© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Soviel Spannung wie nie
Dank des überraschenden Aufstiegs der Euro-kritischen „Alternative für Deutschland“ verspricht der Wahlabend Dramatik wie selten zuvor. Die JUNGE FREIHEIT blickt auf die Erfolgsaussichten der Parteien unmittelbar vor dem Urnengang
(JF)

 

Die Parteien

SPD

Pleiten, Pech und Pannen. Gerade einmal 21 Prozent hat die SPD bei der Landtagswahl in Bayern erzielt. Trotzdem haben die Genossen dies als großen Sieg gefeiert. Denn ihre Kampagne um den Spitzenkandidaten Peer Steinbrück hat nie wirklich Fahrt aufgenommen, da feiert man die Feste wie sie fallen. „Problem-Peer“ haben sie ihn genannt. In den vergangenen Wochen lief es allerdings schon etwas besser. Viele Deutsche können ihn sich, auch mit „Stinkefinger“, erneut als Finanzminister vorstellen – aber eben nicht als Bundeskanzler.

Die SPD hofft dennoch auf eine starke Mobilisierung der eigenen Anhänger, um ihren Preis für einen Regierungseinstieg möglichst hoch zu halten. Trotz der düsteren Aussichten rückt die Partei nicht vom Wahlziel ab. „Wir stehen für eine Koalition: für Rot-Grün“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag und schob vollmundig hinterher: „Wenn die FDP nicht einzieht, dann haben wir darauf auch eine große Chance.“ Er verschwieg dabei aber, daß dies wohl nur mit einer Tolerierung durch die Linke ginge. Und dies hat die SPD bisher ausgeschlossen. Da auch noch die Grünen auf der Zielgeraden ins Stolpern geraten sind, hoffen die Genossen auf das eigenen Lager. Das Motto: Die SPD soll so stark wie möglich werden – und sei es, um sich in eine große Koalition zu retten.

Prognose: Die SPD wird zulegen und ihr schwaches Ergebnis von 2009 übertreffen. Für Rot-Grün wird es nicht reichen. (cs)

 

DIE LINKE

Letzte Hoffnung Rot-Rot-Grün. Das Werben um die Gunst der SPD war ein bißchen zu aufdringlich für Sigmar Gabriel. Sahra Wagenknecht, Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine und eine der zahlreichen „Spitzenkandidaten“ der Linkspartei bei der Bundestagswahl, wollte dem SPD-Vorsitzenden unbedingt eine rot-rot-grüne Koalition einreden. Dabei wurde sie so offensiv, daß Gabriel die Nerven verlor und am vergangenen Sonntag während der Talk-Show von Günther Jauch vom Leder zog: „Ihre Partei hat eine ungeklärte Position zum Antisemitismus. Und sie hat eine ungeklärte Position zu ihrer eigenen Vergangenheit. Stellen Sie diese Dinge ab, dann können wir über eine Koalition noch sprechen.“

Diese Töne sind ausgerechnet das einzige Faustpfand, welches die SPD noch hat. Sollten die Liberalen und die Alternative für Deutschland an der Fünfprozenthürde scheitern, dann könnten SPD, Grüne und Linkspartei eine rechnerische Mehrheit erreichen. Doch daß es zu einer solchen Koalition kommt, gilt als extrem unwahrscheinlich. Gänzlich ausgeschlossen werden kann es indes auch nicht.

Der Wahlkampf jedenfalls ist an der Linkspartei weitgehend vorbeigelaufen. Seitdem ihr einstiger Frontmann Lafontaine im Saarland abgetaucht ist, spielt sie bundespolitisch im Westen keine Rolle mehr. In Bayern erreichte sie bei der Landtagswahl kaum mehr Stimmen als die Bayernpartei. Auf ihre (schrumpfende und alternde) Stammwählerschaft aus DDR-Zeiten kann sie sich immerhin verlassen.

Prognose: Durch ihre gute Verankerung im Osten wird die Linkspartei sicher in den Bundestag einziehen. Sie könnte zudem von der Schwäche der SPD profitieren. Ihr Ergebnis von 2009 (11,9) wird sie aber deutlich verfehlen. (cs)

 

FDP

Eine Woche der Angst. Für die FDP kam es noch einmal knüppeldick. Zuerst flogen die Liberalen in Bayern aus der Regierung und dem Landtag und dann verweigerte der bisherige Koalitionspartner CDU auch noch die so dringend benötigte Zweitstimmenkampagne. „Nur mit einer starken FDP kann die erfolgreiche Koalition in Berlin fortgesetzt werden“, tönten Parteichef Philipp Rösler und der Spitzenkandidat Rainer Brüderle nach der Niederlage von München. Doch sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen verweigerten die Hilfe.

Für die FDP ist die Lage dramatisch. Ein großer Teil der CDU-Anhänger könnte mit einer schwarz-roten Koalition durchaus leben. Und das gilt auch für manche Abgeordnete, die die Zusammenarbeit mit den Liberalen in den vergangenen vier Jahren nicht als sonderlich fruchtbar empfunden haben. Während des Wahlkampfs hat die Partei wie eigentlich immer versucht, sich als Anwalt des Mittelstands zu positionieren. Sie hat sich gegen Steuererhöhungen ausgesprochen und damit geworben, daß sie die Praxisgebühr abgeschafft habe. Doch ein zündendes Thema hat sie nicht gefunden. Die Folge von vier Jahren dürftiger Arbeit ist ein Existenzkampf. 14,6 Prozent erzielte die Partei unter der Führung des heutige Außenministers Guido Westerwelle 2009. Zwischen vier und sechs Prozent sehen sie die Meinungsforscher kurz vor der Wahl.

Prognose: Die FDP ist für Meinungsforscher traditionell schwierig einzuschätzen. Die Angst, erstmals bei einer Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde zu scheitern, dürfte aber so groß sein, daß die Mobilisierung ihres Lagers reichen wird. Die gestutzte FDP wird daher wieder knapp in den nächsten Bundestag einziehen. (cs)

 

CDU / CSU

Start-Ziel-Sieg. Als haushoher Favorit ins Rennen zu gehen birgt immer ein gewisses Risiko. Eigentlich kann man nur verlieren, wenn man das Feld anführt und das Tempo vorgeben muß. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Union haben diese Erfahrung schon bei den vergangenen Bundestagswahlen gemacht. Mehr als einmal mußten sie zusehen, wie der von den Demoskopen vorhergesagte satte Vorsprung dahinschmolz, je näher der Wahltag rückte. Das erklärt auch die schroffen Reaktionen auf die Anfang der Woche gestartete Zweitstimmenkampagne des einstigen Wunschkoalitionspartners FDP.

Der Wahlkampf der Union war ansonsten ganz auf das Motto ausgerichtet: „Bloß nicht anecken, bloß nicht auffallen.“ Diese Haltung färbte auch auf Merkel ab, die in diesem Wahlkampf bei öffentlichen Auftritten noch verkrampfter und hölzerner wirkte als sonst. Zu groß offenbar die Angst, kurz vor dem Ziel doch noch abgefangen zu werden. Hinzu kommt, daß das Thema Euro-Rettung und die damit verbundenen finanziellen Risiken eigentlich aus dem Wahlkampf herausgehalten werden sollten. Doch dieser Strategie machte die Euro-kritische AfD einen Strich durch die Rechnung.

Prognose: Die Union wird mit Abstand stärkste Kraft im neuen Bundestag. Doch es wird ihr nicht gelingen, bei der Wahl die magische 40-Prozent-Schwelle zu überspringen. Für eine große Koalition mit der SPD unter Führung Angela Merkels wird es trotzdem reichen. (ms)

 

DIE GRÜNEN

Ein Ende mit Schrecken. Die Frage, was im Wahlkampf der Grünen falsch gelaufen ist, läßt sich einfach beantworten: Alles. Die Partei um ihre Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt

und Jürgen Trittin ließ keine Gelegenheit aus, sich als schlechtgelaunte, rechthaberische Verbotspartei zu präsentieren. Ob die Forderung nach einem „Veggie-Day“ oder die halbherzige Aufklärung des Einflusses pädophiler Aktivisten in der Gründungsphase der Partei – nie gelange es den Grünen, aus der Defensive herauszukommen. Zu allem Überfluß stellt die Partei auch noch Steuererhöhungen in Aussicht, von denen vor allem auch die Mittelschicht betroffen wäre – dem Stammwählerreservoir der Grünen. Der einstige „Markenkern“ der Partei, der Umweltschutz, geriet dabei völlige aus dem Blick.

Die Quittung: In den letzten Wochen vor der Wahl entfernte sich die Partei in den Umfragen immer mehr von der Zielmarke 15 Prozent, ganz zu schweigen von den Fabelwerten, die ihnen die Meinungsforscher im Laufe der Legislaturperiode zeitweise zugeschrieben hatten. Mittlerweile müssen sich die Grünen auf ein einstelliges Ergebnis einstellen.Welchen Einfluß die Enthüllungen über die Rolle Trittins in der Pädophilie-Affäre der Grünen auf das Wahlergebnis haben (siehe Seite 6) ist dabei derzeit überhaupt noch nicht abzuschätzen.

Prognose: Die Grünen fallen hinter ihr Ergebnis von 2009 zurück. Rot-Grün wird keine Option mehr sein. Nach der Wahl steht dann der überfällige Generationswechsel an. (ms)

 

PIRATEN PARTEI

Eine Partei als Scheinriese. Je näher der Wahltermin rückte, desto geringer wurden die Erfolgsaussichten der Piratenpartei, nach ihren Erfolgen in einigen Bundesländern auch in den Bundestag einzuziehen. Von den einst vorausgesagten 13 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl sind in den Umfragen 2 bis 3 Prozent geblieben.

Selten hat sich eine Partei so schnell und so öffentlichkeitswirksam selbst zerlegt wie in den vergangenen Monaten die Piraten. Nach ihren Erfolgen bei den Landtagswahlen in Berlin, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Schleswig-Holstein wurden sie noch als sicherer Kandidat für den Einzug in den Bundestag gehandelt. Und tatsächlich sprach 2011/2012 alles für die Piraten: Sie waren jung, modern, großstädtisch, ihre Mitglieder lebenten „online“. Der Partei und nicht zuletzt ihrer charismatischen damaligen politischen Geschäftsführerin Marina Weisband flogen die Herzen zu – vor allem die der Medien. Doch dem Aufstieg folgte der rasante Absturz in den Umfragen. Im Bundestagswahlkampf gelang es der Partei nicht mehr, eigene Akzente zu setzten. Nicht einmal bei der seit Wochen Politik und Medien beschäftigende NSA-Affäre um die mögliche Ausspähung von Internetdaten deutscher Bürger durch den amerikanischen Geheimdienst konnte die selbsternannte Internet-Partei punkten. Mit dem kometenhaften Aufstieg der Alternative für Deutschland verlor die Partei auch noch ihren Platz als exotischer Geheimtip. Die Piratenpartei ist irgendwie etabliert – und vergessen.

Prognose: Die Piraten werden den Einzug in den Bundestag deutlich verfehlen. Danach wird die Selbstzerfleischung richtig Fahrt aufnehmen. Aus den Landtagen, in denen sie noch vertreten sind, wird die Partei bei nächster Gelegenheit wieder rausfliegen. (ms)

 

AFD

Nichts ist unmöglich. Schon jetzt steht fest: Die erst im Februar gegründete Alternative für Deutschland (AfD) wird in die Geschichte eingehen. Noch nie hat eine Partei in Deutschland innerhalb weniger Wochen und Monate vor einer Bundestagswahl eine solche Bedeutung erlangt wie die Euro-Kritiker um Bernd Lucke. Der Wirtschafstprofessor aus Hamburg schickt sich an, mit seiner aus dem Umfeld von CDU und FDP rekrutierten Truppe aus dem Stand den Einzug in das Parlament zu schaffen. Das ist nicht einmal den Grünen gelungen. Sollte es am Sonntag tatsächlich ein „blaues Wunder“ geben, wäre dies vielleicht keine Weltsensation, aber doch ein bedeutender Einschnitt in der deutschen Parteiengeschichte. Der eloquente Redner wäre von Beginn an der eigentliche Oppositionsführer und könnte mit seinem Sachverstand und seiner argumentativen Schärfe die große Euro-Rettungs-Koalition aus Union, SPD, FDP und Grünen vor sich hertreiben.

Gleichzeitig ist überhaupt nicht abzusehen, welche Richtung die Partei nimmt, wenn erst einmal das einigende Band des Wahlkampfes weggefallen ist. Richtungs- und Machtkämpfe scheinen unvermeidbar.

Prognose: Wohl niemals zuvor waren sich die Meinungsforscher vor einer Bundestagswahl so unsicher in der Bewertung der Erfolgsaussichten einer Partei wie bei der AfD. Zwischen drei und sieben Prozent scheint alles möglich. Vieles deutet indes darauf hin, daß der Partei die Sensation tatsächlich gelingen wird. (ms)

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