© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

„Fünf, vielleicht sechs Prozent“
Frauke Petry ist wie Bernd Lucke und Konrad Adam gleichberechtigte Parteichefin der Alternative für Deutschland. Nach dem knapp verfehlten Bundestagseinzug will sie nun mit ihrer Partei den Sprung ins Europa- und in die Landesparlamente schaffen.
Moritz Schwarz

Frau Dr. Petry, mal ehrlich, sind Sie enttäuscht?

Petry: Ganz ehrlich?

Bitte.

Petry: Ein wenig schon.

Opposition ist Mist?

Petry: Wir sind nicht davon ausgegangen, nun an die Regierung zu kommen. Wir wollten in den Bundestag einziehen, um Gehör zu finden.

Trotzdem meint die „Welt“, die AfD sei inzwischen „zum größten Problem der CDU geworden“.

Petry: Ich kann mir gut vorstellen, daß das stimmt, denn ein Ergebnis so knapp unter fünf Prozent hat immer noch erhebliche politische Signalkraft.

Warum hat es nicht geklappt?

Petry: Ein großes Problem war, daß viele Medien uns in ihrer Wahlberichterstattung nur am Rande erwähnt haben.

Das allerdings trifft alle nicht im Bundestag vertretenen Parteien.

Petry: Das stimmt, und dennoch hat es uns sehr behindert. Ich glaube, daß wir noch am Wahltag bei vierzig bis fünfzig Prozent der Bevölkerung unbekannt waren. Wir haben das im Wahlkampf gemerkt: „AfD, schon mal gehört?“ „Neee!“ Zudem hat uns der Vorwurf, wir seien „Rechte“, schwer geschadet.

Inwiefern?

Petry: Viele Wähler wollen vor allem eines nicht: mit „rechts“ assoziiert werden. Zahlreiche Medien stellen uns aber immer wieder in Zusammenhang damit. Ob Günther Jauch uns in einem Atemzug mit der NPD nennt oder das ZDF-Magazin „Frontal 21“ uns in den Geruch des Nationalsozialismus bringt. Ich weiß, daß die Redaktion des ARD-Magazins „Fakt“ einen Beitrag über uns gemacht hat, der vom Sender mit der Begründung abgelehnt wurde: zu positiv, darin käme gar „nichts Braunes“ vor. Das gleiche von der politischen Konkurrenz: Von Wolfgang Schäuble, der uns als populistische Rattenfänger darstellt bis zu den Piraten, die uns in einem Flugblatt als „antidemokratisch“ und neue Nazis bezeichnet haben, was wir gerichtlich unterbinden mußten. Ob unsere Plakate mit „Nazi!“ besprüht oder auf der Wahlparty der Grünen bei Verkündung des AfD-Ergebnisses „Nazis raus!“ gebrüllt wurde, immer wieder wird dieser Zusammenhang hergestellt.

Welche Rolle spielt der „Rechts“-Vorwurf für das Verfehlen der fünf Prozent genau?

Petry: Das kann ich nicht verläßlich sagen, aber es gibt immer noch Bürger, die derartige Vorwürfe unkritisch übernehmen anstatt genauer hinzuschauen. An den Wahlkampfständen haben wir aber erlebt, daß sich der „Rechts“-Vorwurf im Gespräch zu konkreten Politikthemen meistens schnell in Luft auflöste.

Obwohl Sie dabei sind, nun möglicherweise eine etablierte Kraft zu werden, nehmen diese Vorwürfe nicht ab.

Petry: Im Gegenteil, offensichtlich wird diese Strategie intensiviert. Und zwar weil man sich dagegen kaum wehren kann. Der Vorwurf ist ein Totschlag- und ein Angstargument, Tatsachen spielen keine Rolle, und ein großer Teil der Bevölkerung ist dafür empfänglich. Im Grunde vergiftet er das politische Klima in Deutschland.

Verloren haben Sie die Bundestagswahl letztlich in NRW und Niedersachsen – zwei bevölkerungsreiche Länder, in denen Sie unter vier Prozent geblieben sind. Warum konnten Sie dort nicht punkten?

Petry: Wir mußten mit wenig Geld auskommen und konnten folglich mit unseren Mitteln in kleineren Flächenländern, wie etwa Sachsen, wo wir erfolgreich waren, dichter plakatieren als in diesen beiden großen Flächenländern.

Baden-Württemberg ist so groß wie NRW und dort haben Sie gut über fünf Prozent.

Petry: Der Wahlkampf ist von den Landesverbänden unterschiedlich geführt worden, was auch vom Aufbau-Zustand der Partei im jeweiligen Bundesland abhing. In Baden-Württemberg ist der Landesverband vergleichsweise früh gegründet worden und konnte so Kapazitäten für den Wahlkampf freimachen.

Die Landesverbände haben den Wahlkampf in Eigenregie geführt – ein Fehler?

Petry: Die Bundespartei war einfach noch nicht genug entwickelt. In Zukunft wird es eine einheitliche Strategie geben.

Ihre Hochburgen – über fünf Prozent – lagen am Wahlsonntag im Saarland, Baden-Württemberg und Hessen sowie in den mitteldeutschen Ländern mit Ausnahme Sachsen-Anhalts. Hat Sie das überrascht?

Petry: Ja, eigentlich haben wir mit einer gleichmäßigen Verteilung über ganz Deutschland gerechnet. Den Erfolg in Hessen und Baden-Württemberg erkläre ich mir damit, daß dort wegen der besseren Parteistrukturen ein engagierterer Wahlkampf möglich war. In Hessen haben wir überdurchschnittlich viele Mitglieder, was ich auf eine erhöhte Sensibilisierung für das Euro-Thema im Bankenraum Frankfurt zurückführe. Unser Erfolg in Ostdeutschland beruht wohl dagegen darauf, daß dort die Bereitschaft, eine andere Partei zu wählen, größer ist als im Westen, weil es hier nicht so viele verwurzelte Stammwähler gibt.

Lange wurden Sie – Stichwort „Professorenpartei“ – als Phänomen eines eher im Westen beheimateten enttäuschten bürgerlichen Wohlstandsmilieus gehandelt. Sind Sie aber, mit Ihrem Erfolg in Mitteldeutschland, nicht doch eher eine Protest- als eine Milieupartei?

Petry: Wir sehen uns weder als Protest- noch als Milieupartei, sondern als Volkspartei, die Zuspruch aus allen Schichten bekommt. Dazu gehören natürlich auch Protestwähler im Osten. Wobei ich mich dagegen wehre, diese implizit abzuwerten, so als ob sie nicht wüßten, was sie tun. Dazu gehören auch enttäuschte bürgerliche Milieus im Westen, deren Bereitschaft zum Wechselwählen aber offenbar geringer ist, als wir geglaubt haben. Wer den Wechsel wählt, muß eben die Wohlfühlzone verlassen. Dazu sind offenbar viele Wähler im Westen – noch – nicht bereit. Ich weiß aus Gesprächen, daß viele arrivierte Bürger durchaus erkennen, daß etwas falsch läuft, da sie aber nicht direkt betroffen sind, keine Konsequenzen ziehen. Motto: „Für mich reicht es ja noch!“ Das aber wird nicht so bleiben, auch viele von ihnen wird die Krise früher oder später erreichen.

Nun lautet das neue Ziel die Europawahl.

Petry: Glücklicherweise ist von Resignation in der Partei keine Spur. Alle freuen sich auf die Europawahl im Mai, zumal diese programmatisch ganz auf uns zugeschnitten ist.

Dort gibt es nur eine Drei-Prozent-Hürde, und erfahrungsgemäß zeigen sich die Wähler bei Europawahlen experimentierfreudiger. Ihr Wahlziel kann also wohl kaum einfach nur der Einzug sein?

Petry: Auf jeden Fall rechne ich mit mehr als bei der Bundestagswahl, mindestens fünf Prozent, vielleicht sogar sechs.

Die Europawahl wird allerdings rasch vergessen sein, ihr Schwung wird Sie keinesfalls bis zur Bundestagswahl 2017 tragen.

Petry: Da mache ich mir auch keine Illusionen, zwischen der Europa- und der Bundestagswahl liegen politisch gesehen Lichtjahre. Aber das Europaparlament kann eine Plattform sein, um die Bevölkerung weiter aufzuklären.

Was dort geschieht, bekommt doch kaum ein Bürger mit.

Petry: Ich sehe die Europawahl als einen Mosaikstein. Nicht umsonst hat man in der CDU – wie mir zugetragen wurde – die Parole ausgegeben, primäres Ziel sei es nun, den AfD-Einzug dort zu verhindern. Dennoch haben Sie recht, auf einem Sieg in der Europawahl darf man sich nicht ausruhen, es muß weitergehen.

Sie meinen die Landtagswahlen?

Petry: Natürlich, 2014 stehen Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an, glücklicherweise alles Länder, in denen wir am 22. September mindestens sechs Prozent geholt haben.

Müssen Sie aber nicht für die Landtagswahlen einen Malus kalkulieren? Denn der Euro ist kein landespolitisches Thema.

Petry: Das ist uns klar und auch, daß die Landesverbände eine landespolitische Kompetenz entwickeln müssen. Sicher wird es schwer, aber es ist zu schaffen.

Selbst wenn, danach folgen Landtagswahlen in Ländern, in denen Sie am 22. September weit schlechter abgeschnitten haben.

Petry: Keiner kann heute etwas Verläßliches über Landtagswahlen 2015 bis 2017 sagen. Aber ich glaube, daß sich der Gedanke, der hinter unserer Kritik an der Euro-Rettung steht, auch für die Landespolitik übersetzen läßt. Das ist der Gedanke der Subsidiarität, das heißt: Jeder ist zunächst einmal dazu aufgerufen, seine Probleme selbst zu lösen, Hilfe von oben gibt es erst dann, wenn anderes nicht mehr möglich ist. So bleiben Kompetenzen immer bürgernah auf der möglichst untersten Ebene angesiedelt, und Selbstverwaltung, Eigenverantwortung und Freiheit werden gestärkt. Dieses Konzept paßt sehr gut gerade zu landespolitischen Themen.

