© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

Spione und gescheiterte Existenzen
Einige hundert Soldaten der westalliierten Truppen desertierten vor 1989 in die DDR: Das „Paradies der Werktätigen“ wurde für viele zum Schattenreich
Friedrich Wilhelm Schlomann

Heute ist es eher unbekannt, daß bis zum Bau der Berliner Mauer über 200 amerikanische, britische und französische Soldaten nach Ost-Berlin überliefen. Anhand von zehn solcher Schicksale beschreibt Peter Köpf überaus interessant dieses recht dunkle Kapitel der DDR-Geschichte. Das Motiv jener Nato-Soldaten war höchst unterschiedlich: Einige waren überzeugte Sozialisten, die in einem naiven Idealismus beim „Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik“ mithelfen wollten. Andere entzogen sich so ihrem möglichen Kriegseinsatz in Vietnam. Viele gaben „Rassismus“ in ihrer Armee als Beweggrund bei ihrem „Antrag auf politisches Asyl“ in Ost-Berlin an. Nicht selten aber waren der eigentliche Beweggrund eigene Straftaten. Manche hatten Eheprobleme oder Konflikte mit ihren Vorgesetzten. Nach einem Bericht der Stasi glaubten einige, „daß ihr Übertritt in die DDR eine große Friedenstat bedeutet und sie dementsprechend materiell unterstützt werden müßten“.

Natürlich bemühte sich die SED-Propaganda, derartige Vorfälle möglichst groß zu verwerten. Von KGB und Stasi wurden die Überläufer über ihr bisheriges militärisches Umfeld eingehend befragt. Andere wiederum schickten sie in den Westen zurück, um dort Spionage zu betreiben; einen setzte man zum heimlichen Abhören der US-Botschaft in Ost-Berlin ein, bis nach 1989 ein Rollkommando des US-Geheimdienstes ihn kidnappte und ihn in den USA vor Gericht stellte.

Offiziell nannte die Stasi sie „Freunde“, behandelte sie aber wie Feinde. Nicht ohne Grund, denn die CIC-Spionageabwehr der US-Streitkräfte bemühte sich sehr, die Deserteure zur Rückkehr zu bewegen. Von ihr sowie vom französischen Nachrichtendienst sind Fälle bekannt, in denen sie ihre Spione absichtlich als angebliche „Überläufer“ in die DDR einschleusten. Zur besseren Kontrolle wurden die „Freunde“ nach Bautzen gebracht und dort in der Gründerzeit-Villa „Weigang“ an der Wallstraße untergebracht, um von einer „Organisation IS“ („Internationale Solidarität“) „betreut“ zu werden. Galt es doch, ihnen die deutsche Sprache zu vermitteln, sie mit dem DDR-Alltagsleben vertraut zu machen und zu „Kämpfern für den Sozialismus“ zu erziehen.

Sieht man vom Fall eines Briten ab, der zum FDJ-Ehrenmitglied aufstieg, hatte jene politische Schulung kaum Erfolg. Sie scheiterte an den Realitäten der DDR, zudem gingen viele Erwartungen der Deserteure nicht in Erfüllung. Die meisten von ihnen hatten eine nur mangelhafte Berufsausbildung und wenig Arbeitsdisziplin. Manche Betriebe weigerten sich daher bald, sie zu beschäftigen.

Weit verbreitet unter den Überläufern waren Beziehungs- und Alkoholprobleme, auch Konflikte mit DDR-Bürgern blieben dabei nicht aus. Manche von ihnen wurden wegen Körperverletzungen strafrechtlich verurteilt, manche „Freunde“ mußten in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen werden. Es ist eine Tatsache, daß mindestens zwei Amerikaner in ihrer Schwermut und ihrem Heimweh nur im Selbstmord den Ausweg sahen. Angesichts ihrer neuen Lebensumstände entstand bei nicht wenigen Deserteuren der Wunsch, das DDR-„Paradies“ wieder zu verlassen und in das von ihnen bisher so verschmähte West-Berlin zurückzugehen. Bestärkt wurde ihr Entschluß durch – absichtlich wiederholt ausgestrahlte – Sendungen des US-Soldatensenders AFN, wonach wieder in den Westen geflohene Überläufer nicht bestraft würden. Manche Fluchtversuche scheiterten und zogen längere Gefängnisstrafen nach sich. Erfolgreich waren verschiedene DDR-Fluchthelfer; allein ein Taxi-Fahrer brachte fünfzig „Freunde“ nach West-Berlin. Mancher von diesen erhielt sowohl US-Dollar als auch Ost-Mark, sofern er in Diensten der Stasi stand. Die Gesamtzahl dieser „desertierten Deserteure“ ist offiziell nicht bekanntgeworden, geschätzt wird sie auf weit über ein Drittel aller einstigen Überläufer.

Peter Köpf: Wo ist Lieutenant Adkins? Das Schicksal desertierter Nato-Soldaten in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin, 2013, gebunden, 224 Seiten, 19,90 Euro

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