© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Zum Raum wird hier die Zeit
Mit Musik bewegende Bilder erzeugen: Richard Wagner und die Filmkunst
Sebastian Hennig

Musikalische Puristen, denen die Klangentfaltung von Richard Wagners Musik zu aufdringlich ist, qualifizieren diese gern als eine Art Filmmusik ab. Der oberfächliche Vergleich zwischen Wagners Musikdramatik und beispielsweise der Kitsch-Saga „Herr der Ringe“ verkehrt das Verhältnis von Anregung und Wirkung. Kunst spielt mit der Wahrnehmungsweise und verändert diese zugleich.

Ein schönes Beispiel dafür ist jene Legende, nach welcher der sagenhafte Bildhauer Daidalos als erster die Götterfiguren mit geteilten Beinen schreitend dargestellt haben soll. Seine an monolithische Stelen gewöhnten Zeitgenossen meinten darauf, er verstünde den Figuren wirkliches Leben einzuhauchen und diese kämen auf sie zu.

Gerade so ist es mit Wagners Musik. Wer die Ouvertüre zur romantischen Oper „Lohengrin“ hört, wird feststellen können, wie hier die Musik zum ersten Mal räumliche Eindrücke bewirkt. In Anlehnung an die Worte aus „Parsifal“ ließe sich sagen: „Zum Raum wird hier die Zeit.“

Der Dirigent Christian Thielemann schildert in seinem Wagner-Buch die Kampfszene im Schlafgemach wie ein Film-Fan: „... und dann nur Stille, Stille, Stille. Vier Takte Pauke allein. Da denkt man, das Herz bleibt einem stehen. Und was setzt Wagner gegen diese lastende, lähmende Depression? Den Reitermarsch, schmetternde Fanfaren, ‘Heil, König Heinrich! / König Heinrich Heil!’, mit zehn, zwölf Trompeten auf der Bühne! Was für ein verrückter, toller Kontrast! Wie im Film! Dieser Hund.“

Diese synästhetische Dimension von Raumeröffnung und -verengung kündet nicht allein vom Beginn des Wagnerschen Gesamtkunstwerks. Der Tonfilm als Kunst nimmt hier gleichfalls seinen Ausgang, ähnlich wie die Psychoanalyse als Geiltrieb aus dem zweiten Tag des Rings, dem „Siegfried“ hervorsprießt. Wer einmal versucht, ein filmisches Melodram ohne Begleitmusik zu ertragen, verspürt, wie allein diese noch die absurdesten Verhältnisse zu einer Art Handlung verknüpft.

Lange bevor aus der Wirkungsweise der Wagnerschen Klangkunst gewaltiges Gefühlskino erwuchs, wurde sein abenteuerliches Leben selbst zum Filmstoff. Bereits 1913 entstand der achtzigminütige Stummfilm „Richard Wagner“ von Carl Froelich. Der italienische Komponist und Schauspieler Giuseppe Becce spielte die Hauptfigur und verfaßte die Filmmusik nach Motiven von Mozart, Haydn und Rossini. Denn Wagners Musik stand dafür nicht zur Verfügung. Eine Profanisierung im Filmtheater wäre für die Nachlaßverwalterin Cosima Wagner undenkbar gewesen. In diesem Wagner-Jubiläumsjahr wird der frisch restaurierte Film nun an verschiedenen Orten mit großer Orchesterbegleitung aufgeführt.

Mit D. W. Griffiths „The Birth of a Nation“ (1915) beginnt die Ära des epischen Langfilms. Der Amerikaner schert sich nicht um deutsche Urheberrechte und verwendet den „Walkürenritt“ als musikalische Untermalung. Zu hören ist dieses Stück, von der Kriegsberichterstattung der deutschen Luftwaffe abgesehen, unter anderem auch in Billy Wilders Komödie „Eins Zwei, Drei“ (1961), dem Italowestern „Mein Name ist Nobody“ (1973) und in Francis Ford Coppolas Vietnamfilm „Apocalypse Now“ (1979), ebenso ein Jahr später in dem Kultfilm „Blues Brothers (1980) sowie zuletzt in „Watchmen – Die Wächter“ (2009).

In dem berühmtesten Fall, „Apocalypse Now“, wird der Einsatz als lärmende Musikkonserve selbst zum Thema. Die Beschallung soll die psychologische Wirkung eines Angriffs steigern. Der Kameramann Vittorio Storaro wird für diesen häßlichen Übergriff vier Jahre später mit großartigen Filmbildern für Tony Palmers Epos über das Leben Richard Wagners sühnen.

Die britisch-ungarische Koproduktion mit Richard Burton in der Rolle des „Wagner“ beruht auf den kurz zuvor edierten Tagebüchern von Cosima Wagner. Während die zeitgleich entstandene und ästhetisch ähnliche Film-Hagiographie „Gandhi“ von Richard Attenborough eine große Auszeichnungswelle und weltweite Verwertung erfährt, bleibt „Wagner“ eine Legende. Es heißt sogar, die Produktionsfirma hätte das Negativmaterial vernichtet. Eine autorisierte DVD-Produktion erreicht erst 2011 den Markt, die deutsche Fassung ist jetzt pünktlich zum Jubiläum erschienen.

