© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Kein Volk von Angsthasen
Studie zu den Kümmernissen der Deutschen: Zwei Drittel fürchten, daß sie die Kosten der Euro-Krise allein schultern müssen, dennoch zeigen sie sich gelassen
Christian Schreiber

Die Deutschen neigen offenbar zur Gelassenheit. Dies geht zumindest aus einer Studie hervor, die den wenig verheißungsvollen Namen „Die Ängste der Deutschen 2013“ trägt. Seit 20 Jahren befragt die R+V-Versicherung jedes Jahr 2.500 Deutsche ab 14 Jahren zu ihren Ängsten.

Anfang September stellte die Versicherungsgruppe der Volksbanken das Ergebnis in ihrem sogenannten „Angstindex“ vor. Mit ihren Langzeit-Vergleichen gilt die Studie als eine Art Seismograph bundesdeutscher Befindlichkeiten. Für Erstaunen sorgte vor allem die Tatsache, daß die Befragten relativ großes Vertrauen in die Politiker äußerten.

Die Befürchtung, daß diese von ihren Aufgaben überfordert wären, ist gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozentpunkte zurückgegangen und mit 45 Prozent auf dem bisher niedrigsten Stand, seit diese Frage gestellt wird: „Das ist erstaunlich, zumal gerade vor Bundestagswahlen diese Werte regelmäßig nach oben gingen“, sagte Rita Jakli, Leiterin des Infocenters der R+V Versicherung. Im Vorjahr rangierte die Frage nach den Politikern mit 55 Prozent noch auf Platz zwei der größten Sorgen.

Im Jahr 2001 hatte das R+V-Infocenter die Deutschen zum ersten Mal gefragt, ob die Politiker von ihren Aufgaben überfordert seien. Ihren Spitzenwert erreichte diese Sorge im Jahr 2003 mit 66 Prozent. Interessant ist die Tatsache, daß der Wert vor Bundestagswahlen bisher immer angestiegen ist: 2002 um sechs Prozent, 2005 um fünf und 2009 um vier Prozentpunkte. „Die Deutschen sind kein Volk von Angsthasen“, kommentierte Manfred Schmidt, Politologe an der Universität Heidelberg, die Studie.

Von der gern unterstellten „German Angst“ wollte er daher auch nicht sprechen: „Wir haben es eher mit einem gesunden Realismus zu tun, der die Deutschen davor bewahrt, Risiken wie die Euro-Schuldenkrise auch auf längere Sicht zu unterschätzen. Dies führt im Umkehrschluß dazu, daß die Deutschen auch Trendwenden einschätzen können und nicht zur überzogenen Panikmache neigen.“ Schmidt erklärt die Tatsache, daß die Politiker ausgerechnet kurz vor der Bundestagswahl verhältnismäßig gut abschneiden, damit, daß viele Befragte die wirtschaftliche Lage Deutschlands im Moment als positiv einschätzen – und andere Ängste davon trennen. „In der Langzeitbeobachtung war das immer so, wenn die Furcht vor einer schlechteren Wirtschaftslage zurückgeht“, sagte er, um klarzustellen: „Das ist jetzt aber keine verkappte Wahlprognose.“ Generell sei es schwierig, aus dem Angst-Index politische Rückschlüsse zu ziehen.

16 Standardfragen werden den Befragten zur Ermittlung der Studie gestellt, der Katalog wurde im Laufe der Zeit immer wieder modifiziert. Seit drei Jahren hat das R+V-Infocenter die Standardfragen der Langzeitstudie zudem um Sonderfragen zur Euro-Schuldenkrise ergänzt.

Dieses Thema bereitet den Deutschen wie bereits im Vorjahr am meisten Sorgen. Rund zwei Drittel (68 Prozent) aller Bundesbürger fürchten, daß sie letztendlich die Kosten der Krisenbewältigung schultern müssen.

„Diese Angst ist verständlich“, erklärte Schmidt, der als Berater für das R+V-Team fungiert: „Das Schuldenkrisenmanagement der Europäischen Union kommt den deutschen Steuerzahler schon jetzt teuer zu stehen. Bürgschaften, Kredite und Garantien für krisengebeutelte Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Griechenland oder die Kosten für die Bankensanierung in Zypern belaufen sich mittlerweile auf dreistellige Milliardenbeträge. Künftige Kostensteigerungen sind sehr wahrscheinlich.“

Mit 53 Prozent bleibt auch die Furcht, daß die EU-Schuldenkrise den Euro gefährden könnte, sehr groß. Im Vorjahr lag der Wert mit 65 Prozent allerdings noch um ein Vielfaches höher. Eine dritte Sonderfrage brachte das Ergebnis, daß die Folgen der europäischen Schuldenkrise weitere Ängste nach sich ziehen: So hat fast jeder zweite Deutsche Angst davor, daß niedrige Zinsen und Inflation seine Ersparnisse langfristig gefährden.

In der Berichterstattung der bundesdeutschen Medien ist von dieser Tatsache allerdings relativ wenig zu lesen. Ob beabsichtigt oder nicht – dort beschränkte man sich in der Darstellung vor allem auf die Ergebnisse der 16 Standardfragen. Dabei tritt zutage, daß sich die Deutschen am meisten um Dinge sorgen, die ihren eigenen Geldbeutel betreffen.

So sind die steigenden Lebenshaltungskosten die größte Sorge. Und das gilt seit 1992 für fast jedes Jahr. „Weil viele Lebensmittel teurer werden, ist die gefühlte Inflationsrate ungleich höher als die tatsächliche Inflationsrate von etwa zwei Prozent“, analysiert Professor Schmidt. Für diese Furcht sind aber vor allem auch die in den Städten steigenden Preise für Mieten und Nebenkosten ursächlich.

„Trotz Lohnerhöhungen haben viele Arbeitnehmer real weniger Geld zur Verfügung“, sagte R+V-Berater Schmidt. Er begründet diese Einschätzung mit steigenden Gebühren für öffentliche Leistungen sowie Preiserhöhungen bei Benzin und Strom. Überraschenderweise erneut auf einem vorderen Platz findet sich die Angst vor Naturkatastrophen. Bei den Standardfragen rangiert dieses Thema auf dem zweiten Rang. Mit 56 Prozent kletterte es von Platz vier auf Platz zwei der Ängste-Skala. Dabei wurde der Rekordwert aus dem Jahr 2010 aber nicht erreicht. Nach dem Vulkan-ausbruch in Island und der verheerenden Ölpest im Golf von Mexiko war die Sorge mit 64 Prozent damals deutlich größer. Interessanterweise beeinflußte die Atomkatastrophe von Fukushima den Angst-Index vor zwei Jahren dagegen kaum. Offenbar ist das Vertrauen in die Sicherheit der deutschen Reaktoren damals doch sehr groß gewesen.

Ein großes, angstauslösendes Thema ist allerdings die Frage nach der Versorgung im Alter: Die Sorge, als Pflegefall zu enden, beschäftigt mehr als die Hälfte der Befragten. Mit einem Zuwachs von fünf Prozent ist diese Angst am stärksten gestiegen und erreicht mit 55 Prozent den dritten Platz in der Statistik, wobei sich Männer und Frauen in dieser Frage sehr deutlich unterscheiden: Frauen sorgen sich generell mehr um persönliche Belange wie Krankheit oder Pflege als Männer.

Auf dem vierten Rang folgt die Angst vor einer allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Zwar ist dieser Punkt in der Gewichtung eher rückläufig, beschäftigt aber immer noch jeden zweiten Deutschen. Kein großes Thema ist überraschenderweise die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die sich nur im Mittelfeld wiederfindet. Professor Schmidt erklärt dies mit einem grundsätzlichen Vertrauen der Deutschen in die Prinzipien der Marktwirtschaft.

Noch mehr Angst haben die Befragten vor terroristischen Anschlägen in Deutschland sowie Spannungen zwischen Einheimischen und Ausländern geäußert. Der Syrien-Konflikt und die Ausschreitungen in Ägypten haben hingegen den aktuellen „Angst-Index“ nicht wirklich beeinflußt. Nur 32 Prozent gaben demnach an, Angst davor zu haben, Deutschland könne in einen Krieg hineingezogen werden. Damit rangiert dieser Punkt im Tabellen-Keller. Noch weniger Sorgen machen sich die Befragten darum, ob ihre Partnerschaft zerbrechen könnte und über die Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden.

Auffallend war in diesem Jahr vor allem, daß sich die Ängste zwischen Ost und West nicht mehr deutlich unterschieden. Bisher galten die Befragten in den mitteldeutschen Ländern als deutlich ängstlicher als ihre westdeutschen Landsleute. „Insgesamt betrachtet hat sich im Zeitverlauf der Angstindex in Ost und West angenähert. In diesem Jahr ist er erstmals seit 1992 gleich hoch“, sagte Rita Jakli von der R+V-Versicherung.

Die optimistischsten Deutschen leben danach in Berlin. Nur 33 Prozent haben Angst vor der Zukunft. Aufschluß darüber, wie die regionalen Unterschiede zu erklären sind, gibt die Studie nicht. Es fällt nur auf, daß die mitteldeutschen Länder sich Spitze und Schlußlicht teilen. Neben Bayern schaut man in Thüringen am hoffnungsfrohsten in die Zukunft, während man die Aussichten in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern eher düster beurteilt.

Daß diese Einschätzung nicht mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage übereinstimmen muß, zeigt die Tatsache, daß die Stimmung in Bayern von allen West-Ländern am schlechtesten ist. Dies wird allerdings damit erklärt, daß die Befragung kurz vor der Landtagswahl stattgefunden hat. Zu diesem Zeitpunkt seien die Bürger generell eher kritisch eingestellt.

www.ruv.de

Foto: Kritischer Blick vor der Bundestagswahl: Furcht vor Euro-Krise und steigenden Lebenshaltungskosten

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