© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Bewegung als Prinzip
Die Rote Armee und ihre Strategie des tiefen Schlags
Bernd Biedermann

Unabhängig davon, wie der Leser am Ende das Buch „Der tiefe Schlag“ von Thomas Kühn beurteilt, eines kann er dem Autor nicht versagen: die Anerkennung für seine gewissenhaften Recherchen und ein gründliches Studium vieler Quellen. Das Buch ist flüssig geschrieben und liest sich gut. Gleichwohl hätte es einen besseren Lektor verdient. Fehlende oder falsch gesetzte Interpunktionszeichen und schwerfällige Satzkonstruktionen erschweren mitunter das Verständnis.

In den ersten fünf Kapiteln beschreibt Kühn die Militärgeschichte und die Entwicklung der Streitkräfte Rußlands und der Sowjet-union von 1914 bis 1939. Ob das im Zusammenhang mit dem Thema des Buches in dieser Ausführlichkeit nötig war, mag dahingestellt sein, interessant ist es allemal.

Die operativen Grundsätze des tiefen Schlages werden ausführlich an den Operationen der sowjetisch-mongolischen Truppen gegen die japanische Armee am Chalchin Gol im Sommer 1939, der Operationsführung gegen Polen im Herbst und gegen Finnland im Winter des Jahres 1939 beispielhaft dargestellt und erläutert. Dabei wird mit dieser Strategie ein konzertierter Stoß schlagkräftiger – bestenfalls mechanisierter – Truppen durch die Front des Feindes beschrieben, der Umfassungen ermöglicht und völlig mit Ideen des Stellungskrieges bricht.

Kühn hebt dabei die besondere Rolle von Georgi Schukow hervor, der sich in dieser Zeit zu einem anerkannten Heerführer entwickelt hat. Bemerkenswert ist, daß der Autor die Theorie des tiefen Schlages nicht einseitig als aggressive Art der Kriegführung beschreibt, sondern ihre Berechtigung auch in Verteidigungsoperationen nachweist.

Leider hat Kühn fast völlig auf Abbildungen verzichtet, obwohl sie sich an vielen Stellen durchaus angeboten hätten. Die einzige vorhandene Abbildung, in der die Kampfhandlungen am Chalchin Gol dargestellt sind, ist zudem in Schwarzweiß ausgeführt und deshalb selbst für einen erfahrenen Militär nur mit Mühe zu deuten. Eine farbige Darstellung wäre hier geboten gewesen, um den Verlauf der Handlungen der kämpfenden Seiten leichter verfolgen zu können.

Bei aller Wertschätzung der Arbeit von Thomas Kühn ist dennoch nicht zu übersehen, daß sich seine eigene militärische Qualifikation und Erfahrung in Grenzen halten. Davon zeugt unter anderem die Bemerkung, daß später bekannte Kommandeure wie Dmitri Rjabischew, Michail Potapow und Iwan Fedjuninski am Chalchin Gol „noch simple Regiments- und Brigadekommandeure“ waren. Dabei weiß jeder gestandene Militär, daß die Dienststellungen Regiments- oder Brigadekommandeur per se jeden Offizier adeln. Nur wer sich in diesen Dienststellungen bewährte, hatte das Zeug, höhere Weihen zu erfahren. Das galt und gilt in allen Armeen.

Als außerordentlich wertvoll zu erachten sind die Aufstellungen in den Kapiteln 10 bis 12 zu den Mechanisierten Korps der ersten strategischen Staffel der Westrichtung im Frühjahr 1941, der Mechanisierten Divisionen der Korps und der Funktion der Mechanisierten Korps im operativen Aufbau der Roten Armee an der Frontlinie zum deutschen Machtbereich. Auch die detaillierte Aufstellung der Strukturen der Kavalleriedivisionen, der Mechanisierten Korps und der Allgemeinen Armee in den Jahren von 1935 bis 1941 werden es allen erleichtern, die sich mit dieser Etappe der Militärgeschichte näher befassen.

Thomas Kühn: Der tiefe Schlag. Die operative Kunst der Roten Armee 1918–1941. Helios-Verlag, Aachen 2013, gebunden, 187 Seiten, 24,90 Euro

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