© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Enthüllung in letzter Minute
Pädophilie-Affäre: Der Grünen-Politiker Volker Beck zieht sich nach neuen Vorwürfen aus der ersten Reihe seiner Partei zurück
Felix Krautkrämer

Volker Beck hatte sich stets sehr sicher gefühlt: Wann immer der Grünen-Politiker mit seinem Beitrag für das 1988 erschienene Buch „Der pädosexuelle Komplex“ konfrontiert wurde, antwortete er, dieser sei vom Herausgeber ohne sein Wissen verfälscht worden und der Abdruck ohne seine Genehmigung erfolgt. Fragen, an welchen Stellen sein Artikel genau verändert worden sei, wich Beck dagegen aus oder ignorierte sie (JF 35/13). Eine ursprüngliche Fassung besitze er nicht mehr, das Justitiariat der Grünen-Fraktion habe aber seinerzeit eine zweite Auflage des Pädophilie-Sammelbandes erfolgreich untersagt.

Somit blieb offen, ob Beck in seinem Text eine „Entkriminalisierung der Pädosexualiät“ für „dringend erforderlich“ gehalten hatte, oder ob ihm dies vom mittlerweile verstorbenen Herausgeber Angelo Leopardi, einem Pseudonym des Soziologen Joachim Stephan Hohmann, nachträglich untergeschoben worden war. Gleiches galt für die Überlegungen, das „‘Schutzalter’ von 14 Jahren zur Disposition“ zu stellen und sexuelle Kontakte von Erwachsenen zu Kindern unter bestimmten Bedingungen strafrechtlich nicht zu verfolgen. Stets konnte sich Beck auf die Behauptung zurückziehen, seine ursprünglichen Aussagen seien ohne seine Kenntnis verfälscht worden. Sollte ihm doch jemand erst mal das Gegenteil beweisen.

Um so überraschter dürfte Beck gewesen sein, als er vergangene Woche plötzlich mit der Urfassung seines Beitrags konfrontiert wurde. Der Spiegel hatte das Manuskript in einer Akte des Archivs der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung entdeckt. Seltsamerweise ist es mit der Version, die unter Becks Namen in „Der pädosexuelle Komplex“ erschien, weitgehend identisch. Lediglich die Überschrift sowie eine Zwischenüberschrift waren neben ein paar orthographischen Korrekturen verändert worden. Hatte Beck also jahrelang die Unwahrheit gesagt? Nicht nur Journalisten, sondern auch das Parlament belogen? Immerhin war sein Beitrag in der Vergangenheit im Bundestag mehrfach Thema gewesen.

Doch Beck hielt auch angesichts der neuen Erkenntnisse an seiner Darstellung fest und beharrte darauf, der Herausgeber habe den Sinn seines Textes durch das Ändern der Überschrift entstellt. Das gefundene Manuskript bestätige lediglich „auf beschämende Weise“, wovon er sich bereits mehrfach distanziert habe, schrieb Beck in einer Stellungnahme. „Daß es eine vollkommen falsche Annahme war, daß man theoretisch zwischen gewaltlosen, angeblich ‘harmlosen’ Sexualkontakten mit Zustimmung und gewaltförmigen, schädlichen Sexualkontakten zwischen Erwachsenen und Kindern unterscheiden könne.“ Dafür, so Beck, entschuldige er sich nun nochmals aufrichtig.

Daß es Beck mit der Wahrheit möglicherweise nicht so genau nimmt, darauf hatten Ende August bereits Recherchen der JUNGEN FREIHEIT hingedeutet. Denn der Foerster-Verlag, in dem das Buch seinerzeit erschienen war, widersprach Becks Behauptung, die Grünen hätten eine zweite Auflage des Buchs verhindert. An einen Rechtsstreit könne man sich nicht erinnern, versicherte der Geschäftsführer des Homosexuellenverlags, Joachim Köhler, der JF. Eine zweite Auflage sei zudem mangels Nachfrage gar nicht geplant gewesen. „Dazu hätte es ja erst mal vergriffen sein müssen. Das war nicht der Fall.“

Nun, nach dem Auftauchen des Originalmanuskripts, warf auch die taz Beck vor, „die Öffentlichkeit getäuscht“ und „seine Glaubwürdigkeit verspielt“ zu haben. Mit seinem „katastrophalen Krisenmanagement“ habe er der Partei „maximalen Schaden“ zugefügt, schrieb das in der Regel eher Grünen-freundliche Blatt zwei Tage vor der Bundestagswahl. Spätestens damit war klar, daß sich die Angelegenheit für Beck nicht mit der üblichen Ausrede erledigen lassen würde. Diesmal brauchte es Konsequenzen.

Beck zog sie am Montag nach der Wahl und kündigte seinen Rückzug vom Posten des Fraktionsgeschäftsführers an. Als Grund nannte er das schlechte Abschneiden seiner Partei. Dieses verlange Veränderungen und dazu wolle auch er seinen Beitrag leisten. Den Skandal um seinen Pädophilie-Text erwähnte Beck mit keinem Wort.

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