© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Stärke als Selbstzweck
Der US-Philosoph Leo Strauss und seine politische Schule des Neokonservatismus in der Kritik von rechts
Thorsten Brückner

Spätestens seit dem Irak-Krieg 2003 scheint Europa in den sogenannten Neocons das Grundübel amerikanischer Außenpolitik ausgemacht zu haben. Die meisten Journalisten und selbst viele Politikwissenschaftler wissen dabei in der Regel aber wenig über die geistig-philosophische Grundlage dieser Bewegung.

Daß der Begriff „konservativ“ in Amerika und in Europa jeweils für unterschiedliche Weltsichten steht, ist zu einem nicht unerheblichen Teil dem Durchbruch des Neokonservatismus in Übersee geschuldet, der den Paläokonservatismus beispielsweise eines Pat Buchanan heute, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, fast völlig marginalisiert hat. Liberale, die die New- Deal-Politik der Roosevelt-Regierung und selbst 1964 in der Regel geschlossen Lyndon Johnson unterstützt haben, bilden den Kern dieser Bewegung. Noch heute treten die meisten von ihnen für die Beibehaltung eines starken sozialen Sicherungssystems ein.

Eine der zentralen Figuren der Neokonservativen heute, Weekly-Standard-Herausgeber Bill Kristol, stimmte im November gar Präsident Obamas Forderung nach Steuererhöhungen für Reiche zu. In seinem Buch „Leo Strauss and the Conservative Movement in America“, gelingt es Paul Edward Gottfried vortrefflich, die geistige Grundlage dieser neokonservativen Bewegung sichtbar zu machen, die er in einer Linie mit dem philosophischen Wirken von Strauss und seinen Nachfolgern sieht. Das Buch führt auch den mit Strauss noch nicht vertrauten Leser sanft in die Thematik ein. Der Autor legt einen erfreulich großen Wert auf die biographischen Hintergründe von Strauss, der als deutscher Jude vor den Nationalsozialisten nach Amerika geflohen war. Ihm gelingt es darzustellen, daß die beiden Kernpfeiler von Strauss’ philosophischem Denken, das Bekenntnis zur liberalen Demokratie Lockescher Prägung und zum Zionismus ohne dessen biographische Besonderheiten nicht denkbar gewesen wären.

Durch den Aufstieg der Neokonservativen unter Präsident Ronald Reagan seit 1980 haben auch Strauss’ Nachfolger einen massiven Bedeutungszuwachs erfahren. Gerade mit ihrem Bekenntnis zum Zionismus trafen die Straussianer einen Nerv der amerikanischen Bevölkerung. Wie auch die USA als Einwandererstaat vom Prinzip her multiethnisch, stellt der Zionismus für die Amerikaner eine natürliche Assoziation mit der eigenen Geschichte her. Die einigende Klammer um Strauss’ Grundpfeiler bildet dabei sein strikt säkulares Weltbild.

Als Jude im Exil glaubte er, biete ein religiös neutraler Staat die sicherste Grundlage zum Überleben ethnischer Minderheiten. Kein Widerspruch besteht hier zu seinem zionistischen Credo: Israel ist schließlich ein liberal-demokratischer Staat mit säkularen Wurzeln. Daß Strauss wie Israels Staatsgründer David Ben Gurion ein großer Verehrer des jüdisch-säkularen Philosophen Spinoza war, ist dabei mehr als nur eine Randnotiz. Das Bekenntnis zur liberalen Demokratie gelte es demnach auch nach außen hin zu verteidigen, wenn vermeintliche US-Interessen in Übersee betroffen sind. Gottfried zitiert Strauss-Jünger Clifford Orwin, der sich sicher ist: Auch Strauss hätte den Krieg gegen Saddam Hussein 2003 unterstützt.

Wenig verwunderlich ist angesichts dieser Grundüberzeugungen Strauss’ gespanntes Verhältnis zu Carl Schmitt, dem er vorwarf, einem katholischen Autoritarismus anzuhängen, der seine Inspiration aus der Gegenaufklärung ziehe. Dem Verhältnis beider Denker schenkt das Buch große Beachtung. Neben Schmitt war für Strauss die Philosophie Max Webers Gegenstand heftigen Widerspruchs. Der von Werturteilen freien Sozialwissenschaft sei demnach auch vorzuwerfen, mit für die deutsche Katastrophe nach 1933 verantwortlich zu sein. Strauss’ Bekenntnis zum liberal-demokratischen Staat fußt auf seiner Liebe zur Aufklärung und einem uneingeschränkten Bekenntnis zur Moderne.

Eine Moderne freilich, die sich von den werterelativistischen Modernitätswellen abgrenzt, für die Strauss neben Weber Denker wie Friedrich Nietzsche oder Martin Heidegger verantwortlich macht, deren Nihilismus sich seiner Meinung nach aus dem Haß für liberale Gesellschaften speiste. Daß Strauss einen ähnlichen Werterelativismus auch bei Ludwig von Mises ausmachte, überrascht dabei schon kaum noch.

In den sechziger Jahren lieferte Strauss sich harte Debatten mit amerikanischen Sozialwissenschaftlern, denen er vorwarf, das „common good“ der alten Sozialwissenschaften beiseite gewischt zu haben, die Gleichheit aller Werte zu lehren, und dadurch ihre Pflicht vernachlässigt zu haben, die intellektuelle Verteidigung der USA während des Kalten Krieges wissenschaftlich zu begleiten.

Ein eigenes Kapitel widmet der Autor Strauss’ Kritikern von rechts, die, so Gottfried, von den Straussianern, anders als die Kritiker von der politischen Linken, stets mit Nichtachtung gestraft worden sind. Einem dieser Strauss-Kritiker, Thomas Pangle, den Gottfried anführt, ist es gelungen, die Strausssche Argumentationslinie zu entkräften, die Gründerväter der USA seien von universell liberalen und nicht etwa genuin christlichen Werten geleitet worden.

Es ist der große Vorzug des Buches, diese Kritiker gerade heute zu Wort kommen zu lassen – vor dem Hintergrund der lauter werdenden Kritik an der neoimperialistischen Außenpolitik der USA. Dem Buch ist vor allem in den Vereinigten Staaten eine große Verbreitung zu wünschen, zeigt es doch, daß Lincoln, Franklin Roosevelt und die Straussianer selbst keine Konservativen waren, sondern in der Tat Anhänger eines gefährlichen, mit enormer Machtfülle ausgestatteten Zentralstaates.

Das Buch gibt damit konservativen Amerikanern mit einem schon latent vorhandenen, doch recht diffusen Problembewußtsein eine Argumentationshilfe an die Hand; vor allem jenen, die dem neokonservativen Einschlag der republikanischen Partei zunehmend kritisch gegenüberstehen. Die Erfolge von konservativ-libertären Senatoren wie Rand Paul und Ted Cruz machen es deutlich: Der „sanften Tyrannei der Mehrheit“ begegnen mit Tocqueville immer mehr Amerikaner mit großer Skepsis.

Paul Edward Gottfried: Leo Strauss and the Conservative Movement in America. A critical appraisal. Cambridge University Press, Cambridge 2012, gebunden, 182 Seiten, 69 Euro

Foto: US-Verteidigungminister Donald Rumsfeld (l.) und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz im März 2003: Die Goldenen Zeiten der Neocons

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