© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Ein Schmerzensmann mit Kerbe auf der Stirn
Umgekehrte Integration: Der Kinofilm „Ummah – Unter Freunden“ handelt von der Aufnahme eines jungen verwirrten Deutschen in die muslimische Gemeinschaft
Sebastian Hennig

Ummah – Unter Freunden“ ist ein Film mit einiger spontaner Situationskomik und vielen zähen Minuten. Bereits die Exposition der Handlung ist quälend. Wir sehen die Folgen einer Schießerei in einer Kneipe. Das wirkt wie ein nachgestellter Ortstermin der mysteriösen Imbißbudenmorde. Bei Daniel (Frederick Lau) sickert das Blut aus einer Bauchwunde. Schließlich erhebt er sich benommen und schiebt die schweren Glieder in die Lederjacke, um den Tatort mit dem Fahrzeug zu verlassen.

Seine jahrelange Tätigkeit als verdeckter Ermittler für den Verfassungsschutz will er nun beenden. Er bekommt eine total verschmutzte und geplünderte Mietwohnung in Berlin-Neukölln zugewiesen. Nach den Versuchen einer notdürftigen Herrichtung der Behausung macht sich der Bewohner auf die Suche nach dem wichtigsten Zubehör, einem Fernsehempfänger. So gerät er in den Laden von Abbas (Kida Khodr Ramadan). und zwischen den beiden spielt sich nun mitten in Berlin eine Szene ab wie auf einem orientalischen Basar. Daniel erhält eine fantastische Garantie auf ein vorsintflutliches Gerät, aber keine Quittung.

Der Rekonvaleszent muß die riesige schwarze Kiste in seine Wohnung buckeln, wo dann nach wenigen Sekunden Betriebszeit die Röhre verlischt. Doch der füllige schwarzbärtige Araber erweist sich als zuverlässig und der Apparat selbst durchaus als betriebsfähig. Also macht Abbas mit seinem türkischen Mitarbeiter Jamal (Burak Yigit) einen Kundenbesuch, um die defekte Anschlußbuchse zu reparieren. Die Männergesellschaft um den Laden wird so zum ersten neuen Bezugspunkt des aus dem Irgendwo Zugezogenen.

Dagegen weist Daniel die Offerten der säkularen Afghanin Dina (Mona Pirzad) aus der Nachbarschaft so instinktlos wie schroff zurück. Sie ist erst aus ihrem Land geflohen, um nun bei einem der seltenen jungen Deutschen im Viertel Zuflucht vor dem Milieu zu suchen. Frederick Lau spielt den problematischen Typen mit Bravour. Seine Mimik bekundet die elementare Ordnungsbedürftigkeit einer abgeschlagenen Existenz. Mit einem sich suchend verschließenden Blick betrachtet er das Geschehen. Als jugendlicher Schmerzensmann mit tiefer Kerbe auf der Stirn ist er ein Abbild des jungen Deutschen in verwirrten Zeitläuften.

Mit kleiner Perspektivverschiebung steht man als Zuschauer neben dem türkischstämmigen Regisseur. Cüneyt Kaya, 1980 in Berlin-Wedding geboren, hat hier offenbar einen Film gedreht – es ist sein Spielfilmdebüt –, der seinem eigenen Milieu die Potenz und Komplexität einer mehrfach entgrenzten und zerdehnten Leitkultur vorführt und damit für die umgekehrte Integration des Individuums als solchen in die Gemeinschaft, die Ummah, wirbt.

Der Regisseur sagt von seinem Hauptdarsteller: „Freddy hat enorm viel Kraft in diesen Film gesteckt. Wir haben im Vorfeld sehr intensiv das Drehbuch durchgearbeitet. Er hat etwas ganz Besonderes, etwas Weiches, in seinem rauhen Äußeren verborgen, er hat unglaublich viel Kraft in seiner Darstellung und schafft es dadurch, so viele Emotionen auf einmal zu transportieren – man wird dadurch Teil seiner Reise, das macht diese Geschichte so einzigartig, das macht ihn so einzigartig! Wir kennen keinen, der so ein gutes Herz hat wie Frederick Lau, auf ihn ist wirklich immer Verlaß!“

Mehr als einmal haben sich so Filmdreh und Drehbuch miteinander verschränkt. So stürmte ein Sondereinsatzkommando der Polizei den Drehort, wegen des Verdachts einer reellen Gewalttat.

Von den neuen Kumpels wird Daniel unversehens zu einer türkischen Hochzeit eingeladen und verpackt dafür mit fehlgeleiteter Hingabe eine Flasche Sekt in farbiges Papier, sorgsam das Schleifenband mit dem Scherenrücken zwirbelnd. Nicht nur dieser unbefangene Alkohol-import in die muslimische Festkultur führt den ersten Bruch mit dem alternativlosen Milieu herbei. Dem heißblütigen Jamal, der eine zu Daniel diametral verlaufene Terror-Karriere hinter sich zu haben scheint, wird zudem durch dessen verschwitztes Hemd die Tätowierung einer Runensonne sichtbar.

Einige Verhängnisse später ist Daniel der muslimischen Ummah entglitten und in die Fänge der arabischen Ethnie abgerutscht. Bei einem smarten arbischen Dealer, der sich später als entarteter Bruder von Abbas entpuppen wird, erhält er mehrere weiße Pillen. Im nächtlichen Rausch dämmert er auf der Bank einer Bushaltestelle. Das Gesicht grünweiß bestrahlt vom Schein der Leuchtstoffröhre. So überfallen ihn drei Gelegenheitsräuber und treten ihm die Bauchwunde wieder auf.

Hier erweist sich die informelle zivile Kontrolle im Gebiet als lebensrettend. Abbas, der die verlorenen Schäfchen sammelt, stellt darauf Daniel in seinem Reparaturdienst ein. Der wird aber inzwischen bereits von seinen alten Auftraggebern bedrängt. Der Verfassungsschutz bedarf gegenwärtig eines Terror-Spektakels, um von einer Panne ablenken zu können und die eigene Notwendigkeit zu rekonstruieren. Dafür soll Daniel seine neuen Freunde ausliefern.

Mit etwas dramaturgischer Spannungsverdichtung wäre das ein Drehbuch wie für einen Tatort-Film geworden. Der ungelenke, zuweilen fast quälende Handlungsfortgang, durchsetzt mit kurzweiligen Szenen, kommt wohl der Wirklichkeit viel näher. Der Film verzichtet darauf, Tatsachen effektvoll zu sentimentalen Klischees aufzubürsten. Wer weiß, ob nicht auch das Verschwinden von Hauptheld und Handlung ins bedrohlich Ungewisse der Wahrheit näher kommt als manch virtuos gerundeter Spionage-Krimi.

Foto: Daniel (Frederick Lau) kauft bei Abbas (Kida Khodr Ramadan) einen Fernseher: Wie auf einem Basar

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