© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/13 / 18. Oktober 2013

In den Herzen der Generation Ü-30
Als Musik noch nicht „gestreamt“, sondern „aufgenommen“ wurde / Das Tonband hat vor allem eins gespeichert: ein Lebensgefühl
Sverre Schacht

Ein Pariser Straßencafé, so will es die Legende, regte zu einer der erfolgreichsten deutschen Erfindungen an: dem „Lautschriftträger“, besser bekannt als Tonband. 1928 ließ sich Fritz Pfleumer die Idee als Patent DRP 544302 schützen. Dabei hatte der Ingenieur das bronzebeschichtete Material schon einmal erfunden, allerdings für einen ganz anderen Zweck als die Revolutionierung der Tontechnik.

Die Erfindung begleitete Jugendgenerationen, bestimmte ihren Musik- und Hörspielgeschmack. Zu Millionen sparten Heranwachsende auf Kassetten mit Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg oder den Kinderdetektiven der „Drei ???“-Hörspiele. Wir lagen unterm Indianerzelt im Kinderzimmer oder lauschten den robusten Tonträgern im Ferienlager.

Die technisch längst überholte Compact Cassette, vor 50 Jahren entwickelt, weckt heute Emotionen, Erinnerungen an A- und B-Seiten oder – mit der Datasette – Programmiererfolge am heimischen C64-Computer. Zur 175. Folge der bei Kindern in den achtziger Jahren beliebten und heute als Kult gehandelten Krimireihe „TKKG“ machte Hörbuchautor Kai Schwind 2011 deutlich, worauf es bei Tonträgern stets ankam. Nämlich auf den Inhalt: „Das Weltbild und die Figurenzeichnung von Rolf Kalmuczak war des öfteren doch sehr angestaubt und bizarr; aber TKKG haben in meinem Kassettenkinderherz genauso einen Platz wie andere Serien.“

Dieses Herz schlägt millionenfach weiter. Führen Leerkassetten im Handel ein Nischendasein und sind klassische Tonbänder spätestens seit dem Ende des letzten großen Herstellers 2004 kaum noch zu erwerben, so ist die Nachfrage bei den auf Band gebannten Serien ungebrochen, denn Inhalte und Medium sind hier eine Einheit eingegangen. In Entwicklungsländern rangieren die robuste Musikkassette und das zugehörige Abspielgerät heute noch weit vor dem CD-Spieler, der ohne teure Spezialelektronik nicht repariert werden kann.

Zu verdanken hat die Welt es Fritz Pfleumer, der eigentlich nur ein Problem lösen wollte, das ihm unter den Nägeln brannte: Mitte der 1920er Jahre entwickelte der deutsch-österreichische Ingenieur (1881–1945) aus Salzburg ein neuartiges „Gold-Mundstück“. Bis dahin konnten sich nur wohlhabende Raucher Zigaretten mit goldblattbelegtem Mundstück leisten. Billige Marken waren mit Bronzestaub belegt, doch der färbte ab. Pfleumer schuf Abhilfe, indem er Bronzepulver in Kunststoff einbettete. Das Ergebnis sah der Gold-Variante ähnlich, und Raucher verfärbten sich nicht mehr so leicht Lippen und Finger, was dem Ingenieur an seinem Studienort Dresden eine Stelle als Berater der Dresdner Zigarettenmaschinenfabrik Universelle verschaffte.

Bald hielt Pfleumer nach neuen Anwendungen Ausschau. In einem Pariser Café soll ihm der Gedanke gekommen sein, bereits bekannte Tonträger aus Stahlband durch ein dünnes, mit Stahlstaub beschichtetes Papier zu ersetzen. Die Neuerung war leichter und günstiger, erlaubte zudem längere Spielzeiten und schuf so die Grundlage für das Magnettonverfahren. Galt es damals als Vorteil, das Band kleben zu können, ärgerten sich spätere Generationen über Riß und Bandsalat, was dem Siegeszug keinen Abbruch tat.

Der verlief vor allem über Kinderzimmer und mobile Geräte: Allein Hersteller Sony verkaufte von 1979 bis 1999 rund 180 Millionen Walkmen. Die kleinen tragbaren Abspielgeräte erlaubten bald auch Mitschnitte vom Radio. Die Marke Europa entdeckte in den siebziger Jahren mit „Fünf Freunde“ den Markt der im Kinderzimmer eigenständig hörenden jungen Kunden, lieferte Spannung wie Einschlafhilfe.

Dank Kindheitsno­stalgie bleibt das Medium mit einem bestimmten Lebensgefühl verknüpft, dem auch gegenwärtige Trends Rechnung tragen. Schutzhüllen für Smartphones gibt es in Gestalt von Kassetten. Die Erinnerungen ans Zurückspulen mit dem Bleistift bei zu schwacher Batterie oder an selbstaufgenommene „Tapes“ für Lieblingsfreunde – oder die Angebetete, wie in Plenzdorfs „Neuen Leiden des jungen W.“: das zieht kommerziell noch immer. Deutschlands ESC-Siegerin von 2010 Lena hätte kaum einen Song über ihren alten Kassettenrecorder, den sie unbedingt wiederhaben wolle, gemacht („My Cassette Player“), wenn sich mit derartiger Nostalgie nicht Geld verdienen ließe.

Der pfiffige Fritz Pfleumer, auf den das alles zurückgeht, ist nicht vergessen: Die Post feierte ihn 2011 mit einer Briefmarke „In Deutschland zu Hause: Einfallsreichtum – Deutsche Erfindungen“.

www.tonbandmuseum.info.

http://tonbandgeschichte.studerundrevox.de

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