© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Weltorientierung
Im Zangengriff von Parteien und Unternehmen: Bildung darf nicht an ihrer Brauchbarkeit gemessen werden
Hartmut Voelkel

In jedem Wahlkampf präsentieren sich die Parteien als Fürsprecher einer sachgerechten und großzügigen Bildungspolitik. Auch in diesem. Natürlich gibt es gewisse Unterschiede bei der Akzentsetzung, wollen die einen das Abitur und die anderen Highspeedzugang zum Netz für alle, sprechen sich dritte dafür aus, daß man die Qualität des „Bildungsstandorts Deutschland“ verteidigt und fordern vierte die Beseitigung der Hausaufgabe als letztes Hindernis der Chancengleichheit.

Aber solche Differenzen können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Bildung von keiner politischen Seite als Selbstzweck betrachtet wird. Es kommt kein Kandidat auf die Idee, in Bildung einen notwendigen Aspekt der Humanisierung zu sehen oder sie in den größeren kulturellen Zusammenhang einzuordnen.

Ganz im Gegenteil, Bildung gilt als materielles Gut, das durch Investition von Finanzmitteln zu verbessern ist, dessen Wert sich an den erreichten Bildungsabschlüssen zeigt, die möglichst gleichmäßig zu verteilen sind, was wiederum der Befriedung der Gesellschaft dient. Deren Gliedern hat man erfolgreich suggeriert, daß es ein (Menschen-)Recht auf Bildung gibt, das wahrzunehmen dem Lebenserfolg nützlich ist.

Nun soll hier nicht der Bildungsutopie das Wort geredet werden, daß es möglich sei, die Schulen und Hochschulen vollständig von den Bedingungen zu lösen, unter denen sie existieren. Aber es bleibt doch zu betonen, daß Bildung als solche nicht an ihrer – wie auch immer definierten – Brauchbarkeit zu messen ist, sondern daß Bildung im besten Fall Weltorientierung ermöglicht, Wissen und die Einübung von Verstehen, um sich auf eine mehr als nützliche Weise zurechtzufinden und an einer klugen Interpretation des größeren Ganzen zu beteiligen. Wenn Bildung in diesem Sinn gar keine Rolle spielt, ist das nicht nur mit dem Liessmann-Paradigma (benannt nach dem Philosophen Konrad Liessmann) zu erklären, daß nämlich Bildungspolitik von notorisch ungebildeten Politikern gemacht wird. Es geht auch um die Einflüsse außerhalb der Politik, die auf die Politik einwirken.

Zu Recht nimmt man auf konservativer oder bürgerlicher Seite an, daß hier der Ungeist von ’68 nach wie vor eine Rolle spielt. Denn die pädagogischen Fachbereiche unserer Universitäten sind ein Musterbeispiel für geistige Inzucht und orientieren sich ungebrochen an egalitären, im Zweifelsfall sozialistischen Kerngedanken. Fakten, die den eigenen Vorstellungen widersprechen, werden entweder ignoriert, verschwiegen oder umgedeutet; eine Empirie, die den Namen verdient, hat sich in dieser Disziplin sowieso nie durchsetzen können.

Unbestreitbar ist auch, daß die Masse der Lehrer einem mehr oder weniger geschlossenen linken Weltbild anhängt und sich daran schon wegen der absurden Einstellungspolitik und des besonderen Berufsprofils kaum etwas ändern dürfte. Schließlich bleibt zu betonen, daß die Bildungs- als Teil der Sozialbürokratie die beschriebene Lage nach Kräften zu erhalten sucht.

Aber: Das alles ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte findet man da, wo sie die konservative oder bürgerliche Seite kaum suchen dürfte: im Bereich der Gewinninteressen großer Unternehmen, wie etwa Bertelsmann oder Microsoft, die mit Unterstützung internationaler Organisationen wie OECD oder Unesco arbeiten. Sie alle fordern globale Bildungskonzepte. Deren Fixierung auf Methoden und Standards, auf abprüfbare Kenntnisse und Kniffe, dessen Tendenz zur Senkung der Anforderungen oder das „teaching to the test“ hat nicht nur den Zweck, den überall einsetzbaren Arbeitnehmer zu kreieren, sondern auch, das Bildungswesen als Markt mit den größten Wachstumschancen im 21. Jahrhundert zu erschließen. Diese Wachstumschancen hängen indes ganz wesentlich davon ab, daß ein funktionstüchtiges staatliches Bildungssystem – wie es das deutsche einmal war – demontiert wird und verantwortungsbewußte Eltern solchermaßen gezwungen sind, auf private Konkurrenzangebote zurückzugreifen.

Wenigstens dieser Teil der Misere findet mittlerweile Kritik, aber nur von links. Einschlägig sind die Feststellungen des SPD-Bildungsministers von Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, und jetzt hat sich auch sein Parteifreund, der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, in ähnlicher Weise zu Wort gemeldet. Bei Nida-Rümelin geht es indes nicht nur um den verdeckten Einfluß des großen Kapitals, sondern auch um die fatalen Folgen der „Überakademisierung“ für das Niveau der Gymnasien und Universitäten wie auch für den Bereich der Facharbeiterschaft und den Mittelstand.

Vergleichbares hört man von keinem Politiker des schwarz-gelben Lagers, das sich in den Jahren seiner Machtausübung – auf Bundes- wie auf Landesebene – als Totalausfall für die Bildungspolitik erwiesen hat. Es bleibt hier wie auf so vielen Feldern nur der bittere Trost, daß es erst noch viel schlimmer kommen muß, bevor es wieder besser werden kann.

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