© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Aus weiter Ferne und doch so nah
Unstillbare Melancholie: Zum Tode von Otto Sander
Thorsten Hinz

Bleiben wird von dem vergangenen Donnerstag verstorbenen Schauspieler Otto Sander auf jeden Fall seine Stimme, die auf unzähligen Tonträgern festgehalten ist. Sie ist ein eigentümliches, schwer faßbares Phänomen. Zuerst denkt man an schwarzen Samt, doch dann bemerkt man: Sie klingt ja überhaupt nicht glatt, sondern angerauht, ein wenig heiser oder nasal. Aber immer ganz warm und vertrauenspendend. Man kann sich in ihr zu Hause fühlen wie in einem Lied von Franz Schubert, das von Waldeinsamkeit, Mondlicht und Lindenbäumen erzählt. Aus weiter Ferne und doch so nah! Der Dramatiker Heiner Müller, unter dessen marxistischer Ritterrüstung das Herz des Romantikers schlug, hatte diese Empfindung einst in die Worte gefaßt: „Wo Otto ist, da ist Heimat.“

Sanders Sprechkunst wurde auch als „Dienst am Wort“ gerühmt. Das klingt nach Demut, Ergebenheit, nach religiöser Ergriffenheit. Und nach harter Arbeit. Die Schauspielerei war für Sander existentiell. Als Kind wegen seiner roten Haare und des sonnenempfindlichen Teints oft gehänselt, mimte er früh den Clown, um sich der Umwelt zu erwehren. Sander war ein hochreflexiver Schauspieler, der sich schon in seinen Schulaufsätzen auf Karl Jaspers und Ortega y Gasset bezog.

In den 1970er und 1980er Jahren, als Peter Stein an der Schaubühne in West-Berlin die Stücke von Botho Strauß, Anton Tschechow und Maxim Gorki inszenierte, gehörte er zu den Stars des Ensembles. Weil die Mauer erst 1989 fiel, konnten Zuschauer aus der DDR bloß noch die letzten Ausläufer dieser großen Theater-Ära kennenlernen. Ein uneinholbarer Verlust!

Bleiben werden Sanders Filmrollen, so die im legendären „Boot“ und in „Der Himmel über Berlin“. Sander spielt hier den Engel Cassiel. Die Existenz der Engel ist aufgespannt zwischen der Fähigkeit, die Erscheinungen des Lebens gedanklich zu durchdringen, und der Unmöglichkeit, das menschliche Leben sinnlich zu erfassen. Daraus ergeben sich eine unstillbare Melancholie und der Wunsch nach Grenzüberschreitung. Für den Zuschauer aber ergeben sich magische Momente.

Der 1941 in Hannover geborene Sander lebte seit über 40 Jahren in Berlin. Er wurde zu einem Inbegriff des Berlinerischen, und zwar in einer hintergründig-verfeinerten Form. In einer Zeit, in der die Stadt materiell und moralisch vermüllt, wirkt sein Tod um so schmerzlicher.

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