© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Industriemethoden erklären den Preisverfall bei Luxusgütern
Orchideen für alle
Markus Brandstetter

Bis in die neunziger Jahre gab es bei Aldi, Penny & Co. nur Lachs-ersatz. Das waren kaltgeräucherte Scheiben vom Köhler, einer Dorsch­art, die grellorange aussahen, weil sie in Lebensmittelfarben ertränkt wurden. Mit echtem Räucherlachs hat das nichts zu tun. Der Grund dafür, daß dieses Substitut überhaupt einen geschäftlichen Erfolg hatte, lag darin, daß echter Lachs seinerzeit für Otto Normalverbraucher unerschwinglich war.

Aber seit Schotten, Norweger, Kanadier und Chilenen auf die Idee kamen, Lachse in Farmen zu züchten, ist zweierlei passiert: Die Produktion von Lachsen aus Aquakulturen ist von 1990 bis heute von 200.000 Tonnen im Jahr auf weit über eine Million Tonnen gestiegen, während die Preise ins Bodenlose gefallen sind. Inzwischen kann sich jeder Lachs leisten, der Nimbus des Besonderen und Exklusiven ist unwiederbringlich verloren.

Mutatis mutandis trifft das auch auf die Orchidee zu, die Königin der Blumen. 1978 wurde eine Orchideenart mit dem schönen Namen Golden Emperor Sweet für eine Summe, die heute 75.000 Euro entspricht, gehandelt. Heute kostet dieses Prachtstück der Hortikultur noch ganze vier Euro je Pflanze. Wie ist das möglich? Hinter diesem Preisverfall verbirgt sich dasselbe Prinzip, das auch die immer billiger und funktionsreicher werdenden Telefone, Mobilrechner, Bildschirme und Fernseher erklärt: ausgefeilteste Massenproduktion in fernöstlichen Ländern, wo eine konfuzianische Arbeitsethik auf höchste technologische Expertise, massiven Kapitaleinsatz und enorme Flexibilität bei den Produzenten trifft.

Fast alle Orchideen, die heute auf die Weltmärkte kommen, stammen entweder aus Holland oder von der Insel Taiwan. Kilometer um Kilometer bedecken Gewächshäuser die feucht-warmen Ebenen der einstigen Insel der Schönheit („Formosa“), auf denen früher Zuckerrohr angebaut wurde. Seit das Süßgras aber in Brasilien und China günstiger angebaut werden kann und einige Pioniere in den achtziger Jahren entdeckten, daß Orchideen, die auf Taiwan sowieso heimisch sind, sich gut verkaufen lassen, bildeten sich hier nach und nach Hunderte von Unternehmen, die Orchideen im industriellen Stil züchten.

Der Kern für alles ist wie immer in chinesischen Gesellschaften die Familie. Jede Produktionsstufe in einem Prozeß, der einmal zwei Jahre dauerte, den moderne Züchter aber auf sechs Monate verkürzt haben, liegt in der Hand einiger weniger Familien. Das reduziert Risiko und Kapitaleinsatz, frißt aber die Gewinnmargen weitgehend auf. Selbst ausgewachsene Orchideen, die vier Jahre alt sind, erlösen heute nur noch sechs Euro in den USA und der EU. Es wird nicht mehr lange dauern, und dann ist für Taiwanesen auch mit Orchideen kein Geld mehr zu verdienen. Dann wird die nächste Rarität dran sein und ihre Exklusivität für immer verlieren.

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