© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Der Vorwurf des Verrats ist am schwersten zu ertragen
Die Aufzeichnungen des Kommunisten Rudolf Hamburger, der in der Sowjetunion fast zehn Jahre als „sozialgefährliches Element“ im Gulag vegetierte
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Rudolf Hamburger, dessen einstige Aufzeichnungen jetzt sein Sohn veröffentlichte, kam 1903 auf die Welt. Während seines Architekturstudiums lernt er seine spätere Frau kennen, eine fanatische Kommunistin. In Schanghai, wo ihr Ehemann als Architekt tätig ist, arbeitet sie mit dem bekannten Sowjetspion Richard Sorge zusammen und tritt schießlich 1934 dem militärischen Spionagedienst der UdSSR (GRU) bei. Berühmt wird sie später als „Sonja“, welche die von Klaus Fuchs gestohlenen Unterlagen aus der US-Atomforschung jener GRU zuspielt. Zwei Jahre später bewirbt sich auch ihr Ehemann dort für eine Agententätigkeit.

Nach einer Verhaftung durch die Nationalchinesen durchläuft er eine Ausbildung in Moskau für einen Einsatz in der Türkei. Doch der Kriegsbeginn Deutschlands gegen die Sowjetunion läßt ihn nur bis Teheran kommen, das bald von den Amerikanern besetzt wird. Der Umstand, daß sein Militärspionagedienst vergaß, ihn mit glaubwürdigen Dokumenten auszustatten und Verrat in eigenen Reihen führen zur Verhaftung. Wochen später wird er mit einem Ausweisungsbefehl entlassen, innerhalb von drei Tagen das Land zu verlassen. Was liegt näher als sein ideologisches Heimatland, für das er viel riskiert hat, um Asyl zu bitten? Wohlbehalten erreicht er 1943 die Sowjetunion.

Dort wird er jedoch umgehend verhaftet. Man wirft ihm Spionage gegen die UdSSR vor. Vergeblich berichtet er immer wieder von seinen GRU-Einsätzen; zumeist finden die Verhöre nachts statt und dauern drei Stunden. Über seinen politisch-moralischen Zustand schreibt der deutsche Kommunist: „Verzweifelt werfe ich mich auf die Pritsche. Gescheitert ist das hohe Ziel, für ein besseres Leben zu kämpfen, grausam zerstört die Ideale. Zurück schweifen die Gedanken zu den Tagen, als der Entschluß reifte, Abschied zu nehmen von meinem geliebten Beruf und sich einer Sache ganz zu verschreiben.“

Erschüttert ist er, daß ihn die Sowjets zum Verräter abstempeln. „Das ist schwerer zu ertragen als die Gefängniszelle, der Zustand vollkommener Rechtlosigkeit, der Hunger“. Immer noch in seiner Illusion gefangen, will er sich im Gerichtsverfahren verteidigen. Es gibt keinen richtigen Prozeß – ein postkartengroßes Papier, das ihn „für politische Verbrechen“ als „sozialgefährliches Element“ einstuft, reicht für das Urteil von fünf Jahren Gulag.

Der Deutsche kommt in ein Lager im Wolgagebiet. Dort denunziert ihn ein Stubenältester der Zelle in der Sorge, dieser wolle seinen begehrten Platz einnehmen. Ein neuer Prozeß wirft ihm „antisowjetische Propaganda“ vor: Er habe eine US-Zeitung mit einem Hinweis auf eine polnische Exil-Regierung in London gelesen, welche die UdSSR nicht anerkenne. Das Urteil? Acht Jahre! Sein nächstes Lager liegt im asiatischen Kasachstan. Recht realistisch durchlebt der Leser in erschreckender Weise das ganze Lagerleben mit seinem täglichen Kampf um Nahrung, der ständigen Angst vor Spitzeln, die seelischen Depressionen bei gleichzeitig harten Arbeitsnormen mit ihrer eisernen Strenge. „Manche verfallen in vollkommenen Fatalismus.“ Eines Tages wird er in ein Lager im Ural gebracht, wo die Gefangenen Wälder roden müssen, im Winter bei 30 Grad Kälte.

Erst 1952 wird Rudolf Hamburger entlassen und nach Rostow am Don verbannt, wo er als Architekt in der Kohleindustrie arbeitet. Reiner Zufall ist es, daß er Jahre später in der Prawda von einem Freund liest, dem er 1933 bei dessen Flucht aus Deutschland half und der jetzt in Ost-Berlin eine hohe Funktion innehat. Durch ihn gelingt seine Übersiedlung in die DDR.

Hier tritt er der SED bei. Wie er betont, sei er seinen Überzeugungen treu geblieben. Wie manche KPD-Mitglieder, die das unmenschliche Gulag-System hautnah erlebten, schweigt er lange Jahre über sein Leben dort. Ob es die Scham über die Deformation ist oder über die erlittene Ächtung, läßt das Buch offen. Zum Bruch kommt es bei seiner Weigerung, über seine einstige Spionage für Moskau zu schreiben, die Ost-Berlin gern propagandistisch verwerten möchte. Dennoch erhält er manche DDR-Auszeichnungen und wird 1980 sogar im Dresdner Ehrenhain beigesetzt. Immerhin verkneifen sich seine Genossen, ihn – wie andere Kommunisten – im Sektor der „Opfer des Faschismus“ zu bestatten.

Rudolf Hamburger: Zehn Jahre Arbeitslager. Als deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag. Ein Bericht. Siedler Verlag, München 2013, gebunden, 240 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

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