© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Die Truppe, die niemanden fallenläßt
Für Deutschland alles geben: Bei der Leichtathletik-Europameisterschaft der Streitkräfte stellten erstmals auch im Dienst versehrte Soldaten ihr Können unter Beweis*
Bernd Rademacher

Medienberichten zufolge klagt die Bundeswehr über immer mehr Rekruten, die wegen Übergewicht und Unsportlichkeit nicht tauglich sind. Die Soldaten an der Sportschule der Bundeswehr können damit nicht gemeint sein. Mitte September fand hier die Europameisterschaft der Leichtathletik des Conseil International du Sport Militaire (CISM) statt. Erstmals starteten in diesem Jahr bei den Wettkämpfen auch Soldaten, die durch Verwundungen im Gefechtseinsatz körperbehindert sind.

Die Sportschule der Bundeswehr im westfälischen Warendorf bildet junge Unteroffiziere und höhere Dienstgrade zu Sporttrainern aus. Jährlich nehmen dreitausend Soldaten an den Lehrgängen in verschiedenen Sportarten teil. Trainingsstätten, Unterkünfte und Ausstattung sind erstklassig: Kanus, Kletterwand, berggängige Fahrräder – hier bleiben keine Wünsche offen.

Am Tag der Anreise erhalten die Soldaten Sportbekleidung, Regenanzug sowie im Winter Anorak und Skimütze. Dann beginnt das Training. Einen Haken hat die Sache jedoch: Auch als Sportler muß man damit rechnen, neben den Lehrgängen noch zum Wachdienst eingeteilt zu werden.

25 solcher Sportfördergruppen gibt es in Deutschland von Eckernförde bis Sonthofen, von Köln bis Frankfurt/Oder. Während in Sonthofen für die speziellen Belastungen bei U-Boot-Fahrten trainiert wird, machen die Kameraden aus dem sauerländischen Winterberg als international überaus erfolgreiche Bobfahrer von sich reden. „‘No Sports’ ist nicht unsere Welt!“, sagt Oberleutnant Wübker. So seilen sich die Kletterer der Sportfördergruppe schon mal zum Erstaunen der Passanten von der gotischen Fassade der Warendorfer Laurentiuskirche ab.

Inzwischen wird in vielen internationalen Ausbildungsanweisungen der neue Begriff „Military Fitness“ verwendet. Und davon bewiesen die Athleten der Europameisterschaft eine Menge! Vor rund dreitausend Zuschauern zeigten die Spitzensportler drei Stunden beeindruckende Wettkämpfe. Ohne lange Vorläufe oder Qualifikationsrunden ging es gleich zur Sache, nämlich um die Europameistertitel in 18 Disziplinen. Dabei wuchsen manche Teilnehmer förmlich über sich hinaus, wie Stabsunteroffizier Julian Reus, der trotz leichtem Gegenwind EM-Sieger im Hundertmeterlauf wurde.

Eine absolute Neuheit bei der diesjährigen Militär-EM war die Para-Meisterschaft, für die sich alle aktiven Soldaten mit Behinderung oder dauerhafter Einschränkung bewerben konnten. Oberleutnant Wübker erklärt: „Wenn die Kameraden mit einer Schädigung aus dem Einsatz kommen, schließen wir sie ja nicht aus, sondern geben ihnen im Gegenteil Gelegenheit, eine Sporttherapie zu machen.“ Darum ging es bei den Para-Wettkämpfen spürbar um mehr als Punkte und Medaillen – um Selbstüberwindung und Leistungswillen, das Fertigwerden mit der Behinderung.

Der 26jährige Obermaat Robert Kloß aus Köln trat trotz einer Unterschenkel-Amputation beim Kugelstoßen an. Er erzählt: „Wenn man deprimiert ist, tut Sport einfach gut. In der Sport­therapie habe ich vor allem Aqua-Jogging und Hanteltraining gemacht.“ Für den Wettkampf hat er sich die Bronzemedaille als Ziel gesteckt. Als er später mit 6,83 Meter tatsächlich als Drittplazierter auf dem Treppchen steht, strahlt er: „Es fühlt sich richtig gut an!“ Er träumt davon, bald wieder joggen zu können – „mit einer Blade-Prothese“.

Stabsfeldwebel Ralf Rönckendorf ging im 1.500-Meter-Lauf an den Start, obwohl er seit seinem Afghanistan-Einsatz blind ist. Als einziger Versehrter startete er zusammen mit den gesunden Läufern. Vor dem Start sagte er: „Wahrscheinlich werden die mich, weil das Spitzensportler sind, überrunden ... Egal, ich lauf mit! Und das ist, was zählt!“ Es war emotional überwältigend, wie die Zuschauer alles gaben, um Rön­ckenberg anzufeuern! Trotz Blindheit hat er sein Ziel nicht aus dem Blick verloren.

www.kommando.streitkraeftebasis.de

Foto: Die Sprinter auf der 100-Meter-Distanz, das Ziel im Blick: Dem Handicap trotzend, reißt der Geist den Körper mit

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