© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

„Deutschland spürbar verändern“
Sozialpolitik: Wirtschaftsinstitute gegen Kindergelderhöhung / Mehr Steuergeld für Fremdbetreuung statt für traditionelle Familienmodelle
Jörg Fischer

Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr ist ein Meilenstein in der deutschen Familienpolitik“, behauptet SPD-Vize Manuela Schwesig. Damit würde „ein wichtiges Zwischenziel“ gegen „massive konservative Widerstände durchgesetzt“. Doch Mütter von ihren Kindern zu trennen, ist keine Erfindung von Sozialdemokratinnen oder von Ursula von der Leyen (CDU), die in ihrem Kinderförderungsgesetz einen „historischen Schritt“ sieht, der „Deutschland spürbar verändern“ werde. Schon das Kommunistische Manifest von 1848 wollte traute Verhältnisse aufheben und „an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche setzen“.

Anatoli Lunatscharski durfte die marxistische Theorie erstmals umsetzen: Aufgabe der Sowjetregierung sei „die Zerstörung der Familie und die Ablösung der Frau von der Erziehung ihrer Kinder“, so der Volkskommissar für das Bildungswesen (1917–1929). Er wollte die Kinder zwar nicht hinzwingen, „doch wenn wir in unseren Gemeinschaftshäusern gut vorbereitete Abteilungen für Kinder organisiert haben“, so Lunatscharski, würden die Eltern ihre Kinder von allein dorthin senden.

In der DDR waren über die Hälfte der unter Dreijährigen „Krippenkinder“. Dies diene „der Wahrnehmung des Rechts auf Arbeit durch die Frauen und ihrer gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, wie den Erfordernissen unserer Volkswirtschaft“, erläuterte vor 25 Jahren der DDR-Vizeminister für Gesundheitswesen, Horst Schönfelder. Daß er wie von der Leyen Mediziner und CDUler ist, mag Zufall sein. Die Wünsche der Wirtschaft und „Gleichberechtigung“ über das Kindeswohl zu stellen, ist allerdings inzwischen auch Ziel einer informellen Koalition von Rot-Grün über die Großstadt-CDU bis hin zu Arbeitgeberverbänden.

Wie aus Müttern schnell wieder arbeitende Frauen werden, war daher die zentrale Maßgabe einer Studie von drei deutschen Wirtschaftsinstituten (DIW, Ifo und ZEW). Ihre „Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen“ erklären sich aus vorgegebenen Zielen wie „Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Familien“ oder der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.

Die SPD will etwa die Gebühren für Krippen und Kindergärten abschaffen – das klingt „sozialistisch“. Doch es ist urkapitalistisch, denn ohne die jetzt schon gängigen Subventionen würde sich die Beschäftigungsquote von Müttern mit Kindern im zweiten Lebensjahr „von 37 Prozent auf rund 27 Prozent verringern“, warnen die Studienautoren. „Von aktuell 55 Prozent auf fast 44 Prozent fiele die Beschäftigungsquote von Müttern mit Kindern im dritten Lebensjahr.“

Besonderes Lob bekommt die von von der Leyen durchgesetzte Ablösung des 1986 eingeführten zweijährigen Erziehungsgeldes durch das Elterngeld: „Die Verkürzung der Bezugsdauer hat dazu geführt, daß deutlich mehr Mütter im zweiten Lebensjahr ihres Kindes eine Teilzeittätigkeit aufnehmen.“ Der Niedriglohnsektor profitiert davon, denn das einkommensabhängige Elterngeld führe „insbesondere bei Müttern aus ärmeren Familien zu positiven Arbeitsangebots­effekten“. Das Kindergeld dürfe nicht steigen, denn dieser „Zuwachs an Haushaltseinkommen“ erlaube es Müttern, „ihre Erwerbstätigkeit zu verringern“. Die Mittel, „die für eine solche Erhöhung offensichtlich bereitstehen“, sollten besser in andere Maßnahmen wie „die öffentliche Förderung der Kindertagesbetreuung“ investiert werden.

Auch das meist aus „linken“ Gründen verteufelte Ehegattensplitting steht in Wahrheit vor allem der Erhöhung des Arbeitsangebots im Wege: Es schaffe „durch Ausgleich der Grenzsteuersätze erhebliche negative Arbeitsanreize“ bei Müttern mit niedrigem Einkommen. Daß durch außerfamiliäre Gruppenbetreuung eine „massive chronische Streßbelastung in der hochsensiblen Phase der frühen Hirnentwicklung ausgelöst wird“, wie beispielsweise Rainer Böhm, Ärztlicher Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) in Bielefeld warnt, scheint den evaluierenden Ökonomen entgangen zu sein. Allerdings ist das Kindeswohl auch nicht ihr bevorzugter Untersuchungsgegenstand.

„Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen“ im DIW Wochenbericht 40/13: www.diw.de/deutsch

Hintergrundmaterial zu Kinderkrippen: wiki.familie-ist-zukunft.de

Foto: Weinendes Kleinkind: Müßten die Eltern die anfallenden Kosten vollständig selbst bezahlen, würde dies zu einer sinkenden Nachfrage bei der Fremdbetreuung in Krippen und Kindergärten führen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen