© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Von der Stadtreinigung abgefahren
Spektakuläre Kunstaktion in Danzig: Skulptur eines vergewaltigenden Sowjetsoldaten beschlagnahmt / Kommentarspalten quellen über
Christian Rudolf

Die Formensprache ist drastisch, das Verbrechen eindeutig: Ein Soldat kniet mit heruntergelassener Hose zwischen den gespreizten Beinen einer hochschwangeren Deutschen. Mit der Linken reißt der Mann sie brutal an den Haaren, mit der Rechten hält er den Lauf seiner Pistole in ihren Mund. Der Stern auf seinem Helm kennzeichnet ihn als Rotarmisten.

Die Figurengruppe im Stil des sozialistischen Realismus stand erhöht auf einem roten Podest neben einem sowjetischen Siegesdenkmal aus kommunistischer Zeit. Der originale sowjetische T-34 ist gut zu sehen, direkt vorbei führt Danzigs mehrspurige Hauptverkehrsader, die die Hansestadt mit Zoppot und Gdingen verbindet.

Die Installation eines jungen polnischen Bildhauereistudenten aus Danzig hat ein riesiges Echo in den Kommentarspalten des Internet gefunden, die Staatsanwaltschaft beschäftigt und den russischen Botschafter auf den Plan gerufen.

Der Urheber, Jerzy Szumczyk, studiert im fünften Studienjahr an der renommierten Danziger Akademie der schönen Künste (ASP). Nach eigener Aussage wühlte den 26jährigen die Lektüre über die Bestialitäten der Roten Armee an Frauen und Mädchen in der Schlußphase des Zweiten Weltkriegs so auf, daß er die Erschütterung künstlerisch verarbeiten mußte.

In einem Raum der Hochschule entstand über Monate eine 400 Kilogramm schwere Betonskulptur. Die baute Szumczyk am zweiten Samstag im Oktober in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Kommilitonen neben dem Panzer auf. „Ich wollte mit meiner Kunst raus zu den Leuten“, begründete Szumczyk sein Tun. „Ich schuf das, was mir wichtig war. Die Figur und die ganze Aktion sind der historischen Wahrheit gewidmet und dem Schicksal der Frauen im Krieg.“ Daß eine Galerie das Werk ausgestellt hätte, darüber habe er sich keine Illusionen gemacht. Wie Szumczyk gegenüber der JF bestätigte, trägt seine Arbeit den deutschen Titel „Frau, komm“.

Die Installation stand keine zwölf Stunden. Von einer aufgebrachten Passantin alarmiert, rückte die Polizei noch in der Nacht an und verhüllte die Figurengruppe. Szumczyk beobachtete aus der Ferne, wie die Installation am Sonntag morgen von der Stadtreinigung abgefahren wurde.

Im Ergebnis sah sich der Künstler mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konfrontiert. Und einem erheblichen medialen Wirbel im In- und Ausland. „Die historische Wahrheit schnell beseitigt“ – die Überschrift eines Berichts auf dem konservativen Portal niezalezna.pl faßte die Stimmung vieler zusammen. Der erste Bericht über die Aktion auf dem örtlichen Nachrichtenportal trojmiasto.pl war der meistkommentierte Artikel des Tages in Polen: „Hervorragende Skulptur“, „Eine lobenswerte Idee, schade, daß sie weggeräumt wurde“, „Mehr solche Denkmäler sollten entstehen“, „Die Figur zeigt den ‘Sieg’, der für Polen den Beginn der Herrschaft von Grobianen, Proleten, Nichtskönnern und Feiglingen bedeutete“, „Der Künstler wollte bekannt werden, offenbar ist das nur auf diese Weise möglich“, „Das nennt man kostenloses Marketing“, „Hat nur gezeigt, was sich in Danzig abgespielt hat ... Aber die Mächtigen haben wohl immer noch Angst vor der Geschichte“. Nicht wenige Stimmen verwiesen auch darauf, was aus Polen geworden wäre, hätte die Rote Armee nicht die NS-Herrschaft gebrochen.

Daß die öffentlich beschwiegenen Frauenschändungen durch Soldaten der Sowjetarmee unter der Oberfläche virulent sind und böse Erinnerungen an Terror, Besatzung und jahrzehntelange Unfreiheit wecken, zeigte sich in den Tagen nach der Kunstaktion: Jeder neu erscheinende Bericht rief weiter in die Tausende gehende Leserreaktionen hervor: „Meine Oma erzählte, wie die Schufte die Mädchen nach hübschen und häßlichen selektierten, die hübschen kamen in die Scheune und wurden vergewaltigt und geschlagen. Es leben noch Zeugen jener ‘Ereignisse’!“

Die studentische Initiative brachte es sogar in das populäre konservative Magazin Uwazam Rze, das immer wieder durch provokante Thesen für Debatten sorgt. „Wer hätte gedacht, daß sich das so verbreitet“, sagte der von dem Medienecho sichtlich verunsicherte 26jährige in einem auch per Video aufgezeichneten Interview mit „Radio Gdańsk“.

In einer Erklärung schrieb der Student später, er habe mit dieser Skulptur die gebaute Erinnerung im öffentlichen Raum Polens auf ihre Wahrhaftigkeit hin befragen wollen. Gegen das Panzerdenkmal habe er nichts, „aber schlimm ist, daß diese Denkmäler etwas zeigen, was nicht wahr ist“. Seine Arbeit sei den „Opfern jener Jahre“ gewidmet: „Die Gestalt des Sowjetsoldaten bezieht sich auf konkrete Ereignisse an einem konkreten Ort, in diesem Fall Danzig 1945. Ich wollte keine Aggressionen wecken, im Gegenteil – ich wollte die Wahrheit sagen, die meiner Meinung nach unerläßlich ist, um gute Nachbarschaft für die Zukunft zu bauen.“

Diese Wahrheit schmeckt nicht allen: Der russische Botschafter in Warschau, Alexander Aleksejew, zeigte sich „zutiefst empört“ über dieses „Pseudo-Kunstwerk“. Es beleidige das „Andenken an 600.000 sowjetische Soldaten, die im Kampf für Polens Freiheit und Unabhängigkeit gefallen sind“. Die polnische Regierung rief der Mann Moskaus zu einer „angemessenen Reaktion“ auf.

Der Anfangsverdacht gegen den Bildhauer wegen „Anstachelung von Völkerhaß“ wurde inzwischen fallengelassen, die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen am Donnerstag vergangener Woche ein. Die Polizei erhebt indessen weiter den Vorwurf „Erregung öffentlichen Ärgernisses“.

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