© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Riad sorgt für Ruhe und Aufruhr
Saudi-Arabien: Zwischen ausufernden außenpolitischen Ambitionen und inneren Zerreißproben
Günther Deschner

Wenn es um ihre regionalpolitischen Ambitionen geht, kennen die Saudis keine Freunde. Das bekam zuletzt der gestürzte ägyptische Ex-Präsident Mohammed Mursi zu spüren. Unterstützte die Familie al-Saud anfänglich noch die Regierung der Moslembrüder, sahen sie deren Herrschaft zuletzt immer mehr als Gefährdung der regionalen Stabilität – und ließen den ehemaligen Verbündeten über die Klinge springen.

Seither sind sie Garant und Geldgeber für Ägyptens neuen Herrscher General al-Sisi. Im jemenitischen Bürgerkrieg griffen sie auch militärisch gegen al-Qaida-Gruppen und schiitische Huthi-Rebellen ein. Im Nachbarland Bahrain halfen sie dem dortigen sunnitischen Regime, eine Rebellion der schiitischen Bevölkerungsmehrheit niederzuschlagen.

Saudi-Arabien ist mittlerweile nicht nur die einflußreichste Führungsmacht, sondern auch nach wie vor die höchste Moralinstanz der sunnitischen Welt. Unter Sunniten weltweit gilt das Land als Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina. Diese Stellung nutzt Saudi-Arabien nun schon seit Jahren, um immer fordernder mit dem Anspruch aufzutreten, Vormacht in der Golfregion zu sein.

Ganz besonders Syrien ist bei diesem Unterfangen ins Visier der wahhabitischen Scheichs geraten. Die radikal-sunnitische Saudi-Monarchie und das von der alawitisch-schiitischen Assad-„Dynastie“ regierte Syrien können sich nicht leiden. Mit dem Sturz Assads wollen die Saudis aber vor allem den Einfluß des Iran in der Levante zurückdrängen. Dafür zieht Riad alle Register: Die Golf-Monarchie unterstützt die syrischen Rebellen mit Waffen und Geld.

Auch die Entsendung von Söldnertruppen geht auf das Konto des Wüstenkönigreichs. Diese werden besonders aus Libyen, dem Irak oder aus Tschetschenien rekrutiert. „Seine“ tschetschenischen Kämpfer setzt Saudi-Arabien dabei auch noch anderweitig zur Durchsetzung regionalpolitischer Interessen ein: Der saudische Geheimdienstchef Bandar bin Sultan hatte bei Putin für den Fall, daß Rußland Assad fallenläßt, mit einem hochdotierten Rüstungsauftrag und Garantien für ein saudisch-russisches Zusammenspiel bei anstehenden Verteilungskonflikten auf dem europäischen Gasmarkt gewunken.

Pikant an den russisch-saudischen Geheimgesprächen ist dabei, wenn man dem Bericht der australischen Zeitung Sidney Morning Herald trauen darf, aber vor allem ein weiteres Detail: Die Zusicherung, daß die bevorstehenden Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi von bereits angedrohten tschetschenischen Terroranschlägen verschont bleiben würden. „Ich kann ihnen garantieren“, so Prinz Bandar, „daß die Olympischen Spiele sicher bleiben. Die tschetschenischen Gruppen, die die Spiele bedrohen, sind unter unserer Kontrolle. Wir benutzen sie im Syrien-Krieg als Druckmittel, können sie aber an- und ausschalten, wie wir wollen.“

Auch in den Ländern der „Arabellion“ – in Ägypten, Tunesien und Libyen – hat sich neben anderen arabischen Sponsoren das finanzkräftige Saudi-Arabien zum tonangebenden Wortführer aufgeschwungen, wozu sich die Königsfamilie etwa von Berlin und Paris durchaus ermuntert fühlen darf. Bundeskanzlerin Merkel wie Frankreichs Präsident Hollande haben zuletzt immer wieder hervorgehoben, daß sie in dem Regime von Riad einen letzten Stabilitätsanker in der turbulenten Region sehen. Saudi-Arabien machen ebenso wie den Golfemiraten noch die strategischen Nachwehen der Operation „Iraqi Freedom“ zu schaffen: Nach Saddam Husseins Sturz konnte Teheran seinen Einfluß im überwiegend schiitischen Nachbarland Irak stark ausdehnen und wird das auch weiterhin tun.

