© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Das Gekrächz der Aaskrähen
Befreiungskriege gegen Napoleon: In Leipzig ist ein Panoramabild zur Völkerschlacht zu sehen
Andreas Zöllner

Irgendwo zwischen Zirkuskunst, Lichtspiel und Kulturfilm sind die spektakulären Panorama-Schaustücke ihrer Natur nach angesiedelt. Erfinder war der irische Maler Robert Barker. Er stellte 1787 in Edinburgh ein erstes Werk dieser Art vor und nannte es „Panorama“. Gemalte Spektakel mit Stadtansichten und Schlachtgetümmel lockten in der Folge viele Besucher. Der Höhepunkt dieser Unterhaltungskunst lag kurz vor ihrer Ablösung durch das Kino.

Aus dieser Zeit haben sich einige Werke bis in unsere Tage erhalten. So das Panorama in Luzern, welches die französische Ost-Armee des General Bourbaki beim Eintritt in die Schweiz zeigt. In Prag wurde etwa um die gleiche Zeit eine Hussitenschlacht dargestellt. Ein Panorama in Breslau zeigt die Schlacht bei Racławice, den Sieg der Truppen des Generals Kościuszko 1794 über die Russen. Das Werk wurde ursprünglich 1894 in Lemberg eingeweiht. Die von den Sowjets vertriebenen Ostpolen haben es 1946 in ihre neue niederschlesische Heimat mitgeführt, wo es erst 1985 in einem eigens errichteten Neubau wiedereröffnet wurde.

Aus neuerer Zeit stammen Panoramen, mit denen Nordkorea sich als ein aus tapferen Kämpfen emporgewachsenes irdisches Paradies feiert. Gleichfalls durch geschickte asiatische Maler wurden in Kairo zwei Schlachtenbilder zum Jom-Kippur-Krieg angefertigt.

Das weltgrößte Panorama befindet sich unterdessen in Leipzig. Der persischstämmige Architekt Yadegar Asisi ließ nicht die Form der Funktion folgen, sondern umgekehrt. Er hatte den genialen Einfall, anstatt eines Neubaus mit seinen Bildern in die stillgelegten Hochbehälter einzuziehen, die bis in die siebziger Jahre für die Speicherung von Stadtgas genutzt wurden. Innerhalb des Gasometers befand sich eine je nach Bedarf teleskopartig ausfahrbare Behälterglocke, die in ein Wasserbassin eingetaucht war. Da die gigantischen Zylinder das Stadtbild prägten, wurde eine sorgfältig gestaltete Blendfassade darum hochgezogen.

In Leipzig heißt das neue alte Bauwerk „Panometer“ und zeigte bereits das konstantinische Rom, den Amazonas-Regenwald und den höchsten Berg der Welt. In Dresden ist der Mythos der Barockstadt von 1756 zu sehen.

Das Panorama in Leipzig präsentiert die Völkerschlacht von 1813, jenen letzten Kampf gegen die Truppen Napoleon Bonapartes, mit dem die Befreiungskriege endeten. Gerade dieser Umschlagspunkt wird in dem neuen Panorama in Leipzig seit August vorgeführt.

Der Blick geht von der Thomaskirche auf der einen Seite in das Umland mit der Walstatt samt brennender Dörfer. Davor liegen die lieblichen Gärten der Vorstadt mit französischen Baumhecken und einer Brücke im Stil Palladios. In der anderen Richtung erstreckt sich die enge Dachlandschaft der Innenstadt. Hinter den neugieren Bürgern, die scheu aus den Fenstern lugen, stehen noch die Kaffeetassen auf den rohen Holztischen.

Einheiten sind vor den Arkaden des alten Renaissance-Rathauses von Hieronymus Lotter angetreten. Und vor dem königlichen Amtshaus staut sich ein gutes Dutzend französischer Bagagewagen. Einige davon sind umgestürzt. „Maison S. M. l’Empereur“ steht auf einer Plane. In einem aufklaffenden Dachgestühl ist ein Zeichner des Geschehens aus der Vogelperspektive zu sehen, vermutlich ein Selbstbildnis von Yadegar Asisi, dem Schöpfer des Leipziger „Panometer“.

Asisi hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Der Totaleindruck seiner Rundbilder ist geschlossener geworden und die erzählerische Breite der Darstellungen vielfältiger. Die Wetterseiten der Dächer der großen Kirchenschiffe zeigen sich bemoost. Das eine wirft nächtens einen weiten Schatten über die Fassade des gegenüberliegenden Amtshauses. In Abständen von Minuten verändert sich die Beleuchtung. Die Farben schwinden, und zuletzt sind nur noch die Wachtfeuer der Biwaks und die Brände zu sehen. Das Mondlicht überzieht die Ziegeldächer mit einem Schimmer von kaltem Licht. Dafür wurden fluoreszierende Farben verwendet.

Eine Geräuschkulisse soll den Eindruck vertiefen. Durch die Dämmerung dringt das Gekrächz der fleischgierigen Aaskrähen. An den Feuern wird in sächsischer Mundart Ludwig Uhlands Volkslied von den Königskindern gesungen, und von anderer Stelle wehen französische Weisen ans Ohr. Dann hellt es wieder auf. Ganz unherbstlich sind die Singvögel zu vernehmen. Doch das ist künstlerische Freiheit.

Unvermittelt erschüttert eine Explosion den Raum, und ruckartig wird es etwas heller, doch die Brände des Umlands verfinstern weiter den Himmel über dem weiten Leipziger Becken. Das gibt Grund zum Nachdenken. Napoleon sagte, daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt sei. Darüber läßt sich meditieren, während man auf der oberen Plattform des Besucherturms in des gemalte Gedränge hinabsieht.

Kontakt: Panometer Leipzig, Richard-Lehmann-Straße 114. Täglich außer montags 10 bis 19 Uhr (ab November bis 17 Uhr). Der Eintritt kostet 10 Euro (ermäßigt 8,50 Euro, Kinder ab sechs Jahren 5 Euro). Telefon: 03 41 / 35 55 34-0

www.asisi.de

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