© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Grüße aus Jerusalem
Es geht um viel
Philipp Gracht

Jerusalem kurz vor der Bürgermeisterwahl: Egal ob in der Straßenbahn, auf dem Markt oder an einer Straßenkreuzung: Überall stehen mit bunter Wahlkampfmunition bewaffnete Jugendliche und werben um die Stimme für ihren Kandidaten. Mein Einwand, daß ich selbst gar nicht wählen dürfe, überzeugt meist nicht. „Dann gib die Flyer/Mützen/Aufkleber eben deinen Bekannten, die wählen dürfen. Es geht um viel.“

Die Alternative, vor der die Bürger Jerusalems am 22. Oktober stehen, ist diesmal indes nicht auf den allerersten Blick wahrzunehmen. 2008 war das noch anders. Amtsinhaber Nir Barkat war damals mit Meir Porusch gegen einen als solchen erkennbaren ultra-orthodoxen Rabbiner angetreten. Mit Mosche Lion hat sich dies grundlegend verändert. Der eine wie der andere ist ausweislich der üppig verteilten Wahlplakate vorbildlich rasiert.

Gewiß, Barkat gilt als säkular, während Lion orthodoxer Jude ist. Aber beide sind sie streitbare Zionisten, die Jerusalem als unteilbare Hauptstadt Israels verstehen und jüdischen Wohnungsbau auch im arabischen Osten als legitim betrachten. Zwar wird Barkat von der Linken unterstützt. Das sagt aber nur bedingt etwas über seine Positionen aus. Aber nachdem sich der Likud und Israel Beitenu für Lion ausgesprochen hatten, blieb der Arbeiterpartei kaum etwas anderes übrig.

Anknüpfungspunkt für die säkulare Linke ist Barkats Verhältnis zur wachsenden ultraorthodoxen Bevölkerung Jerusalems. Sie unterstützt seinen Herausforderer nicht zuletzt deshalb, weil Barkat, der Internet-Millionär – Forbes schätzt sein Vermögen auf 120 Millionen US-Dollar –, mit Verve die Vision einer auch für den säkularen Mittelstand attraktiven Stadt umsetzte. Dessen Wegzug ist eines der großen strukturellen Probleme der Stadt, die mit etwa 850.000 Einwohnern zwar die größte, aber auch ärmste Kommune Israels ist. Während die Ultraorthodoxen immer größere Gebiete am Sabbat zu autofreien Zonen erklärt haben wollen, ließ Barkat kürzlich ein auch am Sabbat offenes Freizeitzentrum eröffnen.

Auf die ultraorthodoxe Bevölkerung kann der kulturkämpferische Amtsinhaber also nicht zählen. Auf die arabische im Osten der Stadt ebensowenig. Die beklagt zwar die Ungleichheit der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West, enthält sich aber ansonsten traditionell der Stimme. Meine nützt ihm nichts. Es wird sicher ein knappes Rennen werden.

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