© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Zähe Kämpfe
Entstehung des Abendlandes: Die grandiose Ausstellung „Credo – Christianisierung Europas im Mittelalter“ an drei Standorten in Paderborn überwältigt mit ihrer Fülle von Exponaten
Karlheinz Weissmann

Die Dame am Eingang trägt ein „Hammerkreuz“ um den Hals, eine Replik jener Schmuckstücke, die so aussehen, als ob man vier Thorshämmer in Kreuzform gegeneinander gestellt hätte, und die in der Anfangsphase der Christianisierung Nordeuropas verbreitet waren. Diese Verschmelzung von Heidnischem und Christlichem ist eine sinnreiche, wenngleich wohl unbeabsichtigte Einstimmung für die große Ausstellung, die in Paderborn zur Entstehung des Abendlands gezeigt wird.

Das lateinische „Credo“ gibt den Titel ab. Es bedeutet gleichermaßen „Ich glaube“ wie „Glaubensbekenntnis“ und liefert damit gleich zwei Stichworte, denn hier geht es immer um individuelle Überzeugungen, Akte der Konversion oder der Glaubenstreue einerseits, und um Denksysteme, Dogmen, die einen Anspruch auf objektive Geltung erheben, andererseits.

Schon deshalb kann die Ausstellung sich nicht auf religiöse Relikte beschränken, sie muß den weiteren gesellschaftlichen, politischen und militärischen Zusammenhang einbeziehen. Eine Aufgabe, die in Paderborn vorbildlich gelöst wurde. An drei Orten – dem Diözesanmuseum, der Kaiserpfalz und der Städtischen Galerie – wird man mit der Geschichte und der späteren Deutung der Christianisierung Europas konfrontiert.

Der Weg beginnt selbstverständlich mit der Entstehung, Ausbreitung und Durchsetzung des neuen Glaubens gegenüber den alten heidnischen Vorstellungen, die im Römischen Reich herrschten. Die Zahl der in diesem Zusammenhang präsentierten Stücke hat man bewußt begrenzt, es ist fast so, als ob lediglich Stichpunkte genannt werden, um den Besucher daran zu erinnern, daß das Imperium zwar religiös tolerant war, daß dem aber eine strikte politische Loyalitätsforderung entsprach, der die Christen mit der Verweigerung des Kaiserkultes nicht genügen konnten und wollten.

Es war also nicht die Fremdartigkeit der Lehre oder die Hinwendung zu den Armen, die die Christen lange zu einer verfolgten und ausgestoßenen Minderheit machte, sondern eine revolutionäre Vorstellung von der Beziehung zwischen Himmel und Erde. Daß sich die Kirche damit durchsetzen würde, schien lange Zeit eher unwahrscheinlich. Daran erinnern in Paderborn auch die Exponate zur Rolle des Mithraskultes, jener gleichfalls aus dem Orient stammenden Erlöserreligion, die in vieler Hinsicht als das Konkurrenzmodell zum Christentum betrachtet werden muß.

Indes hatte die Beziehung zwischen beiden Glaubensgemeinschaften mehr als eine Seite. Die Sonnenkreuze auf dem in Paderborn gezeigten mithräischen Gefäß erinnern jedenfalls nicht zufällig an das „Chi-Rho“, das Konstantin auf den Schilden und Feldzeichen seiner Soldaten anbringen ließ, weil er sich den Beistand des christlichen Gottes sichern wollte.

Tatsächlich wird man in Paderborn mit einer außergewöhnlichen und in dieser Zusammenstellung noch nie gezeigten Fülle von Exponaten konfrontiert, die alle deutlich machen, daß die Durchsetzung des Christentums am Anfang des 4. Jahrhunderts weniger einen plötzlichen Bruch darstellte – die „Konstantinische Wende“ von 312 / 313 –, eher einen allmählichen Übergang. Die unklare Haltung Konstantins, der ursprünglich dem Sonnenkult anhing, nie klar zwischen persönlicher Überzeugung und politischer Opportunität schied, christologische Streitfragen mit der Autorität des Cäsar löste und erst auf dem Sterbebett die Taufe nahm, war insofern durchaus symptomatisch. Und man findet dieses Ineinander und Nebeneinander der Motivlagen auch als Begleiterscheinung der Mission in der folgenden Zeit.

Denn wenn nach dem Untergang des Römischen Reiches die neuen Herren des Kontinents, die Germanen, bekehrt werden konnten, ergab sich das immer aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren: der Einsatzbereitschaft der Missionare – nicht selten bis zum Martyrium –, der Ansprechbarkeit der Eliten oder bestimmter Bevölkerungsgruppen – etwa der Frauen –, der Attraktivität des überlegenen Zivilisationsmodells, das die Reste der antiken Errungenschaften bewahrte, und der Geschicklichkeit oder Skrupellosigkeit der kirchlichen Führung.

Das heißt nicht, daß man die Schwierigkeiten unterschätzen darf, die sich aus der Verschiedenheit der Bedingungen ergaben, auf die das Christentum traf. Jedenfalls war die Situation im Fall der Franken eine völlig andere als im Fall der Stämme und Völker, die jenseits des Limes lebten. Waren die einen mit einer romanisierten Welt in Berührung gekommen und insofern vorbereitet, war im Fall der anderen der clash of civilizations unvermeidlich. Wie fremdartig das Christentum etwa in Nordeuropa wirken mußte, kann man an den Stücken sehen, die bei der Ausgrabung eines heidnischen Tempelkomplexes im schwedischen Uppåkra gefunden wurden und hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das Zögernde und Tastende des Übergangs vom Heidentum zum Christentum ist besonders eindrucksvoll an Stücken wie dem „Runenkästchen von Auzon“ abzulesen, das wohl einem Angehörigen des angelsächsischen Adels gehörte und mit Bildern geschmückt war, die Szenen aus der Bibel, der antiken Mythologie und der germanischen Sagenwelt nebeneinander zeigte.

Bis zum 8. Jahrhundert war das Christentum in West- und Mitteleuro-pa weitgehend durchgesetzt. Erst danach wurden die übrigen Gebiete erfaßt. Daß dabei Gewaltanwendung eine große Rolle spielte, ist unbestreitbar, und angesichts der Lage von Paderborn im Westfälischen kann man auch nachvollziehen, daß dem Widerstand der Sachsen und ihres Führers Widukind gegen diese „Schwertmission“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Trotzdem erscheinen die langen und zähen Kämpfe, bei denen es gleichermaßen um den Herrschaftsanspruch Karls des Großen und den Geltungsanspruch der Kirche ging, nur wie eine Episode in jenem Prozeß, der erst am Ende des 14. Jahrhunderts abgeschlossen war, als auch ganz Osteuropa vollständig christianisiert war. Nur blieb das Ziel religiöser Geschlossenheit unerreichbar. Denn längst gab es eine neue religiöse Bruchlinie, weil hier Rom und Byzanz, Katholizismus und Orthodoxie miteinander konkurrierten.

Daß die älteren religiösen Konflikte nicht vollständig aufgehoben waren, wird in Paderborn am „Steinkopf von Salaspils“ deutlich, einem grob behauenen Granitblock mit Gesichtszügen, der erst vor wenigen Jahren in Riga gefunden wurde. Man weiß aus verschiedenen Quellen, daß die bäuerliche Bevölkerung Livlands solche Figuren bis ins 18. Jahrhundert kultisch verehrte. Wenn das in späterer Zeit nicht mehr der Fall war, dann wohl kaum aufgrund der vollendeten Christianisierung, sondern wegen der beginnenden Modernisierung. Trotzdem ist das Stück ein signifikanter Rest jenes religiösen Untergrundes, der alle Bemühungen um Bekehrung überstand und sich auch im übrigen Europa mehr oder weniger stark nachweisen läßt.

Es ist dabei das eine, diesen Sachverhalt anzuerkennen, ein anderer, ihn zu bewerten. Und wenn überhaupt Kritik an dieser außergewöhnlichen Ausstellung in Paderborn zu üben ist, dann die an einer etwas naiven Hochschätzung des Paganen und einer ebenso naiven Geringschätzung des Christlichen. Wahrscheinlich hat den Verantwortlichen die gegenwärtige Begeisterung für Multikulturalismus und diversity den Blick auf die Vergangenheit getrübt, während die Leistungen des Christentums verschattet werden – weniger durch die tatsächlichen und kritisierbaren Schandtaten seiner Träger als durch die Tatsache seines Erfolges.

Der in der Ausstellung schon ganz zu Beginn geweckte Eindruck, als ob man es hier mit einer Skurrilität zu tun habe – nämlich daß eine innerjüdische „charismatische“ Reformbewegung zur Weltreligion aufsteigen konnte –, findet so eine unerfreuliche Ergänzung. Immerhin ist zuzugeben, daß nicht nur der überwältigende Eindruck der achthundert Exponate, sondern auch der vorzügliche, fast enzyklopädisch zu nennende Katalog helfen, dieses Bild wieder zurechtzurücken und dem wirklich Interessierten ein in sich sehr differenziertes Gesamtbild geliefert wird.

Die Ausstellung „Credo – Christianisierung Europas im Mittelalter“ ist bis zum 3. November in drei Paderborner Museen täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 0 52 51 / 88-20 02

Der zweibändige, sehr empfehlenswerte Katalog kostet in der Ausstellung 49,99 Euro, im Buchhandel 69,99 Euro.

www.credo-ausstellung.de

Fotos: Steinkopf aus Riga: Das Fundstück ist ein signifikanter Rest jenes religiösen Untergrundes, der alle Bemühungen um Christianisierung überstand und sich auch im übrigen Europa mehr oder weniger stark nachweisen läßt; Runenkästchen von Auzon: Szenen aus der Bibel, der antiken Mythologie und der germanischen Sagenwelt

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