Gerade das hat den historischen Gegensatz zwischen den beiden großen Golf-Anrainern verstärkt: Für Saudi-Arabien war der Irak stets ein Pufferstaat zum schiitischen Erzfeind Iran. Das war auch der Grund, warum Riad im Frühjahr 2003 die Nutzung der US-Stützpunkte für den Angriff auf den Irak verweigert hatte – sehr zum Ärger Wa shingtons. Saddam war für die Saudis der beste Garant für einen stabilen Irak und für die Zurückweisung der Machtansprüche des Iran. In der saudischen Presse wurden Saddam Husseins letzte Worte vor seiner Hinrichtung, mit denen er die USA und den Iran verfluchte, damals groß herausgestellt. Sie trafen genau die arabischen Ängste, ein erstarkender Iran könnte die traditionellen Führungsmächte der Region – vor allem Ägypten und Saudi-Arabien – ihrer Führungsrolle berauben und eine schiitische, vom Iran dominierte Achse von Kabul bis zum Mittelmeer installieren.

Auch Wortführer der wahhabitisch-sunnitischen Staatsreligion Saudi-Arabiens, in deren Augen der schiitische Islam nichts anderes als teuflisches Ketzertum darstellt, meldeten sich lautstark zu Wort: Schlagworte wie „persische Offensive“ und „iranische Bedrohung“ charakterisieren die anti-iranische Rhetorik, die nach Meinung europäischer Beobachter vor Ort laufend an Schärfe zunimmt. „Iran ist inzwischen noch viel gefährlicher als Israel“, giftete etwa das religiöse Magazin Al Salafi und fügte hinzu: „Die iranische Revolution hat den Anspruch der Perser auch auf unsere Region erneuert. Für uns ist das der wirkliche Kampf der Kulturen.“

Dabei hat Saudi-Arabien – trotz seines Reichtums – genügend eigene Probleme. Die ungelöste Frage der Thronfolge ist davon wohl das derzeit größte: König Abdullah, der bald seinen 90. Geburtstag feiert, geht es gesundheitlich nicht gut. Jedes Jahr sterben ihm mehrere „Kronprinzen“ weg – im zarten Prinzenalter von 72, 76 oder auch 86. Zwar hat König Abdullah schon 2007 eine Nachfolgekommission einrichten lassen, die im Falle von Tod, Krankheit oder Unzurechnungsfähigkeit des Monarchen und des eventuellen Kronprinzen deren Nachfolge regeln soll. Doch ist unklar, ob diese Kommission in der politischen Praxis überhaupt eine Rolle spielt.

Von unten aber, aus der Gesellschaft, nimmt der Druck auf das Herrscherhaus zu: Drei Viertel der Saudis sind jünger als 30, von den 20- bis 24jährigen sind 40 Prozent ohne Arbeit. Saudi-Arabien ist der größte Ölproduzent, das Einkommen je Einwohner liegt aber unter dem des als arm geltenden arabischen Nachbarstaat Bahrain. Immer weniger Familien können sich einen ausländischen Fahrer für die Frauen des Haushalts leisten. Daß das Fahrverbot für Frauen in absehbarer Zeit aufgehoben wird, ist indes nicht zu erwarten. Den meisten Saudis geht es gar nicht um eine Demokratisierung des Landes. Sie wollen vor allem, daß sich ihr Lebensstandard verbessert. Doch auch diese Forderung ist nicht ohne politische Reformen zu erfüllen.

Foto: US-Außenminister John Kerry zu Gast beim saudischen Kollegen Prinz Saud al-Faisal: Nicht immer Hand in Hand in der internationalen Politik

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen