© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Operation Doro 93
Marcus Schmidt

Eine Gewinnergruppe der Bundestagswahl steht schon fest: Es ist die kleine Spezies der Abgeordneten, die im Unterschied zu anderen Berufsgruppen keine Einkommen oder Renten beziehen, sondern „Diäten“ erhalten. Ihre Zahl dürfte sich nach dem 22. September kräftig vermehren.

Das alles ist eine Folge des neuen Wahlrechts, zu dem das Bundesverfassungsgericht die Berliner Politiker gezwungen hatte. Obwohl die Karlsruher Verfassungswächter komplizierten Sachverhalten nicht abgeneigt sind, mochten sie das kuriositätenreiche und widersprüchliche deutsche Mischwahlrecht aus Stimmkreisen und Landesreservelisten nicht leiden. Dies hatte bei einer Nachwahl wegen des Todes eines Bewerbers tatsächlich dazu geführt, daß CDU-Anhänger ihrer Partei am besten damit halfen, indem sie der Wahl fernblieben oder SPD wählten. Die Richter verdonnerten den Bundestag zu einer Neufassung des Wahlrechts, und die Einigung erfolgte erwartungsmäß auf ein noch komplizierteres Wahlrecht, das jetzt gar niemand mehr versteht, das aber in letzter Konsequenz zu einer weiteren Aufblähung des Parlaments führt.

Statt 620 könnten bis zu 680 Abgeordnete und damit 60 mehr als bisher in 18. Deutschen Bundestag sitzen. Das würde die Steuerkasse mit mindestens 35 Millionen Euro belasten, hat der Bund der Steuerzahler bereits berechnet. Vergeblich appellierte Steuerzahler-Präsident Reiner Holznagel: „Anstelle einer Erweiterung ist eine Verkleinerung des Bundestages das Gebot der Stunde.“

Vergeblich war der Appell deshalb, weil der Beschluß, neben den bisherigen Überhangmandaten neue Ausgleichsmandate zu schaffen, längst gefallen ist. Die Bundestagsverwaltung ist dabei, den neuen Volksvertretern entsprechende Büroflächen zu schaffen. Keiner von ihnen soll auf die Annehmlichkeiten wie große Büros und Vorzimmer sowie Platz für Referenten verzichten müssen. Wegen der Gebäudelage heißt die Operation in der Bundestagsverwaltung „Doro 93“. In der Dorotheenstraße nahe am Reichstag, einem Gebäude aus Vorkriegszeiten, waren bisher Personalbehörden des Bundestages untergebracht. Die sind längst ausgezogen, zur Zeit renovieren Handwerker das in die Jahre gekommene Gebäude. Die zusätzlichen Abgeordneten hätten damit einen zentralen Sitz in Berlin, von dem aus sie in wenigen Minuten im Reichstagsgebäude wären.

Die Umbaukosten werden auf rund zehn Millionen Euro beziffert. Sie müssen noch zu den 35 Millionen Euro Kosten für Diäten und Kostenpauschalen hinzugerechnet werden. Notwendig erscheint die ganze Operation nicht. In welche Ausschüsse sollen die neuen Volksvertreter? Die vorhandenen Säle sind bereits überfüllt, und außerdem gibt es völlig aus den Nähten platzende Gremien wie den Ausschuß für Tourismus, dessen einziger Sinn darin zu bestehen scheint, daß seine Mitglieder ausgedehnte Reisen unternehmen können. Hinzu kommt: Der Bundestag trennt sich von immer mehr Zuständigkeiten, die er nach Brüssel abgibt. Immer mehr Abgeordnete werden also immer weniger zu sagen haben.

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