© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Ausbildungsziel Selbstvermarktung
„Menschenfeindliche Bildungsplanung“ im Bologna-System: Neomarxistische Positionen zur Ökonomisierung von Erziehung und Bildung
Oliver Busch

Die an den Hochschulen des deutschsprachigen Raums immer noch überproportional häufig präsenten Neomarxisten verfügen über ein respektables analytisches Potential, doch sie sind unfähig, richtige Einsichten in konstruktive Politikberatung umzusetzen. Dieses Unvermögen springt stärker noch als in der Außen-, Wirtschafts- oder Migrationspolitik im Bereich Erziehung und Bildung ins Auge.

So liefert das jüngste, dem Thema Bildung gewidmete Heft des altlinken Theorieorgans Das Argument (302/2013) zwar einen Sack voll kritischer Einlassungen zur Ökonomisierung des deutschen Bildungssystems und der Hochschullandschaft im Zeichen der „Bologna-Reform“, die Konservative zutreffender nicht formulieren könnten. Kornelia Hauser, Professorin für Feministische Gesellschafts- und Kulturwissenschaft in Innsbruck, verzichtet in ihrer Auseinandersetzung mit dem auf „Kompetenzerwerb“ und „Lebenslaufqualifikationen“ reduzierten neoliberalen Bildungsverständnis sogar weitgehend auf eigene Reflexion und belegt mit ausführlichen Zitaten von Erzvater Karl Marx, daß gegenwärtig alte, im 19. Jahrhundert gezogene Fronten wieder sichtbarer werden.

Daher gewinne die im „Kommunistischen Manifest“ nachzulesende Ankündigung von den entfesselten Produktivkräften, die „alles Ständische und Stehende“ verdampfen, an Plausibilität und klinge wie eine präzise Vorhersage der Globalisierung. Wer die „Einhegung und bewußte Formung“ dieses Prozesses „anonymen Märkten“ anvertraue, geht aus Hausers Sicht offenkundig auf Dummenfang. Sie selbst, und hier beginnt ihre ideologisch disponierte politische Blindheit, setzt für die „Hegung“ auf „Bewegungen, Gewerkschaften, Parteien“. Staat und Nation sind ihr nach alter marxistischer Denktradition nur „Agenturen des Kapitals“, die der seit 1999 mit „Bologna“ angepeilten „umfassenden Systemrevision“ des Bildungssektors freie Bahn geben.

Dieser Umbau, so bringt auch der Duisburger Erziehungswissenschaftler Armin Bernhard die Stoßrichtung der Bildungsstrategie „neoliberaler Denkfabriken“ auf den Punkt, kenne nur ein Bildungsziel: die Ausbildung der Fähigkeit, sich lebenslänglich selbst vermarkten zu können.

Bernhard, der 2010 mit einer polemisch gewürzten Arbeit zur „Biopiraterie in der Bildung“ gutfundierte „Einsprüche gegen die vorherrschende Bildungspolitik“ in die Debatte warf, sieht auch 2013 die zentrale gesellschaftspraktische Aufgabe in der „Bekämpfung der Wirksamkeit neoliberaler Bildungsideologie“ und ihrer „menschenfeindlichen Bildungsplanung“, die bis jetzt weitgehend unwidersprochen im „Alltagsverstand zirkulieren“.

Für eine „gegenhegemoniale Bildungspolitik“ sucht Bernhard Schützenhilfe in der deutschen humanistischen Tradition seit Kant, Pestalozzi und Humboldt, deren Theorien die aktuelle „funktionalistische“ Auffassung transzendierten und die zu ignorieren zu einer empfindlichen „Depotenzierung“ linker Alternativen führen würde. Wie daraus eine „Realisierungschance“ jenseits nationalstaatlicher Bildungsinstitutionen erwachsen soll, verrät der insoweit ähnlich wie die Kollegin Hauser desorientierte Bernhard allerdings nicht.

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