Bernd Lucke hat angekündigt, nun die Programmatik der Partei zu entwickeln. Drohen jetzt gefährliche Richtungskämpfe?

Petry: Die lassen sich nicht vermeiden, sie gehören dazu. Entscheidend ist, daß sie konstruktiv enden, nicht die Partei zerstören. Dafür müssen wir sorgen.

Bei welchen Themen sehen Sie das größte Gefahrenpotential?

Petry: Da muß ich überlegen ... wohl kaum bei der Energie- oder der Steuerpolitik, da sehe ich eher einen Konsens. Die größte Gefahr könnte bei den sozialen Themen drohen. Denn wir wissen gar nicht, wie hier die Stimmung in der Partei ist, da darüber bisher kaum diskutiert wurde. Ich habe aber schon gemerkt, daß die Frage des Mindestlohns keineswegs einheitlich gesehen wird.

Wie steht es mit der Frage: Zurück zur D-Mark oder weiter mit einem Reform-Euro?

Petry: Da sehe da kein großes Konfliktpotential, weil das stark davon abhängt, wie sich die Euro-Krise entwickelt, was in der Partei auch verstanden wird.

Das Thema Einwanderung?

Petry: Auch hier erwarte ich keinen entscheidenden Konflikt, weil Konsens ist, daß die derzeitige deutsche Einwanderungspolitik geändert werden muß.

Ja, aber in welchem Maße?

Petry: Ich glaube, es besteht Übereinstimmung, daß qualifizierte Einwanderung nötig ist, daß aber Armutseinwanderung möglichst vermieden werden soll.

Das heißt, eine restriktivere Einwanderungspolitik als die jetzt gültige?

Petry: Wir wollen, daß die jetzige Armutseinwanderung transparent gemacht wird, daß endlich die Zahlen auf den Tisch kommen, damit wir wissen, wovon wir eigentlich reden. Grundsätzlich sind wir für die Einwanderung, die wir tatsächlich brauchen – Stichwort: Fachkräftemangel –, nicht mehr. Das Thema Asyl wollen wir von der Einwanderung trennen. Zwar wollen wir das Arbeitsverbot für Asylbewerber aufheben, aber keine heimliche Einwanderung über das Asylrecht. Asyl erhalten soll schlußendlich nur, wer wirklich dazu berechtigt ist.

Könnte die Frage der Political Correctness zu Streit führen? Im ersten Manifest der AfD war deren politische Zurückweisung noch als ein Programmpunkt aufgeführt, später wurde die Stelle gestrichen.

Petry: Das ist ein Irrtum, der leider verbreitet ist. Der Punkt wurde tatsächlich nur umformuliert, jetzt heißt es in unserem Wahlprogramm: „Wir setzen uns dafür ein, daß auch unkonventionel Meinungen (...) ergebnisoffen diskutiert werden. Solange diese nicht gegen die Werte des Grundgesetzes verstoßen.“

Kurz vor der Wahl verkündete die AfD-Pressestelle triumphierend die Trennung von einem emeritierten Professor, als Signal gegen Rechts. Dem Theologen war auf einer mutmaßlich linksradikalen Internetseite unter anderem vorgeworfen worden, für die Zeitung geschrieben zu haben, der Sie gerade ein Interview geben.

Petry: Ich hatte mit dem Fall nichts zu tun, muß aber sagen, soweit ich mich nachträglich informiert habe, halte ich die Behandlung des Mannes für falsch. Grundsätzlich wünschte ich, ich hätte ein besseres Rezept dafür, wie man mit der bei uns in Deutschland verbreiteten Angst vor politischer Offenheit umgeht. Denn ich fürchte, wir wandeln uns mehr und mehr zu einer Angstgesellschaft, in der die Bürger sich nicht mehr trauen, das offen zu sagen, was sie denken und fühlen. Ich engagiere mich auch deshalb in der Alternative für Deutschland, um dem entgegenzuwirken.

 

Dr. Frauke Petry, drei gleichberechtigte Parteivorsitzende – „Sprecher“ genannt – hat die Alternative für Deutschland. Frauke Petry wurde 1975 in Dresden geboren und führt heute ein Unternehmen in Leipzig. Der promovierten Chemikerin bescheinigte Bundespräsident Gauck „besondere Courage und Tatkraft in Forschung und Entwicklung“, als er ihr 2012 die Verdienstmedaille des Bundesverdienstkreuzes verlieh.

www.alternativefuer.de

Foto: AfD-Vorsitzende Frauke Petry: „Von Resignation ist in der Partei nichts zu spüren ... Ein Ergebnis so knapp unter fünf Prozent hat immer noch erhebliche politische Signalkraft.“

 

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