© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Verehrt, mondän und doch so traurig
Die Germanistin Andrea Stoll scheitert an einer Biographie der Dichterin Ingeborg Bachmann
Markus Brandstetter

Die Österreicherin Ingeborg Bachmann (1926–1973) ist neben Christa Wolf die bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber anders als Wolf, die sich in einer Diktatur eine windstille Bucht inklusive Ehemann und offiziellem Sonnenschein gesucht und gefunden hatte, verzichtete Ingeborg Bachmann auf Ehe, Kinder, Anstellung und Ideologie. Sie wollte frei sein und so schreiben, leben und denken wie ihre männlichen Kollegen auch. Zu ihrer Zeit war das ganz schön mutig.

Ihr Mut hat sich ausgezahlt. Bachmann hat einige der besten Gedichte nach dem Zweiten Weltkrieg und eine Handvoll hervorragender Erzählungen geschrieben, die dem Zahn der Zeit widerstanden. Ihr einziger Roman „Malina“ handelt von einer Frau zwischen zwei Männern, aber es ist keine Dreiecksgeschichte à la Tschechow, Schnitzler oder Stefan Zweig, sondern die sprachlich radikale Darstellung der Zerstörung einer Frau durch zwei Männer. Das ist ein harter Stoff ohne Identifikationsfigur, spröde und kompliziert erzählt, aber in den 1970er Jahren, als Feminismus und Frauenbewegung so richtig abhoben, avancierte „Malina“ zur Pflichtlektüre für die Bewohner alternativer Wohngemeinschaften.

Anerkennungen und Ehrungen blieben nicht aus. Bis auf den Nobelpreis hat Bachmann alles abgeräumt, was es an Literaturpreisen gibt. Achtmal wurde sie ausgezeichnet, darunter mit dem Büchner-Preis und dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Sie war attraktiv, intellektuell und mondän; die Türen von Verlegern und Rundfunkredakteuren, von Kollegen und Kritikern standen ihr ebenso offen wie die der Reichen und Mächtigen. Sie war mit Henry Kissinger, Bruno Kreisky und Willy Brandt bekannt, und als sie von Rom zurück nach Wien ziehen wollte, bot die Regierung ihr eine kostenlose Wohnung an. Die Männer haben sich um sie gerissen: Sie hatte langjährige Affären mit dem Lyriker Paul Celan, dem Komponisten Hans-Werner Henze und dem Schriftsteller Max Frisch, der ihr die Ehe antrug, was sie entrüstet ausschlug.

Ihre Erfolge haben ihr im Leben nicht geholfen. Als Frisch sie wegen einer Studentin verließ, ging es mit ihr gesundheitlich bergab. In zehn Jahren geht sie elfmal in Kliniken, um Körper und Seele behandeln zu lassen, kann ohne Medikamente nie mehr schlafen, spült pro Tag hundert Beruhigungstabletten mit Wein und Cocktails hinunter und raucht dazu zwei Schachteln Gauloises. Obwohl sie Leser auf der ganzen Welt hat, Kollegen wie Uwe Johnson und Verleger wie Siegfried Unseld sie verehren, sie mit Opernlibretti, Rundfunkbeiträgen und Büchern gut verdient – „Malina“ steht wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste –, ist sie einsam, unglücklich, andauernd krank und so unorganisiert, daß sie ab und zu ohne einen Groschen Geld in ihrer noblen Wohnung in Rom sitzt.

Eine gute Biographin hätte viel aus diesem Leben machen können. Aber Andrea Stoll ist keine gute Biographin, obwohl sie über die Bachmann promoviert hat. Statt Fakten gibt es Meinungen, Interpretationen und sprachliche Leerformeln. Obwohl die Bachmann beständig als bettelarm dargestellt wird, erfährt der Leser nie, was sie denn wirklich verdient hat, wie hoch die Preisgelder und die Auflagen ihrer Bücher waren. Andauernd ist von Krankheiten, Kliniken und Kur­aufenthalten die Rede, nur woran die Dichterin wirklich litt – Depressionen und Borderline –, wird schamhaft verschwiegen. Dafür gibt es seitenweise Geschwafel aus dem germanistischen Proseminar wie dieses: „In Bachmanns Lyrik wie in ihrer Prosa tritt ein pulsierendes Nervengeflecht von topographisch geführten Erinnerungen zutage, das sich im Prozeß ihres Schreibens mit ihrem hohen artistischen Formbewußtsein vernetzt.“

Andrea Stoll will beweisen, daß ihr „kompromißloses Ringen um die Wahrheit“ Bachmann notwendigerweise in Einsamkeit, Armut und Krankheit führen mußte, aber die Fakten geben das nicht her. Ein Beispiel: Als die Dichterin nach zehn Jahren mit „Malina“ noch immer nicht fertig ist, beauftragt der Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld Uwe Johnson und Martin Walser, zwei absolute literarische Schwergewichte, mit dem Lektorieren des Textes – eine große Geste, die keinem männlichen Suhrkamp-Autor jemals zuteil wurde.

Den Tiefpunkt des Buches stellt das Kapitel über ihre Beziehung zu Max Frisch dar. Vier Jahre lang hat das Sternepaar der deutschen Literatur versucht, miteinander zu leben. Dann hat sie der joviale, bodenständige Frisch, der an Frauen gewöhnt war, die ihm ein warmes Mittagessen auf den Tisch stellen, entnervt von Bachmanns Überspanntheit, ihren Launen und Heimlichtuereien Knall auf Fall wegen einer viel Jüngeren verlassen. Die Dichterin hat sich zu Recht betrogen und gedemütigt gefühlt, aber das bedeutet nicht, daß Frisch, der ein mindestens so großer Autor wie Ingeborg Bachmann ist, deshalb seitenlang und auch noch ganz wahrheitswidrig als „Macho“, „Monster“, „Poseur“ und intellektueller Trottel vor dem Leser paradiert werden muß. Hier vermißt der Leser Distanz und ein ausgewogenes Urteil.

Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann. Der dunkle Glanz der Freiheit. Biographie. C. Bertelsmann Verlag, München 2013, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

Foto: Ingeborg Bachmann Ende der sechziger Jahre: Die Türen der Großverleger wie auch der Reichen und Mächtigen standen ihr offen

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