© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

„Dänemark ist judenfrei ..."
Vor 70 Jahren scheiterte die Deportation der dänischen Juden / Nationale Fluchthilfe nach Schweden
Matthias Bath

Eine der Lieblingsfragen dänischer Zeitgeschichtler ist, was den Reichsbevollmächtigten Werner Best am 8. September 1943 bewogen haben mag, in einem Telegramm an das Auswärtige Amt in Berlin eine „Lösung der Judenfrage“ auch für Dänemark anzuregen. Vieles spricht dafür, daß Best mit seiner Anfrage vor allem seine eigene Position im Gefüge des nationalsozialistischen Machtapparates zu festigen suchte, die dänischen Juden hierbei nur Mittel zum Zweck waren.

Jedenfalls ordnete Hitler daraufhin am 17. September die Deportation der Juden aus Dänemark an, und im Laufe des September trafen die dafür erforderlichen polizeilichen Einsatzkräfte in Kopenhagen ein. Am 28. September stand auch der Termin der Aktion fest. In der Nacht vom 1. zum 2. Oktober sollte die deutsche Polizei eine „Großaktion“ durchführen und sämtliche „Volljuden“ des Landes und die mit „Volljuden“ verheirateten „Halbjuden“ deportieren.

Angesichts dessen bekam wohl selbst Best Bedenken über die Folgen seines Handelns, denn er teilte diesen Termin dem Schiffahrtsattache der deutschen Gesandtschaft Georg Ferdinand Duckwitz mit, der, wie Best wußte, über vielfältige Beziehungen in Dänemark verfügte. Duckwitz, der nach dem Krieg deutscher Botschafter in Dänemark und später Staatssekretär im Auswärtigen Amt werden sollte, informierte noch am Abend des 28. September den mit ihm befreundeten dänischen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker Hans Hedtoft von der bevorstehenden Aktion. Dies hatte zur Folge, daß beim Frühgottesdienst in der Kopenhagener Synagoge am 29. September die Gemeindemitglieder aufgerufen wurden, nach Schweden zu flüchten oder im Lande unterzutauchen, bis ihnen ein Fluchtweg mitgeteilt werde.

Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Kopenhagen und löste sowohl eine Welle der Hilfsbereitschaft in der nichtjüdischen Bevölkerung als auch Proteste nahezu aller wichtigen Institutionen Dänemarks gegenüber der deutschen Besatzungsmacht aus. Als die Einsatzkräfte dann am Abend des l. Oktober die Anschriften der jüdischen Wohnungen anfuhren, fanden sie diese durchweg verlassen vor. Die Bewohner waren untergetaucht.

Große dänische Hilfsaktion bei der Evakuierung

Im Ergebnis der Aktion wurden in Kopenhagen lediglich 232 Juden, die meisten von ihnen alte oder mittellose Menschen, festgenommen. Im übrigen Land waren es 82 Personen. Die in Kopenhagen Festgenommenen wurden am 2. Oktober auf dem Schiff „Wartheland“ nach Swinemünde transportiert und von dort weiter in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo 52 von ihnen starben. Die Untergetauchten befanden sich aber auch nach dem Ende der Razzia noch längst nicht in Sicherheit, sondern mußten noch über den Öresund nach Schweden gebracht werden.

Dies wurde im Laufe des Oktober 1943 durch eine beispiellose Hilfsaktion von großen Teilen der dänischen Bevölkerung ermöglicht, die nicht akzeptieren wollte, daß Mitbürger willkürlich ausgegrenzt, verfolgt und einem ungewissen Schicksal preisgegeben werden sollten. Eine wichtige Rolle hierbei spielten Ärztenetzwerke und die Kopenhagener Krankenhäuser, wo viele Flüchtlinge gesammelt und von hier in die Fischerdörfer am Öresund gebracht wurden. Ganz entscheidend waren natürlich die Fischer, die die Flüchtlinge über den Sund brachten, sich ihren Einsatz aber in der Regel von den Flüchtlingen oder deren Helfern auch gut bezahlen ließen.

Dabei war das Risiko geringer als befürchtet. Für die deutschen Behörden in Dänemark war die Sache mit der Razzia vom 1. und 2. Oktober beendet. Der Reichsbevollmächtigte Best erklärte am 5. Oktober in einem Telegramm an das Reichsaußenministerium, Dänemark sei nunmehr „judenfrei“. Auf Nachfrage aus Berlin, nach dem Verbleib der großen Mehrzahl der bei der nächtlichen Razzia nicht ergriffenen Juden, präzisierte Best, Ziel der Aktion sei nicht die Ergreifung möglichst vieler Juden, sondern „die Reinigung Dänemarks von Juden“ gewesen, und dieses Ziel sei erreicht, weil sich Juden nicht mehr legal in Dänemark aufhalten könnten. Dies sah aber nur Best so, denn in Berlin hatte man anderes erwartet und begann Best nun zunehmend als „unsicheren Kantonisten“ anzusehen.

 

Dr. Matthias Bath ist Verfasser des Buches „Danebrog gegen Hakenkreuz. Der Widerstand in Dänemark 1940–1945“ (Neumünster 2011). Am 1. Oktober um 19 Uhr stellt der Autor sein Buch in der Bibliothek des Konservatismus vor.

Foto: Razzia gegen jüdische Dänen, Kopenhagen am 1. Oktober 1943: Eine Welle der Hilfsbereitschaft

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