© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Emotionale Wucht
Zuwanderung: Wie die Linke die Tragödie von Lampedusa mißbraucht
Michael Paulwitz

Der Name der süditalienischen Insel Lampedusa steht im europäischen Bewußtsein längst nicht mehr für Weltliteratur, sondern für die häßlichen und grausamen Folgen des Menschenhandels von Afrika nach Europa. Kaum weniger abstoßend als die Skrupellosigkeit der Schleuser und Schlepper, die von der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa getriebenen Afrikanern ihre Ersparnisse abnehmen und sie auf Schrottkähnen in den nassen Tod schicken, ist allerdings der Zynismus, mit dem deutsche und europäische Asyl- und Einwanderungslobbyisten die Todesopfer dieses üblen Geschäfts für ihre Zwecke instrumentalisieren.

„Konsequenzen“ aus dem jüngsten Schiffsuntergang mit über zweihundert Todesopfern vor den Küsten von Lampedusa fordern derzeit viele: Die Asylgesetze müßten „geändert“, sprich: gelockert werden, verlangt EU-Justizkommissarin Viviane Reding – das zielt auf eine Aufhebung der Drittstaatenregelung, die die Verantwortung für jedes Asylverfahren dem Erstaufnahmeland zuweist. Die üblichen Verdächtigen – „Flüchtlingsräte“ und „Menschenrechtler“, Amnesty und der Uno-Flüchtlingskommissar – machen unisono die „Härten“ der bisherigen Regelung für die Flüchtlingstragödie verantwortlich; EU-Parlamentspräsident Martin Schulz schließlich läßt die Katze aus dem Sack und fordert, Deutschland müsse „zusätzliche Menschen aufnehmen“ – und seine deutschen Genossen versprechen prompt, das Thema in die Koalitionsverhandlungen zu tragen.

Der emotionalen Wucht und dem moralischen Erpressungspotential, mit dem die Katastrophenbilder von Lampedusa aufgeladen werden, vermag sich kaum einer zu entziehen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und seine österreichische Amtskollegin wirken wie einsame Rufer in der Wüste, wenn sie darauf verweisen, daß ihre Länder bereits überproportional viele Flüchtlinge aufnähmen, und als Reaktion vor allem eine schärfere Bekämpfung der Schleusungskriminalität anmahnen. Sie liegen damit dennoch näher bei den Ursachen als die heuchlerischen und demagogischen Rufe nach umgehender Öffnung der Tore.

Heuchler ist, wer sich auf Kosten anderer als guter und moralisch überlegener Mensch inszenieren will. Weder Martin Schulz noch die rotgrünlinken Politiker, die ihm sekundieren, dürften auch nur in der Nähe einer Asylunterkunft leben. Wer selbst von Steuergeld lebt, und das nicht schlecht, der tut sich leichter mit dem Ruf nach mehr öffentlichen Mitteln für seine hehren Ziele als der arbeitende und steuerzahlende Normalbürger, auf den die finanziellen und sozialen Folgelasten abgewälzt werden.

Pure Demagogie – man könnte auch sagen: Asyl-Populismus – liegt dagegen vor, wenn mit falschen Argumenten unter Verschleierung der wahren Beweggründe Forderungen aufgestellt werden, die konsequent zu Ende gedacht erst recht ins Chaos führen. So handelt es sich bei der Mehrzahl der Bootsflüchtlinge eben nicht um politisch Verfolgte, sondern um Wirtschaftsmigranten, die illegale Einwanderung anstreben. Ihr erleichterter Zustrom nützt Einwanderungslobby und Sozialindustrie, weil ihre Betreuungsklientel vermehrt wird, und dient globalisierten und von Brüssel geförderten Wirtschaftsinteressen, weil das Heer der Billigkräfte und Konsumenten weiter anwächst. Gäbe man dem vereinten Drängen beider Interessengruppen nach und lockerte die Zuzugsregeln tatsächlich, würde durch den zusätzlichen Anreiz der Migrationsdruck nicht sinken, sondern steigen, und die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit der europäischen Staaten käme rasch an ein Ende.

Wollte man die Wahrscheinlichkeit von Tragödien wie des jüngsten Schiffsuntergangs vor Lampedusa tatsächlich verringern, müßte man den entgegengesetzten Weg gehen: Asylgesetze verschärfen, Leistungen reduzieren, Verfahren beschleunigen, Ausnahmetatbestände und Abschiebungshindernisse streichen, Abschiebungen konsequent durchsetzen, um das klare Signal zu geben: Es lohnt sich nicht. Ob dies auf europäischer Ebene allein gelingen kann, ist fraglich; zu unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen Staaten. Heute schon finden sich viele der in Italien angelandeten Afrikaner, von den italienischen Behörden womöglich noch mit Kompaß, Fahrkarte und Zehrgeld ausgestattet, wenig später in Hamburg oder sonstwo in Deutschland beim Bezug von Flüchtlingscamps wieder. Ähnliches gilt für Tschetschenen, die über Polen den Weg nach Deutschland suchen; der Seeweg übers Mittelmeer ist keineswegs die einzige Route für illegale Einwanderung nach Europa.

Um wenigstens diesen besser zu verschließen, mag es sinnvoll sein, bei den Verhältnissen in den Heimatländern anzusetzen; nicht in dem aussichtslosen Bemühen, mit europäischem Geld den Wohlstand dort anzuheben, bis der Migrationsdruck entfällt, wie Politiker-Phrasen gerne suggerieren, sondern allenfalls im Sinne von Arrangements mit den Machthabern der nordafrikanischen Mittelmeer-Anrainerstaaten, wie sie vor dessen mutwilligem Sturz beispielsweise mit Libyens Gaddafi bestanden.

Solange das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und diesen Staaten besteht, werden die Europäer nicht umhin können, illegale Einwanderung abzuwehren. Europa kann nicht jeden aufnehmen, dem es in Afrika oder anderswo schlechter geht als den eigenen Bürgern, ohne die Grundlagen seines eigenen Wohlstands zum Nachteil aller zu zerstören. Man kann diese Notwendigkeit akzeptieren und dennoch das Schicksal jener bedauern, die sich dagegen aufgelehnt und dabei ihr Leben riskiert und verloren haben.

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