1979 kam ein Film des sowjetischen Mosfilm-Studios in die Kinos, der rasch eine große Anhängerschaft fand. Andrej Tarkowski drehte „Stalker“ nach einer Erzählung der literarischen Fantasten Boris und Arkadi Strugatzki in einer Industriebrache in Litauen. Der Held reißt sich zu Beginn von seiner Familie los. Die Frau versucht ihn vergeblich zu halten. Als er sich endlich wendet, wirft sie sich schluchzend auf den Boden. Der Lärm eines vorbeirollenden Güterzugs deckt ihr Jammern zu. Diese Geräuschüberlagerung würzt Tarkowski noch mit einigen Takten Tannhäuser-Musik. In diesen wenigen Sekunden, die kaum vernehmbar und wie eine dumpfe Erinnerung sind, liegt möglicherweise der Knoten zu der Geheimnishaftigkeit dieser Handlung.

Unterdessen haben auch Kinofilm-Regisseure auf Wagner-Inszenierungen rückgewirkt. Werner Herzog brachte 1990 „Lohengrin“ auf die Bayreuther Bühne. Philipp Stölzl lieferte Filmbilder zu „Parsifal“, unlängst an der Deutschen Oper Berlin, und zum „Fliegenden Holländer“. Lars von Trier zeigte als einziger der großen Autorenfilmer ästhetische Skrupel, als er sich 2006 von einer Gestaltung des „Rings“ überfordert fühlte und sein Inszenierungsvorhaben für Bayreuth aufgab. Eine solche Einsicht hätte auch Christoph Schlingensief geehrt, der 2004 auf dem grünen Hügel den „Parsifal“ ins Szene setzte.

Opernfilme bieten ein zwiespältiges Erlebnis. Der sichtbare Kraftaufwand der Tonerzeugung bei den Sängern, die Dramatik des in Nahaufnahme abgefilmten Wagner-Gesangs, erdrückt meist die Handlung des Stückes. Hans-Jürgen Syberberg hat in einer „Wagner Edition“ fünf seiner Filme zusammengefaßt. „Es gilt Richard Wagner nicht zu bedienen oder zu bekämpfen, sondern fortzusetzen mit anderen Mitteln“, verkündet er.

Sein „Parsifal“ von 1982 ist kein solches Sänger-Theater. Er entstand als stumme Inszenierung zu einer musizierten und gesungenen Tonspur. Dadurch bleibt die ganze Sorgfalt der gestischen und mimischen Darstellung aufgespart. Edith Clever ist Kundry. Ihr faszinierend unhübsches Gesicht ist genau das, was diese Rolle braucht. Sie läßt das Dienen und das Höhnen an einer Person glaubhaft werden und ist eine tierhafte Magdalena im Haarkleid oder eine heilige Agnes. Dürre Arme wollen sich um Parsifal schlingen, als der sie wegen der Todesbotschaft im 1. Akt würgt.

Eine Felslandschaft ist nach der Totenmaske Wagners gebildet. Als eine Wand schließt sie sich hinter dem scheidenden Parsifal. Klingsor thront auf blutrotem Teppich auf Wagners Auge. Seine Ritter sind ferngesteuerte Kampfmaschinen mit bunkerartigen Helmen. Amfortas leidet schweißgebadet. Der Gral ist ein riesiger Turmalin, der ebenso wie die Tauben auf den Ordensgewändern für die hinterliegende Landschaft transparent ist. Auf dem Samtkissen liegt die Krone des Heiligen Römischen Reiches.

Und Syberbergs fünfstündiges Filmgespräch „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914–1975“ ist vielleicht der einzige Film, der es ernst meint mit der vielbeschworenen „Vergangenheitsbewältigung“ und vorbehaltlos bereit ist, die Wirklichkeit auszuhalten. Für den Regisseur führte er zum Zerwürfnis mit der Familie Wagner.

Tony Palmer beginnt seine achtstündige Darstellung mit dem Tod in Venedig. Zu den Bildern der Überführung des Leichnams wird ein zeitgenössischer Nachruf gesprochen: „Er nahm einen erhabeneren Rang ein, als König oder Kaiser, Papst oder Präsident. Keinem Monarchen diente man je mit mehr Begeisterung als Richard Wagner. Die Unfehlbarkeit eines römischen Pontifex wurde von strenggläubigen Katholiken niemals je vorbehaltloser zuerkannt, als der Person des Propheten von Bayreuth.“

DVD: Wagner – Das Leben und Werk Richard Wagners. Regie: Tony Palmer, 1982, Laufzeit etwa 466 Minuten (3 DVDs)

DVD: Richard Wagner. Parsifal. Regie: Hans-Jürgen, Syberberg, 1982, Laufzeit etwa 244 Minuten

Foto: Filmszene aus „Apocalypse Now“ (1979): Hubschrauber-Angriff zu Wagners „Walkürenritt“

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