© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Eine Frage des Preises
Koalitionsverhandlungen: Deutschland droht eine langwierige Regierungsbildung
Paul Rosen

Oskar Lafontaine hat für seine alte Partei, die SPD, nur noch Hohn übrig: „Gerhard Schröder wollte wenigstens Kanzler werden“, spottete der zu den Linken gewechselte Saarländer über seine früheren Genossen. Die SPD, so zeigen die ersten Tage nach der Bundestagswahl, will sich teuer verkaufen, wenn sie sich auf ein Bündnis mit der Union einläßt. Führen will sie schon lange nicht mehr. Auch das ist ein Symptom des Niedergangs dieser einstigen Volkspartei.

Die Wiederauflage der Großen Koalition (zuletzt 2005 bis 2009) erscheint derzeit als die wahrscheinlichste Variante, auch wenn ihr beim letzten Bündnis bekanntester Vertreter auf der linken Seite, SPD-Kanzlerkandidat a.D. Peer Steinbrück, für kein Regierungsamt mehr zur Verfügung steht. Er hat offenbar nicht nur die Nase von seiner Partei voll, sondern will sich auch eine weitere Legislaturperiode am Kabinettstisch von Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr antun.

Die in Berlin gehandelten Regierungsvarianten haben sehr unterschiedliches Gewicht. Keine Chance wird Rot-Rot-Grün eingeräumt. Die Absagen der Sozialdemokraten waren zu heftig. SPD-Chef Sigmar Gabriel würde auf Andrea Ypsilantis gefährlichen Spuren in Richtung totale Wahlniederlage wandeln, sollte er Neigungen Richtung Linkspartei verspüren. Denn eine Zusammenarbeit hatten er und andere Spitzengenossen genauso kategorisch ausgeschlossen wie die frühere hessische SPD-Chefin Ypsilanti. Als diese sich dennoch mit Hilfe der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen wollte, brach die SPD fast auseinander, und bei den folgenden Neuwahlen mußten die Sozialdemokraten erdrutschartige Verluste hinnehmen. In ein paar Jahren könnte die Sache aber anders aussehen.

Auch unwahrscheinlich, wenn auch nicht ganz ohne Realisierungschancen, erscheint eine CDU/CSU-Minderheitsregierung. Eine Minderheitsregierung würde von der Not erzwungen, wenn SPD und Grüne nicht zu einer Koalition bereit wären und es auch keine Neuwahlen geben würde. Merkel will aber eine „stabile Regierung“ und hat kein Interesse daran, einem reinen Unionskabinett vorzusitzen. Es wäre für sie schlimm genug, sich die Mehrheit jeweils erst im Bundestag und danach auch noch im rot-grün beherrschten Bundesrat zusammensuchen oder -kaufen zu müssen. Daher, so Merkels Kalkül, lieber eine Koalition.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit sind die Chancen auf ein schwarz-grünes Bündnis besser als vor der Bundestagswahl erwartbar und absehbar. Die Grünen sind dabei, ihr bei den Schwarzen verhaßtes Spitzenpersonal wie Claudia Roth und Jürgen Trittin abzuräumen. Umgekehrt kommt die Union trotz aller Dementis den Grünen bereits in der Steuerpolitik entgegen. „Die abwiegelnden Stellungnahmen ändern nichts daran, daß die CDU-Zentrale dem Wirtschaftsrat der CDU geraten hat, sich auf einen höheren Spitzensteuersatz einzustellen“, wußte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dennoch gilt ein Bündnis mit den Grünen nur als zweite Wahl, weil es die im mittleren und kommunalen Segment noch vorhandenen konservativen Kräfte endgültig aus der Union vertreiben könnte.

Erste Wahl für die Union bleibt das Bündnis mit der SPD, auch wenn bei den Sozialdemokraten der Prozeß zur Erlangung der Regierungsbereitschaft schwierig erscheint. Immerhin hat der SPD-Parteikonvent der Aufnahme von Sondierungsverhandlungen zugestimmt, die inzwischen auch terminiert sind. Und die Offerten aus dem Unionslager, Steuerhöhungen zuzustimmen, gehen nicht nur in Richtung der Grünen, sondern genausogut der SPD. „Drei Tage nach der Wahl lockt die Union die SPD mit Steuererhöhungen als Morgengabe in eine Koalition“, beobachtete die FAZ. Das kategorische Ausschließen von Steuererhöhungen durch Koalitionspolitiker wie den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer hat nichts zu bedeuten. Der CSU-Hallodri sagte nämlich nicht, wie lange er Steuererhöhungen ausschließt. Schon schrieb der Spiegel von der „Großen Koalition der Abkassierer“, und der Münchner Merkur wähnte sich im „Räuberstaat“.

Die Sozialdemokraten sattelten inzwischen drauf. Sie wollen sechs Ministerposten. Unter anderem soll der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann das Schlüsselressort Finanzen von Wolfgang Schäuble (CDU) übernehmen. Den Koalitionsvertrag will die SPD der Parteibasis zur Zustimmung vorlegen. Ein Bundesparteitag am 14. November soll endgültig befinden.

Damit haben die Sozialdemokraten die Meßlatte ganz schön hoch gelegt. Gabriel und seine Mitstreiter erpressen die Union zwar regelrecht mit der Drohung, der Koalitionsvertrag könne beim SPD-Mitgliederentscheid scheitern. Umgekehrt vergißt die SPD-Führung, daß sie abtreten kann, sollte ein von ihr ausgehandelter Vertrag bei der Basis durchfallen. Die Union sitzt auf jeden Fall am längeren Hebel. Sollte sie auf Neuwahlen setzen, würden diese für die SPD verheerend ausgehen. Denn bei dem sich an Sicherheitsaspekten orientierenden Wahlvolk steht die Große Koalition auf Platz 1 der Wunschliste – mit deutlichem Abstand von anderen Bündnissen.

In der SPD wächst nach Steinbrücks Rückzug und dem politischen Absinken von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Einfluß des Parteivorsitzenden Gabriel. Durch dessen Spielernatur wird die SPD-Politik ein Stück weit unberechenbarer. Das dürfte auch auf eine neue Regierung abfärben. Die Verhältnisse in Deutschland erscheinen stabil, sind es aber nicht.

Foto: Spielfiguren in den Farben der beteiligten Parteien: Schwarz-Grün gilt vielen in der CDU nur als zweite Wahl

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