© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

„Schritt für Schritt die Welt ändern“
Hannes Jaenicke dreht nicht nur Filme, er setzt sich auch für die Umwelt ein. Mit einem engagierten Buch hat er jetzt für Zoff gesorgt.
Moritz Schwarz

Herr Jaenicke, „Die große Volksverarsche“ heißt Ihr neues Buch. Das klingt, als hätten Sie viel Wut im Bauch.

Jaenicke: Eigentlich gar nicht.

Sondern?

Jaenicke: Sie wissen doch, wie das ist.

Der Verlag hat den Titel gemacht?

Jaenicke: Genau. Das wird gemeinsam entschieden.

Aber es ist Ihr Buch!

Jaenicke: Ehrlich gesagt schüttele ich über den Titel ein wenig den Kopf, denn ich bin kein wütender Mensch.

Hat Ihr Agent denn im Vertrag nicht für ein Vetorecht bezüglich des Titels gesorgt?

Jaenicke: Selbst dann läuft es so, daß der Verlag mehrere Titel vorschlägt und man einem zustimmen muß. Zudem: Am Ende weiß der Verlag am besten, was sich verkauft. Schließlich wollten wir keinen Ladenhüter produzieren.

Moment, Ihr Buch ist ein einziges Plädoyer gegen Täuschung und Abzocke – und der Titel ist reines Marketing?

Jaenicke: Nein, daß wir verarscht werden, das sehe ich tatsächlich so. Den Titel finde ich zwar nicht sehr subtil, aber in seiner Aussage akkurat.

Konkret klagen Sie an: „Wie Industrie und Medien uns zum Narren halten“ – so lautet der Untertitel Ihres Buches.

Jaenicke: Giftige Bio-Eier, Pferde-Lasagne, Uran im Trinkwasser, toxische Substanzen in Bratschläuchen und Plastikbackformen, tierisches Bindegewebe im Multivitaminsaft, fragwürdige Zusätze in Bio-Nahrungsmitteln, Fleisch von krankgezüchteten Tiermutationen, Pseudo-Gütesiegel und gefälschte Kundenbewertungen, Kinder- und Sklavenarbeit, ein von Lobbyisten durchsetztes Verbraucherschutzministerium, käufliche Umweltschutzorganisationen, Steuergeschenke für Google, Apple, Starbucks und andere Konzerne und so weiter und so fort. Ich sage Ihnen, wir werden nach Strich und Faden verarscht!

Um ehrlich zu sein, schon auf Seite zwei Ihres Buches fühlte ich mich völlig entmutigt.

Jaenicke: Kann ich verstehen, ich schildere im Buch ja auch, wie mir eine Kollegin ebenso entmutigt entgegenjammerte: „Was kann man denn dann überhaupt noch kaufen? Da müßte man ja nackt herumlaufen!“ Gerade hatte sie von mir erfahren, unter welchen Arbeitsbedingungen ihr Lieblingslabel fertigen läßt und wieviel Schad- und Giftstoffe in herkömmlicher Kleidung stecken. Allerdings hoffe ich, daß Sie nicht nur bis Seite zwei, sondern auch weitergelesen haben. Denn eigentlich soll das Buch das Gegenteil bewirken, es soll helfen, Hilflosigkeit zu überwinden, und eine Art Navi im Konsumdschungel sein.

Ist Ihr Buch nicht schon der hunderste Ratgeber dieser Art?

Jaenicke: Kann sein, es gibt bereits eine ganze Flut von Büchern dieser Richtung. Doch war ich erstaunt, wie trocken und schwer lesbar das meiste davon ist. Es ist, als seien die meisten nur für die Leute geschrieben, die eh schon grün wählen, Greenpeace unterstützen und nachhaltig leben. Ich wollte aber ein Buch für jene machen, die das alles noch nicht tun.

Allerdings jetzt mal ehrlich, war das Buch Ihre Idee?

