© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Alle reden über das „Los von Rom"
Südtirol: Bei der Landtagswahl am Sonntag geht es diesmal mehr denn je um die Zukunft des Tiroler Etschlandes
Reinhard Liesing

Siamo in Italia“ – wie unter ihresgleichen üblich, kanzelt die Polizistin den Parksünder ab. Er hatte sie unweit des Bozner Waltherplatzes auf deutsch gebeten, sie möge doch, da die Parkzeit für sein Fahrzeug erst seit zehn Minuten abgelaufen sei, „Milde“ walten lassen, und ein „Non capisco“ („Ich verstehe nicht“) zur Antwort erhalten. Woraufhin er sie höflich, aber wirkungslos auf das im Autonomiestatut für Südtirol verankerte Zweisprachigkeitsgebot hinwies.

Für Roland Lang, Vorstandmitglied der Süd-Tiroler Freiheit (STF), ist das Alltag. Seit Jahren verlangen die Oppositionsparteien Süd-Tiroler Freiheit (STF), Freiheitliche (F) und Bürgerunion (BU), aber auch die regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) die Einhaltung dessen, was gemäß mühsam erkämpften Selbstverwaltungskompetenzen eigentlich verbrieftes Recht ist, jedoch von Rom und dessen Statthaltern an Eisack und Etsch mäßig oder gar nicht vollzogen, verschleppt oder einfach ignoriert wird.

Wenn es eines nachhaltigen Beweises für die Mißachtung der Bestimmungen des Autonomie-Pakets durch Roms Politik bedurfte, so lieferte ihn „Übergangsregierungschef“ Mario Monti. Der vormalige EU-Kommissar griff ungeniert in die Selbstverwaltungsrechte der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol ein.

Das ist zwar schon wieder Geschichte, denn Monti kehrte sogar der von ihm gegründeten überparteilichen italienischen Bürgerliste Scelta Civica per l’Alto Adige (SC) den Rücken. Doch unter Ministerpräsident Enrico Letta, mit dessen linkslastigem Partito Democratico (PD) die SVP – erstmals überhaupt – ein Bündnis einging, wird der römische Griff nach den Subsidien der reichen Provinz, deren Prosperität längst nicht mehr ist, wie sie in der zu Ende gehenden Ära von Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) zweifellos war, kaum nachlassen – wenngleich Lettas Ton moderater ist.

Denn seit Jahrzehnten schieben Italiens Regierungen und Finanzminister einen Schuldenberg vor sich her, der sich an 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bemißt. Was daher selbst der von der SVP gestütze Letta finanz- und steuer-, wirtschafts- und sozialpolitisch beschreiten muß, wird letztlich die Südtirol-Autonomie entwerten.

Aus all dem leitet die Deutschtiroler Opposition zwingend ab, dem maroden Italien ein für allemal den Rücken zu kehren. Sowohl für Süd-Tiroler-Freiheit, Freiheitliche und Bürger-union als auch für den Schützenbund (SSB) ist die Autonomie allenfalls ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Wiedervereinigung mit dem österreichischen Bundesland Tirol.

Gemeinsam ist ihnen das „Los von Rom“ – über den zu beschreitenden Weg gehen die Ansichten allerdings auseinander. Daher finden sie auch nicht zur nötigen Geschlossenheit, oder sei es nur zu einer gemeinsamen „Plattform“, wie sie Pius Leitner, Spitzenkandidat der Freiheitlichen, anregt.

Gemeinsam kämpfen sie gegen die seit Jahrzehnten den Landeshauptmann stellende SVP, aber jeder streitet für sich allein. Das mag für das erhoffte Erstarken der jeweiligen Repräsentanz im künftigen Landtag, der an diesem Sonntag neu gewählt wird, erfolgversprechend sein, um die absolute Mehrheit (der Sitze) der regierenden SVP zu brechen.

Für die Fernziele Unabhängigkeit und Eigenständigkeit im Freistaat, wie ihn die Freiheitlichen, oder über Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erwirkte Wiedervereinigung mit Österreich, wie sie STF und BU propagieren, mithin also für die Loslösung von Italien, ist die Aufsplitterung der oppositionellen Kräfte allerdings mehr als hinderlich.

Dennoch überlagert das „Los von Rom“ alle anderen Themen des Landtagswahlkampfs, die die Energiegewinnung, die Verbauung des Landes und den Ausbau des Bozner Flughafens betreffen. Dies rührt maßgeblich vom seit 1. September bis 30. November quasi parallel laufenden „Selbstbestimmungs-Referendum“ her, das von der STF betrieben wird.

Vom Wahlerfolg der Freiheitlichen Partei in Österreich (FPÖ) erhofft sich F-Spitzenkandidat Pius Leitner Auftrieb. Doch aufgrund des Übertritts eines bisherigen F-Landtagsabgeordneten – mitsamt Funktionären einer ganzen Bezirksparteiorganisation – zur BU, müssen die Freiheitlichen fürchten, einen Teil ihres bei der italienischen Parlamentswahl im Februar erzielten beachtlichen Stimmengewinns – von 9,4 (2008) auf 15,9 Prozent – einzubüßen.

Dagegen setzt die SVP – gerade nach dem Skandal um die Verwaltung der landeseigenen Energiegesellschaft SEL – auf einen „Neustart“ unter ihrem Spitzenkandidaten Arno Kompatscher, der den seit 1988 im Amt befindlichen Landeshauptmann Luis Durnwalder beerben soll. Auffällig massiv warnt die SVP vor dem „Los von Rom“, vor Unabhängigkeitsbestrebungen, Freistaatsidee der F und der Selbstbestimmungskampagne der STF und ihres Spitzenkandidaten Sven Knoll.

Zum anderen kooperierte die SVP, vom „Wahlerfolg der Schwesterparteien – Tiroler ÖVP, CSU in Bayern sowie CDU und CSU im Bund – beflügelt, mit Edmund Stoiber und Angela Merkel. So bestätigte Stoiber im Dolomiten-Interview, daß die Sammelpartei „genau auf dem richtigen Weg“ sei und mit Arno Kompatscher „eine große Zugkraft“ habe. Und die deutsche Kanzlerin, die trotz beanspruchender Koalitionssondierungen für Kompatschers Besuch Zeit fand, erklärte, daß es zwar „in Deutschland wie in Südtirol europafeindliche Tendenzen“ gebe, dessen ungeachtet sei aber der europäische Weg für alle ethnischen Minderheiten in Europa der „einzig gangbare“.

In diesem Kontext verwies Kompatscher auf die SVP-Konzeption von der „Vollautonomie“ – alle Kompetenzen nach Bozen, lediglich Außenvertretung und Militärwesen sollen in der Zuständigkeit Roms verbleiben – und „Südtirols Zukunft in einer Zusammenarbeit der Regionen in Europa“.

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