© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Knapp daneben
Wie praktisch es sich philosophiert
Karl Heinzen

Der Platonische Traum von der Philosophenherrschaft ist auch in der Geschichte der Bundesrepublik nicht Wirklichkeit geworden. Julian Nida-Rümelin jedoch kam als Staatsminister für Kultur und Medien in der Ära Schröder seiner Erfüllung so nah wie niemand anders. Heute fristet er sein Dasein als Hochschullehrer in München und Ratgeber für die Öffentlichkeit. Da er sich, ganz im Sinne Platons, zur praktischen Philosophie berufen fühlt, steigt er gerne hinab in die Niederungen des Alltags. Aktuell drängt es ihn, die Stimme gegen Tendenzen im deutschen Bildungswesen zu erheben, die er offenbar als Entartung empfindet, ohne dieses Unwort in den Mund nehmen zu wollen.

Immer mehr junge Menschen drängen nämlich an die Hochschulen, und an diesen werden immer mehr Studiengänge angeboten, während das System der dualen Ausbildung in Unternehmen und Berufsschulen allmählich austrocknet.

Was politisch gewünscht ist, kanzelt Nida-Rümelin in einem Interview mit der Wirtschaftswoche jedoch als „Akademisierungswahn“ ab. Die Zahl der „Bildungsverlierer“ werde, so seine Schelte, dramatisch steigen, da viele im Studium scheiterten oder anschließend nicht den erhofften Beruf ergreifen könnten. Zahlreiche Facharbeiterstellen müßten in Zukunft mit Bachelors besetzt werden. Dadurch drohe dem Industriestandort Deutschland ein Qualitätsverlust.

Nida-Rümelin ist zwar dafür zu danken, daß er den eigentlichen Grund für den beklagten Facharbeitermangel benannt hat. Sein Plädoyer für die duale Ausbildung müssen dynamische junge Menschen jedoch ignorieren. Die Einkommensperspektiven für Facharbeiter sind überschaubar. Die Chance, mehr zu erreichen, hat nur, wer das Wagnis des Studiums eingeht. Diese Chance mag unablässig geringer werden. Sie ist aber immerhin vorhanden. Politisch zu lösen wäre das Problem nur durch eine Verknappung des Studienangebotes. Hochschulen und Fakultäten müßten geschlossen werden. Der praktische Philosoph Nida-Rümelin könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen und seinen Lehrstuhl zur Disposition stellen.  

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