Jaenicke: Keines meiner Bücher war meine Idee, mein Metier sind Film und Fernsehen. Aber dann kommen die Verlage und sagen: „Ihre TV-Dokus sind super, lassen Sie uns ein Buch machen!“ Natürlich habe ich keine Zeit und sage ab. Doch man wird belagert und belagert, und irgendwann knickt man ein. Wenn sich das Buch dann verkauft, steht der Verlag wieder auf der Matte. Also wieder: „Keine Zeit!“ Aber nach einem Jahr hatte meine engagierte Lektorin mich schließlich doch breitgeknetet.

Die Verlage machen das Buch weder aus Begeisterung für Ihre Dokus noch aus Liebe zur Umwelt, sondern weil sie uns etwas verkaufen wollen, ganz so wie Sie in Ihrem Buch kritisieren. Und Sie machen da mit?

Jaenicke: Ich bin nicht naiv. Natürlich interessiert mich das Thema. Seit meinen Teenager-Tagen interessiere ich mich für Umweltschutz. Ich bin in den Siebzigern politisiert worden, Anti-Atomkraft und Greenpeace, das war genau meine prägende Zeit. Wenn ich für den Umweltschutz auch nur einen Mini-Beitrag leisten kann, dann bin ich mit Begeisterung dabei!

In Ihrem Buch geht es nicht nur um Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder Lügen-Lobbys, sondern auch um Verpackungswahn, Plastiktüten und die Doppelmoral der Verbraucher. Herr Jaenicke, ich selbst trenne meinen Müll mit schwäbischer Gründlichkeit. Aus meinem gelben Sack zu Hause können Sie essen! Ich bin ein guter Mensch. Was wollen Sie noch von mir?

Jaenicke: Müll zu sortieren ist ja schön und gut, aber warum kaufen Sie überhaupt Plastik? Jeder weiß, Plastik ist ein Erdölprodukt, und es ist besser, es zu vermeiden. Es geht wirklich auch ohne. Wie, dazu gebe ich Tips in meinem Buch.

Und Sie warnen: ausgerechnet vor Bio-Plastik!

Jaenicke: Bio-Plastik, wie er zum Beispiel für die Activia-Joghurts von Danone verwendet wird, wird uns als umweltfreundliche Alternative angeboten: Der Stoff sei unbedenklich. Zwar ist er kompostierbar, doch er verrottet viel langsamer als normaler Bio-Müll. Daher muß er aussortiert und schließlich umweltbelastend verbrannt werden, zudem bleibt dioxinhaltige Schlacke zurück. Das ist alles, nur nicht bio.

Aber die Umweltschutzorganisation WWF empfiehlt doch den Activia-Bio-Becher.

Jaenicke: Ein klassischer Fall von Greenwashing: Der WWF ist sich nicht zu schade, sich vor den Karren von Danone spannen zu lassen, um dem Verbraucher ein gutes Gewissen verkaufen zu können. Es sind zwei Umstände, über die ich mich wirklich wundere: Erstens, mit welchem Zynismus wir von Industrie, Werbung und Medien verscheißert werden. Und zweitens, mit welcher Begeisterung wir darauf reinfallen.

Inwiefern?

Jaenicke: Wenn irgendwo draufsteht, etwas sei leicht, gesund oder umweltfreundlich, dann kaufen wir uns das doch mit bestem Gewissen, es darf dann auch ruhig mehr kosten. Wenn man aber nachforscht, ob das tatsächlich stimmt, dann stimmt es in den meisten Fällen nicht. Ich habe mich wirklich gefreut, als unlängst ein Gericht Mercedes dazu verdonnert hat, die Werbung für die S-Klasse zu überarbeiten. Mercedes hatte das Auto mit dem Argument der Umweltfreundlichkeit beworben, was einfach schamlos gelogen war. Alle möglichen Firmen geben sich heute nachhaltig und ökologisch korrekt. Aber hinter den Kulissen wird gemogelt und gesaut, um noch mehr Profit zu machen. Doch das wollen wir meist gar nicht wissen.

Der „Spiegel“ hat Ihr Buch als Werk eines selbstgerechten Gutmenschen-Wüterich verrissen.

Jaenicke: Ja, ja, Sie müssen schon dazusagen, daß der Artikel aus der Feder von Matthias Matussek stammt. Und daß Matussek bekanntermaßen ein Rechter ist, was ich bekanntermaßen nicht bin.

Moment, warum ist er ein Rechter?

Jaenicke: Sie wissen doch, daß er etwa ein großer Ratzinger-Verehrer ist.

Matussek gilt als begnadeter Journalist, lange war er der Kulturchef des „Spiegel“. Machen Sie es sich nicht etwas einfach?

Jaenicke: Herr Matussek schreibt über mein Buch, nachdem es fünf Wochen auf der Bestsellerliste seines eigenen Magazins steht. Er schreibt heute Bücher, die das nicht schaffen. Mehr brauche ich dazu doch gar nicht zu sagen. Ich vermute, daß er das Buch gar nicht gelesen hat, sondern sich nur auf der Website des Verlags informiert hat, um dann seine frustrierte und neidische Feder zu spitzen.

Seine Kritik ist polemisch, da haben Sie recht, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß er das Buch nicht gelesen hat. Übrigens, auch die „Süddeutsche Zeitung“ hat kein gutes Haar an Ihrem Buch gelassen.

Jaenicke: Mich wundert, wie sehr ihr Journalisten euch alle auf die Verrisse kapriziert. Wahrscheinlich zitieren Sie jetzt noch FAZ, Focus usw. Das ist mir echt langweilig. Ich glaube, es gibt kein Land in dem Neid, Mißgunst und Häme so gepflegt werden wie bei uns in Deutschland. Der Typ von der Süddeutschen kam an und fand mich und das Buch von vornherein scheiße. Er hatte deutlich merkbar keinen Bock auf den Artikel, mußte aber wohl irgendwas schreiben. Hätte er mal lieber etwas über Bioplastik geschrieben. Wenn das doch angeblich schon jeder weiß, dann müßte darüber doch auch mal was in der Zeitung stehen. Nein, statt dessen reagiert man sich am meinem Buch ab. Also, ich habe die ersten Artikel über umweltschädliche Kühlsysteme in Autos erst gelesen, als mein Buch schon sechs bis acht Wochen erschienen war. Wenn ich wirklich nur kalten Kaffee umrühre, dann erklären Sie mir mal, warum mein Buch seit Monaten auf der Spiegel-Bestsellerliste steht!

Wegen des namens Hannes Jaenicke.

Jaenicke: Das ist doch Unsinn.

Schauen Sie sich den Titel an. Ist dort das Thema bebildert? Nein, man sieht nur Sie!

Jaenicke: Ich bitte Sie, glauben Sie wirklich, die Leute geben 18 Euro aus wegen meines Fotos auf dem Umschlag?

Na klar, die Leute lieben Sie!

Jaenicke: Würde das stimmen, dann hätte sich mein erstes Buch – auf dem ich auch abgebildet war – ebenso gut verkauft wie das neue. Dem war aber nicht so. Und wer wirklich nur ein Bildchen von mir haben will, der soll mir schreiben und bekommt eine Autogrammkarte – die kostet ihn nichts!

Sie klagen: „In anderen Ländern ist es selbstverständlich, daß sich Schauspieler und Musiker gesellschaftlich engagieren. In Deutschland dagegen kriegst du auf die Eier.“ Wie meinen Sie das?

Jaenicke: Das fragen Sie nicht im Ernst?

Sie sind ein beliebter und preisgekrönter Schauspieler, der überall gerne eingeladen wird und zu Wort kommt!

