© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Trügerische Hochstimmung an den Weltfinanzmärkten
Künstlicher Aufschwung
Thorsten Polleit

Zu Tode betrübt, himmelhoch jauchzend. Die Stimmungsumschwünge auf den Finanzmärkten können drastisch sein. Von „Krise“ ist kaum mehr die Rede: Der deutsche Aktienindex erreichte am Dienstag mit über 8.800 eine neues Allzeithoch. Die Zinsen für strauchelnde Staats- und Bankschuldner sinken, die Preise für Edelmetalle – für viele Investoren ein „sicherer Hafen“ – fallen. Konjunkturdaten deuten eine Verbesserung der Lage an. Viele sehen Licht am Ende des Tunnels, und nur wenige erkennen darin einen entgegenkommenden Zug.

Das aber ist gefährlich. Zum einen, weil fast überall die Lage schlechter ist als die Stimmung. Zum anderen, weil die Ursache für die Scheinverbesserungen fragwürdig ist: Die Zentralbanken setzen ihre Politik der Tiefzinsen und Geldvermehrung – Auslöser der bisher größten Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit – kompromißlos fort. Die Zahlungsunfähigkeit von überschuldeten Staaten und Banken kann so zwar abgewendet werden. Daraus kann jedoch kein echter, kein gesunder Aufschwung entstehen.

Die heruntermanipulierten Zinsen verzerren das Wirtschaftsgeschehen, verleiten zu falschen Spar- und Investitionsentscheidungen, setzen einen Scheinaufschwung in Gang. Die aufgelaufenen Probleme, die das billige Geld verursacht hat, werden so nicht aus der Welt geschaffen, sondern übertüncht und vergrößert. Der neuerliche künstliche Aufschwung („Boom“), der vielfach ausgerufen wird, legt die Saat für den nächsten Abschwung („Bust“). Früher oder später ist eine Abkehr von der Niedrigzinspolitik unausweichlich, wenn der Wert der Währungen nicht gänzlich ruiniert werden soll. Zahlungsausfälle von Staaten und Banken, verbunden mit einem tiefen Wirtschaftseinbruch, wären die Folge. Ein ungehemmtes Ausweiten der Geldmengen würde hingegen zu hoher Inflation führen und letztlich in einer Rezession-Depression enden.

Aus dem jahrzehntelangen Wahn des Kreditgeldvermehrens gibt es also keinen schmerzfreien Ausweg. Ohne daß Zentralbanken den Finanzmarktakteuren in Aussicht stellen, wenn nötig die elektronische Notenpresse anzuwerfen, um offene Rechnungen zu bezahlen, wäre das internationale Papiergeldsystem schon längst kollabiert. Ob es überhaupt einen neuen Aufschwung geben wird, und wie lange er dauert, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen.

Sparer und Investoren sollten jedoch stets vor Augen haben, daß das Papiergeldfinanzvermögen in Form von zum Beispiel Bankeinlagen und Schuldverschreibungen vielleicht schon im nächsten „Bust“ durch Zahlungsausfälle, Konfiskation und/oder Geldentwertung vernichtet werden könnte. Nur so viel ist sicher: In diesem Stadium eines bereits Jahrzehnte währenden Boom-and-Bust-Zyklus ist so gut wie nichts mehr sicher.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom von Degussa Goldhandel.

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