© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Auf Augenhöhe begegnen
Sexismusvorwürfe und die Opferrolle: Birgit Kelle für ein selbstbestimmtes Frausein – auch ohne Rollenklischees aus dem feministischen Lager
Anni Mursula

Angela Merkel wird wohl aller Voraussicht nach zum dritten Mal in Folge deutsche Bundeskanzlerin. Damit ist sie eine der mächtigsten Frauen dieser Welt. Und das ganz ohne Quote. Es geht also auch so: Merkel hat ihr Amt nicht durch weibliche „Softskills“ erlangt. Und es half ihr auch kein beleidigtes Aufstampfen, nur weil sie eine Frau ist. Nein, sie hat sich ihre Position durch ihre Kompetenzen als Führungsperson verdient. Sie beherrscht die Regeln der Macht und hat sich knallhart gegen all ihre Gegner durchgesetzt, die meisten davon Männer.

Daß Merkel das kann, liegt an ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten, aber auch daran, daß ihr das Recht, mit Männern auf Augenhöhe zu konkurrieren, durch den Feminismus erkämpft wurde. Denn seitdem Frauen alle Türen der Welt offenstehen, haben sie es weitgehend selbst in der Hand, wie weit sie es auf der Karriereleiter bringen.

Und das ist der entscheidende Punkt. Nicht alle Frauen wollen in die Vorstandsetage. Eigentlich wollen es nur die wenigsten. „Es ist ein emanzipatorisches No-Go, auszusprechen, daß nicht alle Frauen Führungspositionen anstreben und es dementsprechend auch nicht genug Frauen gibt, die man nach oben befördern könnte“, schreibt Birgit Kelle in ihrem neuen Buch „Dann mach doch die Bluse zu“. Die meisten Frauen wählen eben einen anderen Weg als eine steile Karriere: Sie wollen Kinder und deshalb stehen für sie ihre beruflichen Ambitionen erst an zweiter Stelle. Was viele Feministinnen nicht wahrhaben wollen, ist, daß diese Frauen es völlig freiwillig und bewußt tun. Und eben nicht, weil sie angebliche Opfer des Patriarchats sind, die an „gläserne Decken“ stoßen oder weil sie unter dem „Stockholm-Syndrom“ leiden und mit ihren vermeintlichen Peinigern, also den Männern, kollaborieren.

Nein, Frauen sind keine Opfer, obwohl sie gerne alle Vorteile eines dauerhaften „Opferabos“ nutzen, schreibt Kelle. Erstaunlicherweise tun das nicht nur die „Heimchen am Herd“, die allen Vorurteilen gemäß keine andere Wahl haben, als zu ihren weiblichen Waffen zu greifen. Genau das tun auch emanzipierte Karrierefrauen und sogar Vorzeigefeministinnen. Auch sie spielen gerne ihren Opfer-Trumpf im richtigen Augenblick aus – beispielsweise an einer Bar mit einem gewissen Herrn Brüderle.

Dieser Trumpf ist Kern der Sexismus-Debatte, die Deutschland vor bald einem Jahr mit einem einzigen „Aufschrei“ übertönte, und der Grund, warum Birgit Kelle letztlich auch ihr Buch schrieb: Frauen wollen zwar mit Männern auf Augenhöhe konkurrieren, doch statt ins Auge sollen diese ihnen ins offene Dekolleté schauen.

Dahinter steckt eine Strategie: Ein falscher Blick vom falschen Mann zum falschen Zeitpunkt und schon gibt es einen Aufschrei und die Opferrolle kann endlich ausgekostet werden. Nur: „Mit welcher Begründung soll man uns noch in die Chefetagen vorlassen, wenn wir es nicht einmal schaffen, alleine an einer Bar ohne Sexismus-Polizei zu bestehen“, fragt Kelle und antwortet auf diese weibliche Doppelmoral in einem erfrischend gleichberechtigten Ton: „Dann mach doch die Bluse zu, wenn du willst, daß man dir in die Augen schaut.“

Unter demselben Titel („Dann mach doch die Bluse zu“) veröffentlichte Kelle im Januar eine Online-Kolumne im European. Der Beitrag wurde in Deutschland innerhalb kürzester Zeit zu einem der am meist geteilten, gelikten und kommentierten Artikel auf Facebook und Twitter – ein echtes „Social-Media-Phänomen“, wie Fachleute es beschrieben.

Birgit Kelle hatte damit einen Nerv getroffen. Tausende fühlten sich und ihr Lebenskonzept als Hausfrauen und Mütter zum ersten Mal in der Öffentlichkeit vertreten und verteidigt. Viele verstanden die ganze Aufregung in der Sexismus-Debatte um Brüderle gar nicht und empfanden, daß Kelle etwas aussprach, das sie sich selbst nicht zu sagen trauten. Kelle schreibt daher nun in ihrem Buch auch in Anlehnung an Elisabeth Noelle-Neumann von einer Schweigespirale, nach der es sich eben nicht gehöre, Hausfrau sein zu wollen oder sich nicht über Rainer Brüderles Altherren-Kompliment zu empören. Zumindest nicht, wenn Frau als halbwegs intelligent gelten will.

Birgit Kelle verleiht diesen schweigenden Frauen eine Stimme, die ihnen nicht von der Männerwelt verboten wurde, sondern von den feministischen Geschlechtsgenossinnen – jene, die sich als Vertreter der angeblich bis heute von der Gesellschaft unterdrückten Frau präsentieren. Kelle wirbt für ein ganzheitliches Frausein ohne jegliche Rollenklischees, auch keine feministischen. Sie kämpft für das Recht der Frauen, endlich mit ihrem Leben das zu machen, was sie selbst möchten – und nicht, was sie laut Politik und Medien zu wollen haben. Im Gegenteil bekämpft Kelle sogar jegliche Rollenzuweisungen. Sie plädiert dafür, endlich damit aufzuhören, Frauen ständig zu betiteln – als Rabenmütter, Glucken, Karrierefrauen oder Heimchen am Herd. Und zwar, „weil es in der Regel der Lebenswirklichkeit von Frauen nicht gerecht wird“.

Und Kelle betont noch etwas anderes. Zu keiner anderen Zeit seien Frauen in einer vergleichbaren Situation gewesen, das zu tun, was sie wollen. Angesichts des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels komme ihnen sogar eine Schlüsselfunktion zu. Nicht die Frauen bräuchten den Staat, sondern der Staat brauche sie – ihre Arbeitskraft und ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen. Damit hätten Frauen die eigentliche Macht. Eine Macht, die sie nicht mehr durch offene Blusen, Opfergehabe und Sexismusfallen befestigen müßten. Die Frage sei nur, wann sie diese endlich einsetzten.

Birgit Kelle: Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn. Adeo Verlag, Aßlar 2013, gebunden, 192 Seiten, 17,99 Euro

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