Jaenicke: Sie zitieren selbst all diese bösartigen Kritiken und fragen allen Ernstes, wo ich auf die Eier kriege? Ich bin noch nie für etwas so verprügelt worden wie für dieses Buch. Aber ich sage Ihnen was: Neulich erzählte mir eine Leserin: „Wir haben Ihr Buch gekauft, und mein Mann benutzt seitdem in seiner Metzgerei keine Plastiktüten mehr als Verpackung.“ Mir ist diese eine kleine Reaktion dieser Frau mehr wert als alle Scheiß-Kritiken, die Ihre neidischen Kollegen fabriziert haben, um mich in die Pfanne zu hauen. Zumal Spiegel, Focus, FAZ und die ganze neoliberale Presse seit Jahren unermüdlich gegen den Umweltschutz anschreiben. Ich finde es frappierend, wie viele von euch Presseleuten auf diese Beruhigungsscheiße reinfallen. Ihr fahrt eure dicken Schlitten, macht eure Karriere und verbreitet, alles sei nur Panikmache. Eure Blätter lese ich gar nicht mehr!

Was lesen Sie?

Jaenicke: Die Harald Tribune, die New York Times, den Economist – die kämen selbst im Vollrausch nicht auf die Idee, mit so hämischen und neidischen Artikeln loszuledern. Lesen Sie mal den Economist! Man kann wirklich nicht behaupten, das sei ein grünes Agitationsorgan. Aber dort wird Umweltschutz neutraler und intelligenter behandelt als in jeder Spiegel-Ausgabe der letzten zwanzig Jahre.

Die Grünen haben von 1998 bis 2005 dieses Land mitregiert. Nach der Lektüre Ihres Buches frage ich mich verärgert: Wozu?

Jaenicke: Es stimmt, daß deren Regierungszeit weniger bewirkt hat als erhofft. Aber im Vergleich zu wohl 95 Prozent der anderen Länder sind wir in Deutschland viel weiter. Ich denke also, daß die Grünen trotz allem viel bewegt haben. Allerdings glaube ich auch nicht an eine Lösung allein durch die Politik.

Sondern?

Jaenicke: Nichts auf der Welt bewegt sich in Sprüngen. Konfuzius sagt, jede Reise beginne mit dem ersten Schritt. Ich glaube, daß wir, jeder einzelne, uns ändern müssen. Unser Geldbeutel ist die schärfste Waffe im Kampf gegen die Mißstände, die ich in meinem Buch beschreibe. Wenn wir die Produkte, die uns vergiften, unsere Umwelt zerstören oder die durch Ausbeutung von Kindern und Sklavenarbeitern hergestellt werden, nicht mehr kaufen, dann werden sie vom Markt verschwinden. Dann wird sich die Welt Schritt für Schritt tatsächlich ändern.

 

Hannes Jaenicke, als „Indiana Jones der Mülltrenner“ (Spiegel) und „Rächer der Verbraucher“ (Buchreport) stürmte Hannes Jaenicke (53) mit „Die große Volksverarsche. Wie Industrie und Medien uns zum Narren halten“ Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste, in der er sich seit Wochen hält. Der Schauspieler und Drehbuchautor engagiert sich seit Jahren für den Schutz von Tieren und Umwelt. Schon 2010 gelang ihm mit „Wut allein reicht nicht. Wie wir die Erde vor uns schützen können“ ein Bestseller, und seine ZDF-Dokumentationen über bedrohte Wildtiere begeisterten das Publikum – spalteten aber die Kritik: Während die einen sie als „kreative Fortentwicklung des Tierfilms mit neuer Zornigkeit“ (Süddeutsche Zeitung) lobten, rügten andere sie als „manipulatives Machwerk wie zu Zeiten der DDR“ (Focus). Auch „Die große Volksverarsche“ (Gütersloher Verlagshaus) sorgt für kontroverse Reaktionen. Franz Alt, Urgestein der Öko-Publizistik, urteilt jedoch: „Eindrucksvoll hält Jaenicke Industrie, Politik und Medien den Spiegel vor. Das ist gekonnte und hilfreiche Aufklärung.“

www.die-grosse-volksverarsche.de

Foto: Publikumsliebling und Buchautor Jaenicke: „Seit meinen Teenager-Tagen interessiere ich mich für Umweltschutz. Wenn ich dafür auch nur einen Mini-Beitrag leisten kann, dann bin ich mit Begeisterung dabei!“

 

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