hauptbahnhofes gesetzt werden. Erst 1873 war die Stadt entfestigt worden und dabei diese Schanze zum Stadtpark umgewidmet worden. Das vom Bildhauer Richard Scheibe angefertigte Modell der begehbaren Skulptur des Erfurter Museums wurde für die Ausstellung dem verschollenen Original nachgebildet.

Edwin Redslob wechselte nach dem Krieg zur Staatsgalerie nach Stuttgart und erhielt später noch die Gelegenheit weit umfassenderer Gestaltungen. Denn 1919 wurde er zum Reichskunstwart der Weimarer Republik bestellt. In diesem Amt verfügte er über das Aussehen der Hoheitszeichen, Auszeichnungen und Wertpapiere. Einige der Standarten der Weimarer Zeit finden in dieser Gestalt heute noch für das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland Verwendung. Nach 1945 wurde Redslob Gründungsrektor der Freien Universität Berlin und Herausgeber des Tagesspiegel. Henry van de Velde starb 1957 in Zürich.

Die Ausstellung „Henry van de Velde und Edvard Munch in Chemnitz“ ist bis zum 29. September täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr in den Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, zu sehen. Telefon: 03 71 / 488 7024

www.kunstsammlungen-chemnitz.de

Die Ausstellung „Henry van de Velde und die Bürgeler Jugendstil-Keramik“ ist bis zum 22. September im Keramik-Museum Bürgel, Am Kirchplatz 2, täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr zu sehen. Telefon: 03 66 92 / 37 333

www.keramik-museum-buergel.de

Henry van de Velde im Haus Schulenburg Gera, Straße des Friedens 120, bis 22. Dezember 2013. Telefon: 03 65/8 26 41-0

www.haus-schulenburg-gera.de

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