© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Den Ballon zum Platzen bringen
Irans neuer Präsident Rohani startet Charmeoffensive: Netanjahus Warnungen vor einer iranischen Atombombe finden immer weniger Gehör
Martin van Creveld

Seit mehreren Jahren macht der israelische Premierminister die Welt, sein eigenes Volk und wahrscheinlich auch sich selbst mit einer Angstkampagne halb verrückt. Er und seine Vertrauensleute haben die internationale Öffentlichkeit mit einer Flut von Warnungen vor jenen bösen Leuten in Teheran überzogen, die, wie er sagt, an einer Atombombe bauten. In vier oder drei Jahren oder schon in zwei Jahren oder vielleicht auch schon in sechs Monaten sei diese fertig, hat er gesagt. Bei der iranischen Führung handele es sich um irrationale Fanatiker, die alles daran setzten, Israel von der Landkarte zu tilgen, hat er gesagt. Israel, so Netanjahu, würde deswegen den Iran bombardieren.

Kurz gesagt: alle paar Monate kam es zur Krise. Einige gaben sogar vor, zu wissen, das Datum eines Angriffs stünde bereits fest. Der Ballon, den man stetig mit mehr und mehr heißer Luft füllte, wurde größer und größer. Viele Menschen, darunter einige der wichtigsten Staatsmänner der Welt, die mit Netanjahu zu tun gehabt haben, glauben, daß er ein Lügner ist. Aber sie irren sich: Er ist, was Amerikaner einen Bullshitter (Dummschwätzer) nennen. Ein Bull-shitter ist jemand, der den Unterschied zwischen wahr und falsch nicht erkennt. Er kann daher gar nicht lügen, selbst wenn er wollte. Netanjahu unterscheidet ausschließlich zwischen dem was ihm seiner Meinung nach nutzt, und dem, was ihm nicht nutzt. Was genau er über all die Jahre zu erreichen versuchte, ist für viele ein Rätsel.

Vielleicht war er tatsächlich in Sorge, wollte den Iran angreifen und wurde nur von der Tatsache zurückgehalten, daß ihn Obama wiederholt in seine Schranken wies. Oder vielleicht war alles auch nur Show. Jetzt, da die benachbarten arabischen Staaten mit Israel entweder im Frieden leben oder zu schwach geworden sind, um eine echte Gefahr darzustellen, mag er die Notwendigkeit gesehen haben, eine neue Gefahr zu schaffen, um seine rechtslastige Koalition zusammenzuhalten. Wahrscheinlich aber hoffte er einfach, der Welt Angst einzujagen und so Unterstützung zu erhalten; sowohl in Form von Geldzahlungen als auch in Form von Waffen – von Deutschland und den Vereinigten Staaten. Eine altbekannte zionistische Strategie.

Wenn es so war, hat es jedenfalls geklappt. Wenn Obama sagt, kein amerikanischer Präsident habe jemals mehr für Israel getan als er, weiß er, wovon er spricht. Von den berüchtigten deutschen U-Booten überhaupt nicht zu reden.

Wir werden es nie erfahren. In der Rückschau scheint die iranische Bedrohung weit übertrieben. Einige Beobachter haben darauf bereits seit Jahren hingewiesen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Der ehemalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte keine großen Sympathien für Israel. Seine Leugnung des Holocausts war eine törichte Aktion, deren einziges Ergebnis es war, die westliche Öffentlichkeit vor den Kopf zu stoßen. Er sagte wiederholt, daß das „zionistische Gebilde“ verrottet sei, nicht verdiene, überhaupt zu existieren, und bald verschwinden werde. Er unterstützte Baschar al-Assad, den viele Israelis – vielleicht irrtümlicherweise – als ihren schlimmsten Feind ansehen. Er ging sogar so weit, Hisbollah und Hamas zu unterstützen, sie mit Geld und Waffen zu versorgen und ihre Kämpfer auszubilden.

Aber es gab eben auch Dinge, die Ahmadinedschad nie tat. So sendete er nie seine eigenen Truppen, um Israel zu bekämpfen, weder in den Libanon noch nach Gaza. Er versuchte nicht, es dem türkischen Premierminister Erdoğan gleichzutun und ein Schiff zu schicken, das die israelische Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen sollte. Hätte er irgend etwas davon getan, hätte die Situation in der Tat heikel werden können. Auch scheint er das Atomprogram seines Landes nicht im beträchtlichen Maße vorangebracht zu haben.

Das unter dem Shah während der Siebziger begonnene Programm läuft seit über 25 Jahren. Wenn es bis jetzt für seine langsamen Fortschritte noch nicht im Guinness-Buch der Rekorde steht, sollte man dringend seine Aufnahme in Erwägung ziehen. Darüber hinaus legte Ahmadinedschad immer großen Wert darauf, Israel nicht direkt zu bedrohen. Was er hingegen immer wieder betonte, war, daß Israel im Falle eines Angriffs auf Irans Nuklearanlagen eine verheerende Antwort zu erwarten hätte. Jetzt, da Ahmadinedschad durch Hassan Rohani ersetzt wurde, hat sich vieles davon im Winde zerstreut. Irans neuer Präsident leugnet nicht mehr den Holocaust.

Im Gegenteil: Er ging sogar so weit, den Juden alles Gute zum neuen Jahr zu wünschen, das nach dem jüdischen Kalender vor wenigen Wochen begonnen hat. Vom ersten Tag im Amt an machte er klar, wie sehr ihm daran gelegen ist, die Spannungen mit dem Westen auszuräumen. Nicht etwa, weil er plötzlich seine Liebe zum dekadenten und sittenlosen Westen entdeckt hätte, sondern wegen der Sanktionen, die schwer auf seinem Land lasten. Er möchte deren Aufhebung vorantreiben und dies sobald wie möglich. Ansonsten drohen dem Regime schwere interne Konflikte. Konflikte, von viel größerem Ausmaß als in der jüngeren Vergangenheit.

Als Teil seiner Charmeoffensive nannte Rohani sogar Irans größten Rivalen, Saudi-Arabien, eine „Schwesternation“. Er nimmt für sich in Anspruch, all dies mit der vollen Unterstützung von Irans Oberstem Führer, Ali Khamenei, zu tun. Wie die inneren Strukturen der Teheraner Regierung aussehen, bleibt so obskur wie eh und je. Dennoch kann man mit Sicherheit sagen, daß Rohani nichts dergleichen ohne Khameneis Unterstützung tun könnte.

Die Ergebnisse bleiben abzuwarten. Schon jetzt wurden dadurch jedoch die Spannungen sowohl im Nahen Osten als auch in der Golfregion deutlich reduziert. Während sich Assad und seine Gegner weiter gnadenlos abschlachten, scheint ein amerikanischer Angriff auf Syrien deutlich unwahrscheinlicher als noch vor einigen Wochen. Wie so oft bildet hierfür der Ölpreis den besten Indikator: In den letzten Tagen ist dieser ziemlich rasant gefallen.

Es ist beinahe sicher, daß in Kürze auch Gespräche zwischen den USA und dem Iran beginnen werden. Für einen positiven Ausgang gibt es hingegen keine Garantie. Angesichts Amerikas Vergangenheit, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen – eine Erfahrung, die nicht nur Libyen und Syrien, sondern auch der Iran in seiner Geschichte schon leidvoll machen mußte, wäre Rohani ein Narr, wenn er die Fähigkeit seines Landes opfern würde, die Bombe zu bauen. Dennoch ist Reden immer besser als Schießen; mit jedem Tag sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf den Iran und damit die Gefahr eines Flächenbrands im Nahen Osten.

Und Netanjahu? Jahrelang ist es ihm gelungen, sich mit seinen Drohungen und Warnungen in den Mittelpunkt zu stellen. Wann immer er sprach, ob in der Vollversammlung der Vereinten Nationen oder an jedem anderen Ort, hörte man ihm zu – sogar jene die ihn nicht mochten. Kein Wunder also, daß er alles andere als glücklich über die jüngsten Entwicklungen ist. Schnaufend und keuchend nutzt er jede, Möglichkeit, den Führern dieser Welt, mit Obama an der Spitze, zu erklären, daß der Iran nach wie vor gefährlich sei und man dessen Führern nicht trauen könne. Angefangen bei Obama, sind aber immer weniger Staatsmänner geneigt, ihm zuzuhören. Wenn man von den Worten seines Finanzministers Yair Lapid – immerhin zweitmächtigster Mann im Kabinett – ausgeht, gilt das gleiche für viele Israelis.

Und das, so kann man nur hoffen, ist ein gutes Omen. Für die Welt, für den Nahen Osten und für Israel selbst.

 

Martin van Creveld: Der Autor gilt als einer der weltweit führenden Militärhistoriker. Sein Buch „Die Zukunft des Krieges“ entwickelte sich zum Bestseller. Er lehrte von 1971-2010 an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Heute ist der emeritierte Professor Dozent an der Universität Tel Aviv.

 

Iranische Kursänderung im Atomstreit

Seit den ersten Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat 2006 hat sich der Streit des Irans mit dem Westen immer weiter zugespitzt. Besonders die deutlich schärferen Sanktionen von 2010 machen der iranischen Wirtschaft zu schaffen. Die Inflation steigt, die Verarmung des Mittelstands nimmt zu. Mit einem neuen Ton versucht Irans neuer Präsident Rohani dem Westen nun Gesprächsbereitschaft zu signalisieren und eine Abkehr vom kompromißlosen Kurs seines Vorgängers Ahmadinedschad zu vollziehen. Rohanis Rede vergangene Woche vor den Vereinten Nationen wurde von der israelischen Delegation boykottiert. Iran versuche mit besänftigenden Worten seinen Weg zur Bombe weiterzugehen, so Netanjahu, dessen Boykottentscheidung bei seinem Finanzminister Lapid auf Kritik stieß. Eine Begegnung zwischen Obama und Rohani am Rande der UN-Vollversammlung wurde von der iranischen Delegation abgelehnt. Erstmals kam es zwischen den beiden Ländern, die seit 1979 keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten, jedoch zu Gesprächen auf Außenministerebene.

Foto: Benjamin Netanjahu mit US-Außenminister John Kerry: Wird dem israelischen Premierminister in der Iran-Frage das Lachen bald vergehen?

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