© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Islamisten auf der Überholspur
Syrien: Knapp die Hälfte der bewaffneten Rebellen gegen die Assad-Regierung sind al-Qaida oder der al-Nusra-Front zuzurechnen / Säkuläre Kämpfer unter Druck
Marc Zöllner

Umringt von einer Schar Kinder, strahlt Abu Waqas Tunisi in die Kameras. „Wo ist die Melone?“ fragt er fröhlich. „Wer seine Melone zuerst aufißt, bekommt einen Preis!“ Wie auf Kommando eilen die Kleinen auf dem mit Luftballons geschmückten Marktplatz zum Wettessen. Knallbunte Bälle werden in die Menge geworfen, während aus Lautsprechern Musik erklingt.

Doch die unzähligen schwarzen Flaggen an den Häuserfronten im Herzen der syrischen Metropole Aleppo verraten, daß es sich hier nicht um ein harmloses Straßenfest handelt. Auch Abu Waqas ist kein Unbekannter – er ist einer der regionalen Anführer des „Islamischen Staates im Irak und in Syrien“ (ISI), einer Abspaltung der Terrororganisation al-Nusra, die wiederum eng mit dem Netzwerk von al-Qaida kooperiert. An seiner Mission sowie dem Zweck solcher Veranstaltungen läßt Abu Waqas auch keinen Zweifel aufkommen: „Der islamische Staat wird hier in Aleppo beginnen, und du wirst Teil davon sein“, lobt er einen kleinen Jungen, der als Sieger des Wettbewerbs einen Tischtennisschläger gewonnen hat.

Ausgestattet mit immensen Geldmitteln aus Saudi-Arabien und Katar, schien es der militant-islamistischen Al-Nusra-Front ein leichtes, die Herzen der vom Bürgerkrieg verarmten Bevölkerungsschichten Syriens zu erreichen. Längst geht es nicht mehr um die Rekrutierung von Freiwilligen für den Kampf gegen Baschar al-Assad. Man plant bereits für die Zukunft, baut Schulen, um seine ganz eigenwillige Interpretation des Islam zu verbreiten, und sammelt sich für den ersehnten Endkampf gegen die säkulären Kräfte insbesondere der Freien Syrischen Armee.

Immer wieder kommt es mit jener bereits zu Reibereien. Zuletzt nahe der Hauptstadt Damaskus, als Anhänger der ISI mehrere Gastarbeiter aus der Türkei und Malaysia entführten und gegen Lösegeld austauschen wollten. Bei einem Befreiungsversuch durch FSA-Einheiten starben auf beiden Seiten Dutzende Rebellen, inklusive des FSA-Kommandeurs Abu Obeida al-Binshi. Nicht der erste getötete Prominente der säkulären Kräfte: Bereits im Juli wurde Kamal Hamami, einer der führenden Köpfe des Syrischen Nationalrats (SNC), des Dachverbandes der Widerstandsbewegung gegen al-Assad, von ISI-Mitgliedern öffentlich hingerichtet. „Der Islamische Staat rief mich an und sagte, man würde demnächst sämtliche Mitglieder des SNC töten“, erzählte daraufhin ein Sprecher der FSA der Nachrichtenagentur Reuters.

Von den rund 100.000 bewaffneten Rebellen in Syrien, veröffentlichte die renommierte militärwissenschaftliche Denkfabrik IHS Jane’s diese Woche, seien bereits über zehntausend allein den al-Qaida nahestehenden Gruppen ISI und al-Nusra zuzurechnen. Weitere 35.000 Kämpfer würden sich primär dem ultrareligiösen islamistischen Spektrum zugehörig fühlen. Nur rund die Hälfte aller syrischen Aufständischen verfolge überhaupt noch säkuläre Ziele.

Ein Teufelskreis für die FSA, die in Gefechten gegen die Islamisten immer öfter unterliegt und vor deren Angriffen regelmäßig Schutz in der benachbarten Türkei suchen muß. „Die Militanten kommen nicht her, um die Regierung zu bekämpfen“, berichtet auch Walid Shawkan, einer der FSA-Kommandeure im Nordwesten Syriens, von seinem mittlerweile ebenfalls türkischen Asyl aus. „Sie kommen, um uns zu bekämpfen.“

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