© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Forschung an vorderster Front
Das Heereswaffenamt im Zweiten Weltkrieg
Konrad Faber

Günter Nagel kann in seinem dickleibigen Buch über das Heereswaffenamt dem Berliner Historiker und Fachmann Sören Flachowsky mit seinen vielfältigen Publikationen zur Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Reichsforschungsrates zwischen 1920 und 1945 zustimmen. Dem Heereswaffenamt in Berlin gelang es zu Zeiten der Weimarer Republik und im Dritten Reich, wissenschaftliche „Ressourcen für bestimmte Gebiete punktgenau zu mobilisieren“. Ganz gleich, ob es um Raketen, Hohlladungen, rückstoßfreie Geschütze, Nacht- und Wärmebildsichtgeräte, nachbeschleunigte Geschosse, hochwertige Geschoßtreib- und Sprengstoffe oder wirksame elektrische Batterien und Funkfernsteuerungen ging, stets forschte man hier mit Verve und Nachdruck so erfolgreich, daß sich Amerikaner, Russen und Engländer nach Kriegsende unverzüglich der wissenschaftlichen Dokumentationen und der so erfolgreichen deutschen Wissenschaftler zu versichern suchten.

Nagel zieht durch seine Forschungen gleichfalls den lange Zeit fast vergessenen deutschen Wissenschaftsorganisator Erich Schumann ins Blickfeld der Öffentlichkeit und beschreibt die einstigen Forschungsstätten des Heereswaffenamtes in Kummersdorf, Gottow, Kranzbach und Lebus.

Geradezu spannend lesen sich die Ausführungen über die im Heereswaffenamt betriebene Atomforschung, obwohl oder gerade weil sich Nagel als ein Anhänger der Thesen des Historikers Rainer Karlsch bekennt, der die vorgeblich am 3. März 1945 in Ohrdruf erfolgte praktische Erprobung einer deutschen Atomwaffe auf Kernfusionsbasis mittels Hohlladungszündung für möglich hält, wie dieser in seinem Buch „Hitlers Bombe. Die geheime Geschichte der deutschen Kernwaffenversuche“ (München 2005) ausführte.

Obwohl Nagel immer wieder konstatieren muß, daß trotz aller seiner langjährigen archivalischen Forschungen, Zeitzeugenbefragungen und praktischen Untersuchungen an den historischen Orten noch Fragen genug zur deutschen waffentechnischen Forschung vor und während des Zweiten Weltkriegs offenbleiben, stellt das Buch mit seinen umfassenden, dokumentarisch belegten Feststellungen einen sehr gewichtigen Fortschritt dar.

Günter Nagel: Wissenschaft für den Krieg. Die geheimen Arbeiten der Abteilung Forschung des Heereswaffenamtes. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2012, gebunden, 708 Seiten, Abbildungen, 92 Euro

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