© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Haltungsnote
Im Glashaus für den Mindestlohn
Bernd Rademacher

Die Linkspartei warb im Wahlkampf mit der populistischen Parole „Genug gelabert! 10 Euro Mindestlohn!“ Die Mitarbeiter von Kerstin Kassner, Linken-Direktkandidatin im Wahlkreis von Angela Merkel, können noch lange labern: Sie bekommen nur rund acht Euro. Kassner führt mit ihrem Mann eine Fremdenpension auf Rügen.

Das Internetportal abgeordnetenwatch.de hakte nach bei der gelernten Kellnerin, die zu DDR-Zeiten staatsnah für den Feriendienst der Scheingewerkschaft FDGB in Binz arbeitete und bis 1991 ein Hotel leitete. Kassner verteidigte sich. Sie zahle immerhin den „ortsüblichen Tarif“. Nun ja, und außerdem würde sie gerne mehr zahlen, aber die Einnahmen reichten nun mal nicht. Ach, sieh mal an! Die anderen Unternehmen sind natürlich allesamt Kapitalisten, die aus reiner Hartherzigkeit gegen den Mindestlohn sind.

Richtig rührend wird’s, wenn Kassner erklärt: „Wir Kleinunternehmer, die oft bis zur Selbstaufgabe arbeiten, spüren die Auswirkungen der politischen Entscheidungen, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder Rundfunkgebühren, Ökosteuer und die enorme Teuerung bei den Energiekosten besonders stark.“ Tja, da hilft nur noch Verstaatlichung ihres Kleinunternehmens, oder?

Weiter entschuldigt Kassner: „Aber wir haben eine sehr familiäre Atmosphäre in unserem Unternehmen. Dafür spricht, daß unsere Mitarbeiter schon viele Jahre mit uns arbeiten.“ Goldig. Falls sie Mitarbeiter wegen höherer Lohnforderungen entlassen müßte, blieben diese dennoch weiter in der „Familie“ – irgendwie: Als Zweite Stellvertreterin des Landrats ist Kassner nämlich auch für das kommunale Jobcenter zuständig.

Im neuen Bundestag, dem Kassner wieder angehört, wird sie sicher mit ihrer Fraktion für die flächendeckende Einführung des Mindestlohns werben.

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